Wirtschaft

Mehrwertsteuer: Wachstumsimpuls für Deutschland? Was jetzt für eine Erhöhung spricht | ABC-Z

Um Arbeitsanreize und Wettbewerbsfähigkeit im Land zu erhöhen, schlägt das Ifo-Institut eine umfassende Steuerreform vor: Die Einkommenssteuer sollte teilweise gesenkt, die Mehrwertsteuer erhöht werden. Der Vorstoß findet unter Ökonomen durchaus Anklang. Nur einer widerspricht.

Alleine mit Ausgabenkürzungen sei das Ziel, einen verfassungskonformen Haushalt vorzulegen und die Maastricht-Kriterien einzuhalten, nicht zu erreichen. Die Einnahmen des Staates müssten gleichzeitig rauf. Wer etwas anderes glaube, erliege einer Selbsttäuschung. „Diät ohne Anstrengung ist nicht möglich“, sagte der Finanzminister zur geplanten Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes.

Das ist mittlerweile fast 20 Jahre her. Der Finanzminister hieß Peer Steinbrück und kam von der SPD. Noch im Wahlkampf 2005 hatten die Sozialdemokraten gegen die „Merkel-Steuer“ gewettert, nachdem die damalige CDU-Chefin Angela Merkel eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei Punkte von 16 auf 18 Prozent angekündigt hatte. Das sei mit der SPD nicht zu machen.

Nach der Wahl kam es anders. Union und SPD einigten sich nicht nur auf eine Erhöhung um einen Punkt, auch nicht um zwei, sondern gleich um drei: von 16 auf 19 Prozent ging es hoch. Gerechtfertigt wurde dieser Schritt damit, dass man gleichzeitig den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um zwei Punkte auf 4,5 Prozent senkte. Niedrigere Lohnnebenkosten seien gut für die schwächelnde Wirtschaft.

Die Parallelen zu heute sind augenfällig: Wieder stehen Bundestagswahlen an, erneut ist klar, dass nationale und europäische Schuldenregeln den Ausgabenspielraum des Staates einschränken, wieder schwächelt die Wirtschaft.

Da verwundert es nicht, dass Ökonomen eine erneute Mehrwertsteuererhöhung ins Spiel bringen – mindestens um einen Punkt soll es nach oben gehen, von aktuell 19 auf 20 Prozent. Dadurch sollen finanzielle Spielräume geschaffen werden, um Steuern an anderer Stelle zu senken, Arbeitsanreize zu erhöhen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu steigern.

„Wenn direkte Steuerlasten auf Einkommen und Unternehmensgewinne reduziert werden sollen, muss die Politik dafür im Haushalt Spielräume schaffen“, heißt es in einer aktuellen Studie des Münchner Ifo-Instituts. Darin skizzieren die Autoren eine umfangreiche Steuerreform mit niedrigeren Körperschaftsteuersätzen und schnelleren Abschreibemöglichkeiten für Unternehmen. Zudem soll sich Mehrarbeit bei niedrigen und mittleren Einkommen mehr lohnen. Deshalb wollen sie die Einkommensteuer für solche Beschäftigten senken und die Freibeträge erhöhen.

Finanziert werden könnten die Entlastungen unter anderem über eine moderate Erhöhung der Umsatzsteuer, auch Mehrwertsteuer genannt. „Eine höhere Belastung durch Verbrauchsteuern ist weniger wachstumshemmend als die derzeitige Fokussierung auf direkte Steuern wie Einkommen- und Unternehmenssteuern“, begründet Andreas Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, den Ansatz.

Das Bundesfinanzministerium geht davon aus, dass die Erhöhung des regulären Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 20 Prozent dem Staat Zusatzeinnahmen von 15,9 Milliarden Euro im Jahr bringt. Wird auch der ermäßigte Satz von aktuell sieben Prozent auf acht Prozent erhöht, brächte dies Bund, Ländern und Kommunen weitere 3,5 Milliarden Euro im Jahr.

In den vergangenen gut zehn Jahren gab es eine deutliche Verschiebung von indirekten Steuern, wie Umsatz- und Tabaksteuer, hin zu direkten Steuern, wie der persönlichen Einkommensteuer und Unternehmensteuern. Deutschland entwickelte sich mehr und mehr zu einem Hochsteuerland. Die letzte Reform, die bei Einkommen und Gewinnen ansetzte, hatte ihren Ursprung in Zeiten der Rot-Grünen-Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD).

Wegen der verloren gegangenen internationalen Wettbewerbsfähigkeit kann man auch beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel einer Mehrwertsteuererhöhung Positives abgewinnen. „Der Ansatz geht in die richtige Richtung“, sagt Jens Boysen-Hogrefe, stellvertretender Leiter der Konjunkturabteilung. Durch einen Tausch hoher Einkommen- und Unternehmensteuern gegen höhere Umsatzsteuer könne der „Gewinnverfall in der deutschen Exportindustrie gemindert werden“.

Ein solcher Schritt werde im Ausland sicherlich nicht uneingeschränkt begrüßt, gibt er zu bedenken. „Während die europäischen Partner kaum maulen dürften, da sie überwiegend höhere Sätze haben, wird eine Umsatzsteuererhöhung in den Vereinigten Staaten unangenehm auffallen“, sagt Boysen-Hogrefe. Denn während Produkte von US-Unternehmen in Deutschland teurer würden, könnten deutsche Unternehmen ihre Produkte wegen der gleichzeitig gesenkten Steuern auf Löhne und Gewinne in den Vereinigten Staaten günstiger anbieten. Die Vereinigten Staaten kennen eine Umsatzsteuer nur auf Ebene der Bundesstaaten.

Beim Institut der deutschen Wirtschaft geht man ebenfalls von positiven Effekten für die Wirtschaftskraft Deutschlands aus. „Für die notwendige Stärkung der Arbeitsanreize wäre eine Verschiebung der Steuerlast von der Einkommensteuer zur Umsatzsteuer zielführend und könnte einen Wachstumsimpuls geben“, sagt Tobias Hentze, Leiter des Bereichs Steuern und soziale Sicherung.

Einen anderen Weg würde Friedrich Heinemann gehen, Leiter des Forschungsbereichs Öffentliche Finanzen am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Er möchte den regulären Satz nicht erhöhen, dafür aber die meisten Vergünstigungen bei der Mehrwertsteuer abschaffen. Diese seien teuer und machten das gesamte System unnötig kompliziert. „Die Abschaffung dieser Vergünstigungen sollte Priorität haben und kann eine Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes verhindern oder zumindest verringern“, sagt Heinemann.

Die Beispiele sind oft genannt: Für stilles Wasser gilt der vergünstigte Satz von sieben Prozent, für Sprudelwasser dagegen der reguläre Satz von 19 Prozent, auf Hörgeräte werden sieben Prozent erhoben, auf Brillen 19 Prozent, auf Trüffel sieben Prozent, auf Süßkartoffel 19 Prozent.

Trifft eine höhere Mehrwertsteuer vor allem Geringverdiener?

Gegen höhere Mehrwertsteuersätze spricht sich Sebastian Dullien aus, der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Aus seiner Sicht sind geringe Einkommensteuern längst nicht für alle ein Ausgleich. „Beschäftigte mit geringen Einkommen zahlen kaum direkte Steuern, sondern vor allem Sozialabgaben“, sagt Dullien. Gleiches gelte für viele Rentner und Studenten. Eine alleinstehende Person, die 37 Stunden die Woche zum Mindestlohn arbeite, komme auf ein Monatsbruttolohn von 2055 Euro. „Sie zahlt derzeit keine Einkommensteuer, wäre aber sehr wohl von höheren indirekten Steuern betroffen.“

Bei indirekten Steuern bestehe die Gefahr, dass am Ende vor allem die Besserverdienenden profitieren, sagt Dullien. Die Mehrwertsteuer treffe nun einmal Geringverdiener stärker, weil prozentual ein höherer Anteil in den Konsum fließe. Energiesteuern, etwa auf Benzin, belasteten vor allem Familien mit geringen und mittleren Einkommen, weil diese einen großen Anteil ihrer Einkommen für Energie ausgäben.

In der Wissenschaft ist die Diskussion um höhere Mehrwertsteuersätze eröffnet. Ob sie während der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl geführt wird, bleibt abzuwarten. In den Wahlprogrammen ist davon keine Rede. Aber das galt für einen der beiden Koalitionspartner der ersten Regierung von Angela Merkel auch vor der Wahl 2005.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.

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