Merz ist überzeugt, dass ihm ein Wahlsieg nicht mehr zu nehmen ist | ABC-Z

Vier Tage vor der Bundestagswahl hält Friedrich Merz sie schon für gelaufen und sich für den Sieger, also für den nächsten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Gleich dreimal wies er darauf hin.
„Ihre Kanzlerschaft dürfte am Sonntag zuende gehen“, sagte Merz gleich zu Beginn dieses letzten Duells mit Olaf Scholz , dem Amtsinhaber von der SPD. Der CDU-Mann setzte sogleich nach: da müsse schon „ein Wunder passieren“, damit es nicht so laufe – für ihn als neuen Regierungschef.
Später dann ging es um Steuersenkungen. Scholz wies darauf hin, dass nach Berechnung von Wirtschaftsinstituten die SPD das „billigste“ Programm habe. Daran knüpfte Scholz die Feststellung, dies zeige, „dass die SPD mit Geld umgehen kann“.
Merz-Äußerung sicher nicht frei von Überheblichkeit
Darauf reagierte Merz im Duktus des sicheren Wahlsiegers: Darauf könne Scholz ja dann am Sonntagabend hinweisen, dass die SPD mit Geld besser umgehen könne. Eine Bemerkung, sicher nicht frei von Überheblichkeit.
Dies möchte ich hier festhalten, weil ich selbst Scholz oft genug vorgehalten habe, etwa im Bundestag kritikunfähig und überheblich agiert zu haben. Merz kann so etwas auch.
Die dritte siegesgewisse Bemerkung ließ Merz am Ende dieser einstündigen Diskussion fallen. Er erbitte sich einen „Vertrauensvorschuss“, ein starkes Ergebnis für die Union, um nur auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein und nicht auf zwei.
Merz rekurrierte auf die Umfragen, die die Union bei 30 Prozent taxieren, und sagte sodann: „Damit habe ich diesen Auftrag.“
Merz ist sich seiner Sache schon sehr sicher
Umfragen geben allerdings keinen Regierungsauftrag, sondern Wähler. Und es gibt noch sehr viel Bewegung, viele Menschen sind noch unentschlossen, wen sie wählen sollen. Und geringste Verschiebungen können entscheidende Bedeutung entfalten bei der Koalitionsbildung.
In der medialen Nachbetrachtung, die in der Regel so wichtig ist wie das, was im Duell selbst gesagt wurde, analysierte Bild-Reporter Paul Ronzheimer, Merz wähne sich ganz offensichtlich bereits in Koalitionsverhandlungen. Robin Alexander von der Welt pflichtete ihm bei.
Das stimmt – und verstärkt den Eindruck noch, dass Merz sich seiner Sache schon sehr sicher ist. So sicher, dass er dies nach Außen auch zeigt. Ob ihm dies möglicherweise noch leid tun wird?
Merz: „Ich möchte die Mehrwertsteuer nicht erhöhen.“
Merz beantwortete zwei für die Entscheidung der Wähler wichtige Fragen nicht: Ob er, bei diesen Finanznöten, mit denen jeder Kanzler zu kämpfen haben wird in der kommenden Legislaturperiode, eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließe. Merz dazu: „Ich möchte die Mehrwertsteuer nicht erhöhen.“ Dass er sie nicht erhöhen möchte heißt nun nicht, dass er einer Erhöhung als Ergebnis von Koalitionsverhandlungen nicht doch zustimmt. Jedenfalls können Wähler auf die Wünsche von Merz nicht bauen.
Anders der Kanzler. Er antwortete auf die Frage, ob er eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließe, schlicht mit: „Ja.“
An einem weiteren Punkt blieb Merz vage, was zeigt, dass er jetzt offenkundig nichts mehr sagen will, was seinen Spielraum als Moderator von Koalitionsverhandlungen einengen könnte. Und so beantwortete er die Frage nicht, ob er denn einen Koalitionsvertrag unterzeichnen werde, der seine bekannten fünf Punkte zur Migrations-Verschärfung nicht beinhalte.
Merz sagte lediglich, ohne eine „Migrationswende“ und ohne eine „Wirtschaftswende“ werde er keinen Koalitionsvertrag unterschreiben. Das hörte sich vor wenigen Tagen noch ganz anders an.
Da hatten sowohl Merz, stärker noch dessen Generalsekretär Carsten Linnemann gesagt, die Union werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in diesem fünf Punkte nicht stünden. Linnemann hatte sogar hinzugefügt, lieber werde die Union dann nicht regieren.
Davon war in dem Duell mit Scholz nun keine Rede mehr. Dabei war gerade die Entschiedenheit von Merz an dieser Stelle – nach dem Anschlag von Aschaffenburg – von vielen Menschen begrüßt worden. Kurz danach waren die Umfragewerte der Union gestiegen.
Die SPD, der inzwischen wahrscheinlichere Koalitionspartner von Merz im Fall eines Wahlsiegs des CDU-Chefs, lehnt die Schließung der deutschen Grenze bisher kategorisch ab. Der Bundeskanzler hält sich für Grundgesetz- und Europarechtswidrig – ebenso wie der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck. Merz hatte angekündigt, sich über diese Bedenken hinwegsetzen zu wollen.
Merz wiederholt: „Zusammenarbeit mit der AfD werde es nicht geben“
Diese Klarheit gibt es nun nicht mehr vom CDU-Kandidaten. Und auch bei den Abschiebungen argumentiert der Kanzlerkandidat jetzt deutlich vorsichtiger. Er sagte den Satz, es gebe Länder, „in die wir nicht abschieben können“.
Genau mit diesem Argument hatte die Bundesregierung bislang stets argumentiert, weshalb es nicht zu den von Scholz selbst in einem Spiegel-Interview angekündigten massenhaften Abschiebungen gekommen sei.
Merz reduzierte in dem Duell auch die Zahl der tatsächlich möglichen Abschiebungen – indem er sie erst einmal auf schwere Straftäter begrenzte – und 500 Gefährder, die es in Deutschland gebe und die unbehelligt „herumlaufen“.
Merz sagte, eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es nicht geben. Nicht die Journalisten von Springer, sondern der Bundeskanzler hakte an dieser Stelle nach. Durchaus mit angebrachter journalistischer Präzision fragte Scholz, ob Merz sich am Ende mit Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lasse.
Scholz wird wichtige Frage nicht gestellt
Diese Möglichkeit besteht – theoretisch – nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen der Union mit SPD oder Grünen. Merz hatte überhaupt keine Neigung, sich für irgendetwas vor Scholz zu rechtfertigen. Er verstand aber in diesem Moment, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als hier unmissverständlich zu werden. Er fiel dabei in den pluralis majestatis:
Weder würden „wir“ uns auf diese Weise wählen lassen noch eine Minderheitsregierung bilden. Damit ist die Sache geklärt.
Diese Klarheit blieb Scholz erspart. Denn weder erzwangen die beiden Journalisten sie, noch der Oppositionsführer. Dabei: So, wie Scholz danach fragte, ob Merz denn ausschließe, sich von der AfD im Parlament zum Kanzler wählen zu lassen, hätte man auch den SPD-Mann fragen können, ja: fragen müssen:
Herr Scholz, schließen Sie es aus, sich mit den Stimmen von Grünen, Linkspartei und Bündnis Sahra Wagenknecht in einem dritten Wahlgang zum Kanzler wählen zu lassen?
Da Scholz diese präzise Frage nicht gestellt wurde, musste er sie auch nicht beantworten. Er konnte nonchalant abwiegeln: „Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen.“ (Wenn Scholz sich das jetzt nicht vorstellen kann, dann aber vielleicht später, nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen von Union und SPD oder Grünen.)
Das sei „außerhalb aller Debatten“ (es könnte da aber reinkommen später). Und: Das sei „kein Plan, den einer von uns hat“. (Es geht dann schon auch ohne Plan …)
Keine einzige Frage zu Debatte um Ukraine-Krieg
Wer den vielen Debatten der Kandidaten aufmerksam gefolgt ist, dem wurde an diesem Abend nicht viel Neues erzählt. Das ist sicher eine entgangene Chance für die Wähler.
Man hätte sich gewünscht, wie Merz und Scholz die jüngsten Aussagen von Trump zu Russlands Krieg in der Ukraine bewerten. Man hätte sich eine Debatte gewünscht, ob deutsche Soldaten zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstands geschickt werden, wie dies bereits der britische Regierungschef angekündigt hat.
Es blieb Merz wie Scholz auch erspart, etwas über mögliche neue, gewaltige Finanzsummen für die Ukraine zu sagen. Die hatte die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ins Spiel gebracht – rund 700 Milliarden Euro.
Nun heißt es, darüber solle in Europa erst nach der deutschen Wahl berichtet und diskutiert werden. Vertrauen bei den Wählern baut man so gewiss nicht auf.
Es dürfte für viele Wähler schon wichtig sein zu wissen, welcher Kandidat und welche Partei dafür sind, bei den laufenden und von Trump mit Macht und Tempo betriebenen Friedensgesprächen, noch Geld für die Sicherheit der Ukraine auszugeben. Und wieviel, in welchem Zeitraum, und wofür genau.
Was für die Ukraine gilt, gilt auch für die deutschen Verteidigungslasten. Beides zusammen könnte sich zu einer Größenordnung addieren, die jedes weitere Wahlversprechen zur Illusion werden lässt.