Wirtschaft

Merz bezeichnet Erhalt des Sozialstaates als Ziel der Reformen | ABC-Z

Der Satz von Jens Spahn kommt harmlos, selbstverständlich daher. Baureife Projekte, Straßen oder Gleise müssten auch finanziert werden, sagt der Unionsfraktionsvorsitzende am Mittwochvormittag in der Bundestagsdebatte über den Haushalt für das nächste Jahr. Doch sein Satz ist nicht harmlos. Er ist an den Verkehrsminister gerichtet, das wird auch deutlich, ohne dass Spahn seinen CDU-Parteifreund mit voller Wucht angeht.

Patrick Schnieder hatte erst wenige Tage zuvor in der F.A.S. geklagt, ihm fehle das Geld für neue Straßenprojekte. Er würde es „begrüßen“, wenn er mehr Mittel für Neu- und Ausbau bekäme. Das wiederum richtete sich leicht erkennbar gegen Bundesfinanzminister Lars Klingbeil, den Vizekanzler und einen der Vorsitzenden des sozialdemokratischen Koalitionspartners. Auch wenn Spahn inhaltlich Schnieders Meinung teilt, will er nicht, dass der seine Probleme mit dem Finanzminister über die Medien austrägt.

Die Richterwahl soll nicht scheitern

Spahn, der als dritter Redner der Koalition an die Reihe kommt, zielt damit auf zwei wesentliche Probleme des Regierungsbündnisses. Das eine ist der Eindruck der Zerstrittenheit. Die Debatte am Mittwoch findet nicht nur eine Woche nach der Aussprache über den Haushalt für das laufende Jahr statt, den die zerbrochene Ampelkoalition nicht mehr beschlossen hatte. Sie liegt auch einen Tag vor dem zweiten Versuch des Bundestages, drei Kandidaten für freiwerdende Richterstellen beim Bundesverfassungsgericht zu wählen.

Das Scheitern des ersten Versuchs im Juli hatte die erst wenige Monate miteinander regierende Truppe in eine schwere Vertrauenskrise gestürzt. Seither bemühen sich beide Seiten auffällig, so harmonisch wie möglich miteinander umzugehen. Schnieders Interview passte da manchem so gar nicht.

Der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn (CDU) am Mittwoch im Bundestagdpa

Vor allem das Führungspersonal von Union und SPD bemüht sich am Mittwoch unter der Reichstagskuppel um Freundlichkeit gegenüber dem Koalitionspartner. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erinnert in seiner Rede daran, dass keine Fraktion die absolute Mehrheit habe, man sich daher mit der SPD um Kompromisse bemühe und diese im Koalitionsvertrag niedergeschrieben habe.

Mit Blick auf die polarisierte Stimmung in Amerika betont er, wie wichtig es sei, dass die politischen Wettbewerber miteinander sprächen. „Das Ziel der Reformen, die wir auf den Weg bringen, ist nicht der Abbruch, sondern der Erhalt des Sozialstaates“, verneigt sich Merz in Richtung SPD, wissend, wie wichtig dieser der Sozialstaat ist.

Der sozialdemokratische Koalitionspartner dankt dem christdemokratischen Regierungschef nicht nur mit gelegentlichem Applaus, der allerdings besonders aus den vorderen Reihen kommt, in denen die Führungsleute sitzen.

Miersch verteidigt Merz

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Matthias Miersch, nimmt den Kanzler ausdrücklich in Schutz gegen den zuvor von grüner Seite gemachten Vorwurf, er habe kein Verständnis für die Nöte der Menschen, die die oft unpünktliche Bahn benutzen. „Ein Bundeskanzler fährt sicher nicht so häufig Bahn“, sagt Miersch, aber er würde Merz „niemals absprechen, dass er die Sorgen dieser Menschen nicht ernst nimmt“.

Miersch warnt vor dem Narrativ der abgehobenen Politiker. Das nütze nur denjenigen, die die Demokratie zerstören wollten, sagt er in Richtung der AfD. Seine Wünsche an den Kanzler, auch in den Haushaltsberatungen an Dinge wie das schnellere Bauen (Bauturbo), den Bürokratieabbau oder die Digitalisierung zu denken, trägt er betont höflich und zurückhaltend vor. Die Botschaft, die aus den Reden der führenden Koalitionäre spricht, ist eindeutig: Wir wollen, wir müssen gemeinsam erfolgreich sein.

Die andere Bedeutung des Satzes von Spahn über die baureifen Infrastrukturprojekte ist ebenfalls von Gewicht. Union und SPD stünden zu dem gemeinsam bisher Erreichten, sagt er. Doch wenn man unterwegs sei, spüre man, „dass es noch viel Skepsis gibt“. Was die Regierung beschließe, müssten die Bürger merken können, es müsse „in ihrem Portemonnaie“ spürbar sein.

Chrupalla beklagt „Schuldenorgie“

Dazu passt die – weitgehend wenig überraschende – Kritik der Opposition in dieser Debatte zum Haushalt 2026. Wie üblich schickt die größte Oppositionsfraktion den ersten Redner ins Rennen. Es ist Tino Chrupalla, einer der beiden Vorsitzenden der AfD-Fraktion. Seine Rhetorik ist etwas weniger scharf als die der Ko-Vorsitzenden, Alice Weidel, die erst später an die Reihe kommt. Chrupalla klagt über eine „Schuldenorgie“, die die Koalition mit dem Beschluss zu Schulden in Billionenhöhe verursache. Sie „verprasse“ das Geld der künftigen Generation.

Heidi Reichinnek, Youtube-Star und Vorsitzende der Linke-Fraktion, nutzt ihre Redezeit schon dahingehend besonders effektiv, dass sie wie immer sehr schnell spricht. Der Haushalt für 2026 sei eine „Bankrotterklärung“, sagt sie. Außerdem spiele der Klimaschutz für Schwarz-Rot überhaupt keine Rolle. Den Grünen wirft sie vor, sie hätten sich von Union und SPD „über den Tisch ziehen lassen“, als sie dem Schuldenmachen in Billionenhöhe zustimmten. Denn jetzt gingen die Investitionen doch nicht in zusätzliche Infrastrukturprojekte, wie angekündigt. Vielmehr finanziere die Koalition ihren Haushalt mit dem Geld.

Für die derart Verspotteten spricht als Erste Britta Haßelmann. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion empört sich vor allem darüber, dass Merz während seiner Rede auf die Zurufe zu seiner Passage über die Klimapolitik in einer Weise reagiert habe, dass er damit Grüne und AfD vergleiche. Das sei „bodenlos“, sagt Haßelmann und wirkt ernsthaft empört. Sie ermahnt den Kanzler, das Ziel der Klimaneutralität nicht aus den Augen zu verlieren.

Ein paar erwähnenswerte Details gibt es noch in der Haushaltsdebatte am Mittwoch. Miersch kündigt in seiner Rede an, man werde einigen der jüngeren und neuen Abgeordneten Redezeit geben. Und die AfD zeigt, wann sie der CDU zustimmt. Am Ende seiner Rede kommt Jens Spahn auf den ermordeten amerikanischen Aktivisten und Trump-Unterstützer Charlie Kirk zu sprechen.

Kirk dürfe auch nach seinem Tod für seine Aussagen weiter kritisiert werden. Aber dass er genau dann erschossen worden sei, als er sich in einer Debatte befunden habe, sei doch das Erschütternde. Er, Spahn, könne sich „nichts Undemokratischeres“ vorstellen, als dass die eigenen Worte „einen das Leben kosten“. Da applaudieren einige aus den Reihen der AfD.

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