Mein Jahr ohne Alkohol – Gesellschaft | ABC-Z
„Tu Gutes und rede darüber“, so lautet der Titel eines Buches von Georg-Volkmar Graf Zedtwitz-Arnim. Von wem das Zitat tatsächlich stammt, ist nicht mehr so ganz nachzuvollziehen. Goethe mutmaßen die einen, ein deutscher Politiker namens Walter Fisch andere. Der Graf selbst, seiner Zeit Kommunikationschef der BASF, schreibt, das Zitat stamme aus den USA, „dem Mutterland der Public Relations“. Denn genau darum geht es nämlich in seinem Buch. „Public Relations für die Wirtschaft“ lautet der Untertitel seines Werks, das in Deutschland als eine Art Grundsatzfibel der Öffentlichkeitsarbeit gilt. Erschienen ist es 1961.
Von Influencern und Content-Creatoren konnte der Graf damals natürlich noch nichts ahnen, doch der Titel seines Buches scheint in Zeiten von Social Media und PR 2.0 aktueller denn je: Ob Kuchen fürs Schulfest gebacken, bei Wahlen geholfen oder Bienen gerettet werden – jede gute Tat wird heute online dokumentiert und (ganz wichtig!) von anderen auch wahrgenommen, neudeutsch: gelikt.
Einzig der Kreis der Hilfe-Empfänger hat sich im Vergleich zur Pre-Social-Media-Ära gewandelt, genauer gesagt, erweitert. Das Subjekt kann heute nämlich gleichzeitig auch Objekt sein. Geholfen werden muss nicht mehr nur den anderen. Auch sich selbst darf man helfen und Gutes tun, neudeutsch: Selfcare.
Ein zunehmend beliebtes Untergenre der Selfcare-Literatur ist das Endlich-trocken-Buch. Darin geht es nicht mehr wie früher um die Blasenkontrolle beim Kleinkind. Im Mittelpunkt steht heute die Selbstkontrolle von Erwachsenen. Entsagt wird nicht mehr der Windel, sondern dem Alkohol. In diesen Büchern schildern geläuterte Autoren jenseits der 35 (und auch ein paar Autorinnen), wie es ihnen gelungen ist, ihre Sucht zu bekämpfen. Sie beschreiben – natürlich schonungslos offen –, wie sie es geschafft haben, mit sich und ihrem Körper ins Reine zu kommen und auch ohne Rausch Spaß zu haben im Leben, was sie auf die nervige „Warum trinkst du denn nichts?“-Frage antworten, und erklären mit der sonst Stehschreibtisch-Inhabern und Liegeradfahrern vorbehaltenen Überlegenheit, warum das Wort Genusstrinker Blödsinn ist.
Nicht alle Trockenbuch-Autoren (hier genügt die männliche Form) wollen allerdings gleich so weit gehen, dem Alkohol wirklich ganz zu entsagen. Bücher schreiben oder auf Youtube von ihren guten Taten erzählen, wollen sie trotzdem. Ist ja schließlich in einer alkoholdurchtränkten Gesellschaft wie der unsrigen immer noch eine einschneidende Erfahrung, die Mann da macht. Sie starten also einen Selbstversuch, ein Experiment, neudeutsch: eine Challenge, die viel krasser ist als der langweilige Dry-January. Ihr Ziel: ein ganzes JAHR ohne Alkohol.
Als Frau denkt man sich nur: Gut, dass nicht alle Frauen auch auf die Idee kommen, über ihre Schwangerschafts- und Stilljahre Bücher zu schreiben.