Kultur

Mensch und Natur – eine Ausstellung in Nürnberg über ein schwieriges Verhältnis | ABC-Z

Wie schön wäre Wien ohne Wiener” – der geniale Georg Kreisler hat das passende Lied geschrieben. Man muss es nur global erweitern und auf die Menschheit an sich beziehen. Dann wäre nicht bloß “der Stadtpark viel grüner” und “die Donau endlich so blau”. Aber es gibt halt nicht nur “die Vogerln und die Pferdln und die Hunderln und die Baam”. In der Jahresausstellung des Germanischen Nationalmuseums wird jedenfalls sofort klar: Die sogenannte Krone ist für die dazugehörige Schöpfung ein einziges Desaster.

Adam und Eva stehen in Roelant Saverys “Paradies” von 1625 dann auch sehr weit hinten, wo sie nicht viel anrichten können. Die Schlange züngelt zwar schon, doch auf der ins Großformat übertragenen Idylle des flämischen Stilllebenmalers dominiert das friedliche Miteinander und weckt gleich im Eingangsbereich der Schau Sehnsuchtsgefühle. Tiere tummeln sich da, und wenn gerangelt wird, dann zur Fortpflanzung. Dass sich Löwen und Wölfe kaum von Grasbüscheln ernähren, spielt im Garten Eden keine Rolle. Aber selbst in der Realität genügt ihnen ein voller Magen. Da können noch so viele Gazellen und Schafe vorbei hüpfen.

Mit Ackerbau und Viehzucht kam der wahre Sündenfall

Dagegen sind Menschen unersättlich, das ist der fatale Unterschied. Und mit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht nimmt das im Neolithikum so richtig Fahrt auf. Forscher sprechen vom eigentlichen Sündenfall. Denn es reicht ja nicht, die Natur mehr oder weniger zu kultivieren, der Drang, sie zu beherrschen und das Letzte aus ihr herauszuholen, ist schwerlich zu bremsen. Warum auch? Das Prinzip führt zu Wohlstand und manchmal sogar zu erheblichem Reichtum, dem Fortschritt tut’s sowieso gut. Metallwerkzeug ist einfach effektiver als Hölzernes und Fleisch nahrhafter als Grünfutter. Von den kulinarischen Möglichkeiten gar nicht erst anzufangen.

Doch “Hello Nature”, so der etwas banale Titel der Ausstellung, kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus. Vielsagende Bilder werden vor Augen geführt, unterfüttert mit Fakten. Vor den Fotografien aus der Großschlachterei darf sich jeder seine eigene Moral basteln. Wenn auf der anderen Seite Jan Josef Horemans, ein Antwerpener Spezialist für Alltagsszenen, Mitte des 18. Jahrhunderts ein geschlachtetes Schwein malt, geht es in erster Linie um eine Familie, die auf die Versorgung über den Winter angewiesen ist. Während der Hausherr noch mit dem Metzger verhandelt, putzt seine Frau bereits das Wurzelwerk für die Kesselsuppe – und die Kinder spielen mit der Schweinsblase.

Rote Karte für Fischer, die die Schonzeit missachten

Daran hat sich in kargen Zeiten niemand geekelt, entscheidend ist sowieso das Ausmaß. Zumal es immer schon Vernünftige gab, die ihren Zeitgenossen die rote Karte zeigten. Johann Melchior Füsslis gemalte Marktordnung von 1709 informierte die Eidgenossen über Schon- und Verkaufszeiten der Fische aus Zürichsee und Limmat. Wobei dort Verstöße bereits seit den 1330er Jahren mit Bußgeldern oder sogar Berufsverbot geahndet wurden.

Die Anfänge der nachhaltigen Forstwirschaft in Nürnberg

Dass Nürnberg im ausgehenden Mittelalter zum europäischen Wirtschafts- und Kulturzentrum wurde, hing auch mit dem örtlichen Rohstoff-Management zusammen. Die Stadt hatte die Verwaltung der umliegenden Wälder übernommen und anfangs so viel abgeholzt, dass verschiedene Kaiser die Wiederaufforstung anmahnen mussten. Die wurde seit etwa 1370 vom Ratsherren Peter Stromer forciert, der seither als Pionier einer nachhaltigen Forstwirtschaft gilt.

In weiter Ferne hatte man dagegen weniger Skrupel, sich wie im Warenhaus zu bedienen. Von Bodenschätzen wie Gold und Silber bis zu den Sklaven und immer auch gewissen Raritäten, mit denen man Weltläufigkeit demonstrieren konnte. Die Wunderkammern der Adligen und Patrizier waren voll davon, und man steht bis heute staunend vor vielen Objekten. In Nürnberg sind es raffinierte Pokale aus Kokosnuss und Turboschnecken.

Eine Tasche aus Affenfell – huch, sind das nicht Verwandte?

Mit Stockgriffen aus Elfenbein und Ebenholz zeigte man noch im 20. Jahrhundert Geschmack, ein Fächer aus Straußenfedern erinnert an Revuestars wie Josephine Baker, eine Korallenkette war sogar Bestandteil der mittelfränkischen Tracht. Und dann ist da noch die flotte Tasche aus Affenfell – huch, sind wir mit denen nicht irgendwie verwandt? Der Hang zum Exotischen, Teuren, Absurden kannte keine Grenzen. Was vertretbar ist, bestimmt freilich auch der Zeitgeist, und wer sich über die Ausbeutung der Erde aufregt, darf gerne nachforschen, woher das Lithium für den Smartphone-Akku kommt.

Sintflut als Strafe Gottes

Dass der gnadenlose Zugriff nicht gut ausgeht, ist keine Erkenntnis unserer Tage. Allerdings ging man bis weit ins 18. Jahrhundert davon aus, dass Überschwemmungen, Vulkanausbrüche und Erdbeben zu den göttlichen Strafen zählen. Wie katastrophal sich eine Sintflut auswirken kann, hat Hans Baldung Grien bewegend ins Bild gesetzt. Seine Arche Noah von 1516 ist ein fulminant gruseliger Höhepunkt der Nürnberger Schau – die Fluten sind mittlerweile auch wieder in der angeblich so (wetter)sicheren Mitte Europas erfahrbar.

Man könnte verzweifeln, damit wäre aber nichts gewonnen. Deshalb stellt dieses spannende Auffächern der Beziehung zwischen Mensch und Natur im Untertitel die grundlegende Frage: Wie wollen wir zusammenleben? Der 2021 verstorbene Jurist Christopher D. Stone hat bereits 1972 dafür plädiert, Wäldern, Flüssen, Meeren und weiteren “natürlichen Objekten” Persönlichkeitsrechte zuzuerkennen. Da ist er lange nicht der Einzige. Ecuador hat damit ernst gemacht und 2008 die Verfassung entsprechend erweitert. Zum Beispiel durch das Recht der Natur auf die umfassende Wiederherstellung im Fall ihrer Zerstörung.

Tomatencocktail zwischen Kuh und Schweinen

Das sind wichtige Schritte, aber wir neigen immer noch dazu, das Regeln dem Staat zu überlassen. Haben Menschen nicht die Freiheit, bei sich selbst anzufangen? Man muss den Tomatensaft ja nicht zwischen einer freigelassenen Kuh und vergnüglich wühlenden Schweinen schlürfen wie im Gemälde von Hartmut Kiewert. Sicher ist hingegen, dass es ohne massiven Konsumverzicht nicht gehen wird.

“Hello Nature”, bis 2. März 2025 im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Kartäusergasse 1, Di bis So 10 bis 18, Mi bis 20.30 Uhr, Katalog (336 S., 49 Euro)

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