Wirtschaft

Merkel kritisiert Macron-Rede bei Einheitsfeier in Saarbrücken | ABC-Z

Bundeskanzler Friedrich Merz hat zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit eine gemeinsame Kraftanstrengung aller gefordert, um die gegenwärtigen Probleme zu bewältigen. „Vieles muss sich ändern, wenn vieles so gut bleiben oder gar besser werden soll, wie es in unserem Land bisher ist”, sagte er am Freitag auf der jährlichen Einheitsfeier, die diesmal in Saarbrücken stattfindet. „Lassen Sie uns eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen für eine neue Einheit in unserem Land.” 

Die Menschen sollten sich Veränderungen zutrauen und sich nicht von Ängsten lähmen lassen. „Wagen wir einen neuen Aufbruch“, forderte Merz. „Erinnern wir uns an die Zuversicht, mit der unsere ostdeutschen Landsleute vor 35 Jahren ihren Aufbruch wagten.“ Positiver Geist könne Kraft freisetzen, „Pessimismus und Larmoyanz“ vergeude Energie. „Es ist unser Land.“

Bei allen Problemen sei er stets der Meinung gewesen, „dass man von einem Gelingen der deutschen Einheit sprechen kann”, so Merz. Er räumte aber ein, dass es nach 35 Jahren nach wie vor Defizite gebe, weil sich etwa Menschen in Ostdeutschland mit ihren Lebenserfahrungen zurückgesetzt fühlten oder Ostdeutsche immer noch seltener in Führungspositionen zu finden seien.

„Mitten in einer wichtigen, vielleicht entscheidenden Phase“

Den größten Teil seiner Rede widmete der Kanzler Grundsatzfragen. „Wir erleben den Herbst des Jahres 2025 als entscheidenden Moment für unser Land“, sagte er. „Unsere Nation steht mitten in einer wichtigen, vielleicht entscheidenden Phase ihrer neueren Geschichte.“

Deutschland und Europa stünden unter starkem Druck, betonte der Kanzler. „Neue Allianzen von Autokratien bilden sich gegen uns und greifen die liberale Demokratie als Lebensform an”, sagte er. „Die Weltwirtschaftsordnung wird umgeschrieben, Zollschranken werden errichtet, Egoismen werden stärker. Vielleicht sind wir auch deshalb wirtschaftlich schwächer geworden”, fügte er hinzu. 

Merz: Ungesteuerte Migration hat das Land polarisiert

Dazu kämen technologische Umwälzungen. Das mache es auch viel schwerer, das Niveau der Sozialleistungen zu erhalten. Jahrelange „irreguläre, ungesteuerte Migration” nach Deutschland habe das Land zudem polarisiert und neue Gräben in der Gesellschaft aufgerissen. Das Land stecke jetzt in einer entscheidenden Phase seiner Entwicklung.

Der Kanzler appellierte zudem an die Deutschen, dass eine Verantwortung für die Bewältigung der Probleme nicht nur Aufgabe der Politik sei. „Selbstverständlich übernimmt die Politik, übernehmen die Institutionen des Staates, übernimmt die Bundesregierung ihre Verantwortung”, betonte Merz. Man sei sich der Dimension der Aufgabe bewusst. „Aber diese Dimension der Aufgabe muss von allen verstanden und angenommen werden, von der Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.”

Rehlinger: Demokratie entschlossen verteidigen

Der zentrale Festakt zum Jubiläum der Einheit findet dieses Jahr in Saarbrücken statt, weil das Land den Vorsitz der Länder führt. Die saarländische Ministerpräsidentin und Bundesratsvorsitzende Anke Rehlinger (SPD) rief in Saarbrücken dazu aufgerufen, die Demokratie „nicht nur zu feiern, sondern vor allem entschlossen zu verteidigen“. Dazu müssten „im Zweifel auch jegliche Mittel, die die Verfassung bietet, vorbereitet werden“, sagte sie vor 900 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kirchen und Gesellschaft in der Congresshalle.

An der zentralen Feierstunde nahmen auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron teil. Dass mit ihm zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren ein ausländischer Staatschef beim Festakt des deutschen Nationalfeiertages spreche, mache laut Rehlinger offensichtlich, dass das Saarland im Herzen Europas liege. „Was für ein wichtiges Signal für die deutsch-französische Freundschaft, das damit von Saarbrücken ausgeht!“, so die Ministerpräsidentin unter dem Applaus der Teilnehmer.

Macron: Krieg steht wieder vor der europäischen Haustür

Macron forderte die europäischen Staaten in Saarbrücken auf, die gemeinsamen Werte und das gemeinsame Gebiet stärker zu verteidigen. Europa brauche die Entschlossenheit derjenigen, die in der DDR aufgestanden seien und die Mauer eingerissen hätten, sagte er am Freitag. Die Europäer müssten sich entscheiden, ob sie unglückliche oder glückliche Vasallen oder eine militärische Kraft sein wollten.

Der Krieg stehe wieder vor der europäischen Haustür – auch mit einer hybriden Form wie etwa durch Manipulation und Desinformation, sagte der französische Präsident. In den vergangenen Jahren sei der Zweifel auch an den Demokratien wieder aufgetaucht: „Wir haben ein Problem mit uns selbst und mit unseren Infrastrukturen der Demokratie.“

Europäische Staaten seien naiv gewesen, die Kontrolle über soziale Medien China und den USA zu überlassen. Die Europäer müssten „aufwachen“ und die Strukturen zurückholen, um Wissenschaft, Kultur und Bildung wieder zurück in die Debatte zu holen, erklärte Macron. Es gehe auch darum, die Jugend vor den negativen Einflüssen der aktuellen sozialen Netzwerke zu schützen.

Außerdem müssten die europäischen Demokratien schneller, unbürokratischer und effizienter in ihren Entscheidungen werden und dabei ihre Werte bewahren. Zudem müsse Europa innovativer werden und seine eigenen Industriezweige schützen. Sonst würden die Europäer irgendwann nur noch „wunderbare Konsumenten“ der Produkte anderer sein.

Merkel äußert sich kritisch

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich zuvor in einem ZDF-Interview kritisch mit Blick auf die Gästeliste. Es sei klar, dass Merz als Bundeskanzler und Rehlinger als Bundesratspräsidentin sprächen. Sie selbst schätze auch Präsident Macron. „Aber vielleicht hätte man auch jemanden aus Osteuropa oder aus Ostdeutschland als Gastredner nehmen können, anlässlich von 35 Jahren Deutscher Einheit“, sagte Merkel.

Am 3. Oktober 1990 hatten sich die beiden deutschen Staaten nach mehr als 40 Jahren Teilung nach Regeln des westdeutschen Grundgesetzes vereinigt, rund ein Jahr nach der friedlichen Revolution in der DDR und der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze. Obwohl sich die Lebensverhältnisse nach und nach angeglichen haben, herrscht Umfragen zufolge bei vielen Menschen heute Ernüchterung.

Wenig Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West?

So sagten bundesweit 30 Prozent in einer YouGov-Umfrage, dass Ost- und Westdeutsche mehr trennt als eint. Nur 16 Prozent glauben, dass Gemeinsamkeiten überwiegen. Von den befragten Ostdeutschen sagten YouGov zufolge sogar 43 Prozent, dass Ost- und Westdeutsche mehr trennt als eint. Nur 11 Prozent meinen, dass die Gemeinsamkeiten überwiegen.

Im neuen ZDF-Politbarometer gaben zwar neun von zehn Befragten an, sie fänden die deutsche Vereinigung grundsätzlich richtig. Zugleich sagten aber 47 Prozent im Westen und 57 Prozent im Osten, die Probleme der Wiedervereinigung seien zu einem großen Teil noch ungelöst. Im aktuellen ARD-„Deutschlandtrend“ zeigten sich 61 Prozent mit dem Stand der deutschen Einheit sehr zufrieden beziehungsweise zufrieden, 34 Prozent weniger beziehungsweise gar nicht zufrieden.

Die Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner meinte zum Jahrestag: „Das Land ist derzeit nur geeint in dem Gefühl, dass es bergab geht.“

Dagegen zog die SED-Opferbeauftragte des Bundestages, Evelyn Zupke, ein eindeutig positives Fazit. „Für mich ist der Tag der Deutschen Einheit ein Tag des Glücks und ein Tag der Dankbarkeit“, sagte die frühere Bürgerrechtlerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Alle Mühen und Herausforderungen der Wiedervereinigung hätten sich für jeden einzelnen befreiten politischen Häftling gelohnt.

Merz wird am Abend (18.30 Uhr) auch zu einer besonderen musikalischen Veranstaltung in Halle an der Saale erwartet: Bei Kerzenschein soll die Aktion „Deutschland singt & klingt“, die an mehr als 200 Orten bundesweit zeitgleich stattfindet, an die Friedensgebete und die Friedliche Revolution von 1989 erinnern.

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