Merz baut sich 3 Stolpersteine auf und offenbart, wie die Grünen mitregieren | ABC-Z

Das Sondierungspapier von Union und SPD umfasst 11 Seiten – und einige große Stolpersteine. Wo Friedrich Merz sich Probleme aufbaut und wie er die Grünen mitregieren lässt.
Am Samstagnachmittag verkündeten die Sondierer von Union und SPD stolz: „Wir haben in einer Reihe von Sachfragen Einigungen erzielt.“ Das Tempo, in dem die Regierungsbildung voranschreitet, ist der dramatischen Lage national und international angemessen. Doch der Sprint, den CDU, CSU und SPD derzeit laufen, droht schon jetzt zu einem Hürdenlauf zu werden.
Stolperstein 1: Zurückweisungen an den Staatsgrenzen
Union und SPD haben sich am Samstag auf einen gemeinsamen Kurs in der Migrationspolitik verständigt. In den Zeilen 293 bis 295 des Sondierungspapiers heißt es:
„Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren.“
Das Problem: Die Nachbarländer, insbesondere Frankreich und Polen, haben durch die Formulierung „in Abstimmung mit“ faktisch ein Veto-Recht. Wenn sie nicht mitziehen, bleibt das Vorhaben auf dem Papier und verpufft noch bevor es Anwendung finden kann.
Zudem sind Zurückweisungen bei Asylgesuchen rechtlich problematisch. Die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze widerspricht dem EU-Recht, insbesondere der Dublin-III-Verordnung, die vorschreibt, dass zuerst geprüft werden muss, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Eine direkte Zurückweisung wäre deshalb wohl illegal.
Die Union argumentiert, dass das EU-Recht nicht mehr funktioniere und deshalb nationale Regeln Vorrang haben sollten. Doch das EU-Recht steht über nationalem Recht, und Gerichte wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben solche Versuche in der Vergangenheit immer abgelehnt.
Die Union hatte deshalb bereits angekündigt, das sogenannte „ordre public“-Argument nutzen zu wollen, das besagt, dass EU-Recht ausgesetzt werden kann, wenn die nationale Sicherheit gefährdet ist. Allerdings hat der EuGH bisher keinem Land erlaubt, dies auf Asylrecht anzuwenden.
Falls Deutschland trotzdem Flüchtlinge zurückweist, könnten Gerichte die Maßnahme schnell kippen, selbst wenn die Nachbarn mitziehen.
„Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen. Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten.“
Das Problem: Der Plan, arbeitsunwilligen Bürgergeldempfängern die Grundsicherung komplett zu streichen, könnte rasch ins Leere laufen. Rechtlich gesehen gibt es hier enge Grenzen.
Die Grundlagen der deutschen Sozialpolitik sind im Grundgesetz verankert – insbesondere in Artikel 1, der die Menschenwürde schützt, und Artikel 20, der das Sozialstaatsprinzip festlegt. Auf dieser Basis entschied das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019, dass Sozialleistungen nicht komplett gestrichen werden dürfen, wie es zuvor möglich war.
Im Urteil heißt es: „Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich ´unwürdiges´ Verhalten nicht verloren.“
Allerdings ließ das Gericht eine Ausnahme zu: „Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.“
Das heißt, wenn eine Person in der Lage ist, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, aber jegliche Arbeit verweigert, könne eine vollständige Kürzung vorübergehend zulässig sein. Diesen Spielraum nutzte bereits die Ampelkoalition, als sie beschloss, dass sogenannte Totalverweigerer für bis zu zwei Monate kein Geld mehr erhalten.
Allerdings werden weiterhin die Kosten für Miete und Heizung übernommen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden – ein Punkt, den das Gericht 2019 als entscheidend für seine damalige Ablehnung eines vollständigen Leistungsentzugs nannte.
Die im Sondierungspapier festgehaltene Regelung würde also höchstwahrscheinlich wieder einkassiert. Mit dem zweiten Satz, „die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ zu beachten, deuten die Sondierer jedoch an, dass sie die rechtlichen Grenzen einkalkulieren.
Stolperstein 3: Die Schuldenbremse und die geplante Grundgesetzänderung
Für ihr historisch großes Schuldenpaket benötigen Union und SPD eine Lockerung der sogenannten Schuldenbremse und dementsprechend eine Grundgesetzänderung. Noch im März soll das Grundgesetz geändert werden, um Investitionen in Aufrüstung und Infrastruktur durch Kredite zu ermöglichen. Bereits am Donnerstag (13. März) soll der Bundestag über den Antrag diskutieren, bevor das Paket am 18. März beschlossen werden soll.
Im Sondierungspapier heißt es:
„Die Schuldenbremse wird dahingehend konkretisiert, dass den Ländern zukünftig eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des BIP ermöglicht wird.“
„Es wird eine Expertenkommission eingesetzt, die einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickelt, die dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht. Auf dieser Grundlage wollen wir die Gesetzgebung Ende 2025 abschließen.“
Das Problem: Eine Grundgesetzänderung kann zwar noch im alten Bundestag beschlossen werden, da das Parlament bis zur Konstituierung des neuen Bundestags handlungsfähig bleibt. Obwohl die rechtliche Lage umstritten ist und es kein klares Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt, halten viele Rechtswissenschaftler dieses Vorgehen für zulässig.
Aber: Für eine Änderung der Schuldenbremse ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Für Merz, Klingbeil und Söder heißt es also: Nichts geht ohne die Grünen. Die sind aber bisher nicht überzeugt.
Merz hat bereits „intensive Gespräche“ mit den Grünen angekündigt, um für das vereinbarte Finanzpaket die nötige Mehrheit im Bundestag zu erhalten – und ihnen somit die Tür zum Mitregieren geöffnet.
Die Grünen sitzen jetzt also mit am Tisch und können mitverhandeln
Um die Grünen für das Vorhaben zu gewinnen, soll plötzlich doch ein Teil der für die Infrastruktur vorgesehenen Mittel auch für Klima- und Umweltprojekte verwendet werden, erklärte Merz. Er zeigte sich optimistisch, dass „es hier einen gemeinsamen Weg gibt, um zu einer Grundgesetzänderung“ zu gelangen.
Wie schwer diese „intensiven Gespräche“ werden dürften, zeigte sich ebenfalls am Samstag, als die Grünen-Vorsitzenden, Franziska Brantner sowie Felix Banaszak, vor die Kameras traten und sich sehr kritisch mit Blick auf das ausgearbeitete Sondierungspapier äußerten. „Das hat uns heute ein Stück weiter weggebracht von einer Zustimmung“, sagte Brantner.
Wie wichtig die Grünen jetzt für die angehende Merz-Regierung sind, zeigte Merz ebenfalls im Rahmen der Pressekonferenz am Samstag, als er erklärte, er habe Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann „unmittelbar nach Ende unserer Sondierungsgespräche informiert“. Er habe „eine Nachricht hinterlassen und ihr gesagt, dass wir bereit sind, etwa beim Verteidigungshaushalt auch weitere Maßnahmen mit einzubeziehen“.
Die Grünen sitzen also mit am Tisch und können ihre Vorhaben reinverhandeln. Es bleibt also abzuwarten, was die Grünen Union und SPD noch abringen werden, um den 500 Milliarden Euro Sondervermögen den Weg freizumachen.