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Merz fordert grundlegend andere Politik | ABC-Z

So viel Durcheinander war selten im Bundestag. Wo es keine Regierungsmehrheit mehr gibt, da fehlen die klaren Zuordnungen: Wer applaudiert wann, wer stimmt für was, wer beschimpft wen? Also Olaf Scholz schonmal nicht den Präsidenten der Vereinigten Staaten, wie er Donald Trump am Mittwochmittag in seiner Regierungserklärung nennt.

Und Friedrich Merz, der Fraktionsvorsitzende der Union und der Opponent von Scholz im Wahlkampf, beschimpft seinerseits nicht die Grünen. Er bedankt sich zu Beginn seiner Rede sogleich bei den beiden Fraktionsvorsitzenden, die sehr dabei geholfen hätten, einen Wahltermin zu finden. Es sind außergewöhnliche Zeiten.

Scholz fasst deren Herleitung im Zeitraffer noch einmal zusammen. Er kommt zu dem Schluss: Die Entscheidung, Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu entlassen sei „richtig und unvermeidlich“ gewesen. Scholz, den Eindruck bekommt man, freut sich auf den jetzt anstehenden Wahlkampf. Das ist erstaunlich, weil seine SPD ja deutlich hinter der Union liegt in den Umfragen. Davon ausgehend balanciert die gut halbstündige Rede von Scholz zwischen Trotz, Selbstbewusstsein und Anwerbeversuchen in Richtung der Union.

Scholz erwähnt recht früh die „verdammt rauen“ Zeiten. Er wolle die Ukraine weiter unterstützen. Aber nicht dafür weniger in Brücken und Straßen investieren, bei Pflege, Rente und Gesundheit sparen. Genau das stehe aber zur Debatte, meint Scholz. Das werde eine der großen Debatten des Wahlkampfs werden, prophezeit er und knüpft damit direkt da an, wo die Ampel zerbrach: Scholz will mehr Geld für sehr vieles.

SonntagsfrageWie stark ist welche Partei?

Um das zu illustrieren, wird Scholz in seiner Rede immer konkreter: Er spricht von Klassenfahrten und Waschmaschinen. Der Kanzler will in die Wohnzimmer der Leute, um sie von sich zu überzeugen. Und auch wenn er den Namen Friedrich Merz nicht in den Mund nimmt, zeichnet er ihn als Antipoden: Kühler Kopf gegen kaltes Herz.

Aber das hält nicht lange. Denn Scholz braucht Merz ja. Schon hier und jetzt: Die rot-grüne Minderheitsregierung will bis zur Neuwahl noch einige Gesetze durch den Bundestag bekommen, und das schafft sie nur mit den Stimmen der Union. Es geht etwa um den Schutz des Verfassungsgerichts, den Ausgleich zur kalten Progression und das Kindergeld. „Mein Angebot steht“, ruft Scholz in Richtung der Unionsfraktion.

Leise Töne des Kanzlers

Und dann wird er fast sanft, durch den Bundestag weht ein Hauch von evangelischem Kirchentag. Scholz spricht über den Tag nach der Wahl, wenn Konkurrenten gemeinsam Lösungen finden müssten. Es ist ein erstes Anbahnen einer großen Koalition.

Das wird kurze Zeit später SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich noch viel deutlicher tun, fast ein Zwiegespräch mit Merz vom Rednerpult aus führen. „Der Weg des Kompromisses bleibt der einzig richtige Weg“, sagt Scholz schließlich. Er lobt die Union, die Länder. Wohl im Versuch, den Rednern Friedrich Merz und Markus Söder etwas Wind aus den Segeln zu nehmen.

Noch vor Debattenbeginn hatte Merz Bilder erzeugt. Er stand mit Christian Lindner zusammen, dem FDP-Vorsitzenden und vom Kanzler gefeuerten, somit ehemaligen Finanzminister. Merz gehört zu denjenigen in der Union, die ihre Zweifel am Wiederbeleben des über Jahrzehnte selbstverständlichen schwarz-gelben Regierungsbündnisses deutlich machten.

Doch nun, da die Ampel auseinandergebrochen ist, will er mindestens in Richtung der FDP winken. Man weiß schließlich nicht, wie die Bundestagswahl ausgeht. Vielleicht braucht die Union am Ende doch die Freien Demokraten.

Merz und Lindner am Mittwoch im BundestagOmer Messinger

Dann musste Merz erstmal zuhören, erst der Geschäftsordnungsdebatte, dann dem Kanzler. Um 14 Uhr schließlich tritt der Oppositionsführer ans Rednerpult. Links hinter ihm sitzt der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Bank, die für die Länder reserviert ist. Söder, der selbst gerne den Job bekommen hätte, den Merz nun hat, also Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl, wird später noch reden. Zunächst Merz. Selbstverständlich.

Der CDU-Vorsitzende kritisiert zunächst den Kanzler. Er wiederholt die gleich nach dem Bruch der Ampel erhobene Forderung, Scholz hätte sofort die Vertrauensfrage stellen müssen, statt – wie nun geplant – erst Mitte Dezember. Scholz versuche, sich noch über einen längeren Zeitraum im Amt zu halten, um noch Vorteile für die SPD zu erzielen. Von einem „rüden und rücksichtslosen“ parteipolitischen Taktieren spricht Merz.

Merz bleibt nicht bei Kritik, sondern hat einen kleinen Katalog mitgebracht, was nun getan werden müsse. „Deutschland braucht eine grundlegend andere Politik, vor allem in der Migrationspolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik und in der Wirtschaftspolitik.“ Als Zwischenrufe aus den Reihen der AfD kommen, wendet sich Merz nach rechts und erteilt Gedanken an jegliche Form der Zusammenarbeit eine deutliche Absage. Zuvor hatte es aus den Reihen der AfD die Aufforderung an die Union gegeben, doch gemeinsam Beschlüsse der Ampel zurück abzuwickeln.

Merz sagt, nur eine neue Bundesregierung könne die seiner Meinung nach erforderliche grundlegend andere Politik durchsetzen: In der Migrationspolitik müsse mit Zurückweisungen an den deutschen Grenzen die Kontrolle zurückgewonnen werden, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands müsse wieder hergestellt werden, das „vollkommen missratene, sogenannte ,Bürgergeld’ müsse vom Kopf auf die Füße gestellt werden“. Schließlich müsse schnell und gründlich in der Energiepolitik umgesteuert werden. „Wir wollen weg von der einseitigen Festlegung auf Wind- und Sonnenenergie, auf E-Mobilität und Wärmepumpe hin zu einer technologieoffenen Energie- und Verkehrspolitik“, fordert Merz.

Eigentlich hätte bei diesem Wahlkampfauftakt unter der Reichstagskuppel nach Merz Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sprechen sollen. Doch ein kaputtes Flugzeug verhindert, dass er rechtzeitig wieder in Berlin ist. Also springt Außenministerin und Parteifreundin Annalena Baerbock ein. Sie ruft vor allem dazu auf, Deutschland nicht weiter schlechtzureden. Es klingt wie der Versuch, in all dem Streit als versöhnliche Stimme wahrgenommen zu werden.

Dafür muss sie sich direkt von Lindner anhören, dass gute Außenpolitik nicht durch moralisches Überlegenheitsgefühl entstehe, sondern in Wahrheit wirtschaftliche Stärke geopolitische Stärke sei. Lindner nennt seine Entlassung eine Erleichterung. Er präsentiert die FDP als die wahre gerechte und soziale Kraft in Deutschland, die sich für den Wert der Arbeit einsetze.

Der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder spricht am Mittwoch im BundestagEPA

Dann folgt Markus Söder. Dieses Mal wieder mit Hemd und Krawatte, nicht mit Rollkragenpullover wie kürzlich. Der CSU-Vorsitzende variiert die Beschimpfungen des Kanzlers und der Ampel. Als Honeymoon habe alles begonnen, es ende als Schlammschlacht. Von einem „totalen Realitätsverlust“ spricht Söder, einer geplatzten „rot-grünen Seifenblase“. Scholz habe in seiner Regierung sagen müssen, es sei „time to say goodbye“.

Doch dass Söder Scholz beschimpft: geschenkt. Entscheidend ist was er zu Merz sagt. Das Ziel der Union sei: ein Bundeskanzler Friedrich Merz.

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