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Menschen in Frankreich essen immer weniger Baguette – Panorama | ABC-Z

Bei den Franzosen ist es wie bei allen Völkern: Sie lassen sich nicht so gern auf Stereotypen reduzieren. Im Kopf der Welt geht jede Französin, jeder Franzose mit einem Baguette unter dem Arm oder in der Einkaufstasche durchs Leben. Überzeichnet, aber nicht falsch. Oft überlebt die Kuppe des Langbrots den Weg nach Hause nicht, weil die Versuchung einfach zu groß ist. Diese Wonne, wenn die Kruste zwischen den Zähnen kracht, warm noch.

Manchmal verhält es sich bei den Gemeinplätzen auch genau umgekehrt: Die hübschen sollen bitte ewig leben. Und „la baguette de Paris“, wie man das Weißbrot in Frankreich nennt, weil es ursprünglich wohl aus dem Paris des 18. Jahrhunderts kommt, ist nun mal ein besonders schöner. Ein sympathisches Symbol, eine Ikone. Seit ein paar Jahren wird sie von der Unesco geschützt, als immaterielles Kulturgut.

Nun berichtet aber CNN, der große Nachrichtensender aus den USA, dass das liebste Brot der Franzosen bedroht sei. „Die Zukunft des Baguettes ist ungewiss“, hieß es in dem Beitrag. Eine Alarmglocke von drüben, schrill trotz der Ferne. Und hier gleich noch ein wahres Klischee: Die Franzosen lassen sich sehr ungern belehren. Gerade von den Amerikanern. Und gerade im Gastronomischen, also im Philosophischen.

Der Befund aber ist richtig, wenigstens ein bisschen. Studien haben ergeben, dass der Brotkonsum der Franzosen insgesamt stark zurückgeht. Nach dem Zweiten Weltkrieg aß man in Frankreich täglich 700 Gramm Brot pro Kopf. Vor zehn Jahren waren es dann 113 Gramm, nun sind es noch 99 Gramm. In Baguettes gerechnet, in der Regel 250 Gramm schwer: von fast drei zu weniger als einem halben.

Das Prinzip der Égalité galt auch für das tägliche Brot

Dass man in Baguettes rechnet, hat übrigens auch seine statistische Bewandtnis: In Frankreich gehört das lange Brot in den Korb der Grundnahrungsmittel, zum Existenzinventar gewissermaßen. Früher hieß es einmal, ein Baguette müsse für alle erschwinglich sein, auch für die Ärmsten. Nach der Französischen Revolution gab es ein Dekret, das vorschrieb, dass alle Bürger dasselbe Brot essen sollten: die totale Égalité eben. Das Baguette gilt noch immer als Inbegriff des demokratischen Nahrungsmittels. Wenn französische Politiker von den Medien auf ihre Bodenständigkeit gegrillt werden, fragt man sie meistens nach dem Preis eines Baguettes.

Klar, der variiert. In der Provinz ist er niedriger als in Paris, im Supermarkt viel niedriger als beim Bäcker. Aber wenn ein Politiker glaubhaft den Preis des Baguettes in einer Bäckerei in seinem Wahlkreis aufsagen kann, hat er schon viel gewonnen.

Der Rückgang des Brotverzehrs liegt zunächst am allgemeinen Wandel der Essgewohnheiten, wie man ihn auch in anderen Ländern beobachtet. Gerade das klassische, hellgoldene Baguette aus weißem Mehl und gewöhnlicher Hefe, die billigste, hat in kalorienbedachten Zeiten nun mal einen eher mittelmäßig guten Ruf. Außerdem wird das herkömmliche Baguette, vor allem die Industrieware aus dem Supermarkt, schnell trocken und hart. Die Reste vom Vortag landen deshalb öfter im Abfall als die von etwas dunkleren Versionen ganz ohne chemische Zusätze und ohne aufgetaute Zutaten: das normgeschützte „Baguette Tradition“ etwa, das „Baguette de campagne“, das „Baguette aux céréales“.

In den vielen innovativen Bäckereien des Landes wird mit Lust an neuem Brot geprobt, damit es wieder besser in die Zeit passt. Das meiste basiert auf lange fermentiertem Sauerteig. Der Trend ist natürlich vor allem in Paris groß, die Stadt will auch auf diesem Gebiet unbedingt Avantgarde sein. Sie werden „Néo-boulangeries“ genannt, Neubäckereien, kleine Läden. Es gibt sie überall, die Kunden stehen Schlange. Billig sind sie allerdings nicht, der Geist der Revolution ist schon lange verweht.

Und das Baguette sieht auch nicht mehr immer aus wie ein gewöhnliches Baguette. Oft ist es kürzer als die üblichen 65 Zentimeter. Man isst davon vielleicht etwas weniger, dafür bewusster, wer weiß. Es ist auch länger haltbar, das Néo-baguette. Geblieben ist das alte, schön klischierte Bild in der Straße. Und natürlich das Krachen zwischen den Zähnen.

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