Mehr Waffen für den Frieden? | ABC-Z
MÜNCHEN Nach 50 Minuten, so warnt das Residenztheater auf seiner Homepage, “gibt es eine laute Bühnenverwandlung, ähnlich einem Knallgeräusch”. Die effektvolle Verwandlung trennt die Aufführung von “Die Gewehre der Frau Carrar” von Bertolt Brecht und die Uraufführungsinszenierung von “Würgendes Blei”, einer heutigen Fortschreibung Brechts von Björn SC Deigner.
Erst bricht ein Brett aus dem Dach der Fischerhütte herunter und schleudert die Anrichte, auf der Frau Carrar vor Kurzem noch Brotteig zubereitete, direkt vor die erste Sitzreihe im Marstall. Dann stürzen die Holzwände krachend ein und es bleibt eine Ruine stehen.
Brecht kombinierte das Stück mit einem Film
Schon Brecht hatte empfohlen, seinen knappen Stücktext, mit dem er 1938 auf die Ereignisse in Spanien reagierte, nicht einzeln für sich aufzuführen, sondern mit einem Dokumentarfilm über den Spanischen Bürgerkrieg zu kombinieren.
Statt der beabsichtigten Propaganda gegen Francos faschistischen Putsch schließt das Residenztheater einen antikisierend rhythmischen Text in den Trümmern des gerade beendeten Kriegs an. Den Vorschlag, einen Film zu zeigen, griff Regisseurin Luise Vogt für den ersten Teil ihrer formal strengen und doch intensiven Inszenierung dennoch auf. In dem vom hellen Holzton der Bretter beherrschten Bühnenraum von Fabian Wendling baut sie ein Kino aus den 1930er-Jahren nach.
Die weiß geschminkten Personen lassen ihre Rs rollen wie der Sprecher in “Fox’ tönende Wochenschau” und haben dank modernster Tontechnik auch den scheppernden Sound historischer Aufnahmen. Über allem flimmert es fleckig wie auf einer ramponierten Filmkopie. Hier betrauert Teresa Carrar (Barbara Horvath) den Tod ihres Mannes, der von den Putschisten erschossen wurde.
Muss man mit Gewalt auf Gewalt reagieren
Doch anders als die Nachbarn will sie nicht kämpfen. Krieg, so ist sie sicher, ist nichts für arme Leute. Den älteren Sohn Pablo schickte sie zum Fischen aufs Meer, dessen jüngerer Bruder José (Pujan Sadri) hält vom Fenster aus Wache. Dann taucht Pedro (Oliver Stokowski), Frau Carrars Bruder, auf und will die in der Fischerhütte versteckten Gewehre des Ermordeten mitnehmen.
Doch die Kriegerwitwe beharrt auf ihrer Position, sich aus den Kämpfen herauszuhalten. Erst die Nachrichten vom Tod Pablos nach einem Angriff der Faschisten auf sein Boot und vom Massaker, das die Franquisten in Málaga anrichteten, ändern ihre Haltung: Mit den Gewehren des toten Mannes verlässt sie zusammen mit dem Bruder und dem verbliebenen Sohn das Dorf, um sich dem Widerstand anzuschließen.
Der Konflikt zwischen Frieden schaffen ohne Waffen oder mehr Waffen für weniger Krieg, den Brecht mit seinem Stück diskutierte, kommt Theaterpublikum fast 80 Jahre später beklemmend aktuell vor: Soll man der Ukraine die Waffen liefern, die sie braucht, um sich gegen ein skrupellos imperialistisches Russland zu wehren? Darf Israel sich gegen Terroristen aus dem Nachbarland wehren und wie weit dürfen die Angegriffenen dabei gehen? Oder hat recht, wer angreift?
Das Maschinengewehr hat keine Hoffnung mehr
Der visuellen und akustischen Verfremdung folgt in “Würgendes Blei” Verfremdung durch Dichtung. Seigner konterkariert den kargen Brecht-Sprech mit lyrischen Texten und lässt einen Chor auftreten. Frau Carrar und ihr Bruder sind angesichts der erlebten Gräuel zerbrochen und träumen den Traum aller Nachkriegsgenerationen: Nie wieder Krieg!
Doch der Autor verabschiedet sich von dieser Illusion und belegt in einem finalen Monolog eines einsamen Maschinengewehrs (Florian Jahr) bei einem Tässchen Tee die völlige Aussichtslosigkeit, den offenbar naturgesetzlich menschlichen Kreislauf der Gewalt irgendwann durchbrechen zu können. Dabei bedauert sogar das Maschinengewehr, dass “man aus mir nichts Nützliches geschaffen hat. Einen Löffel, eine Pfanne oder das Tor zu einem Garten”.
Marstall, 23., 28. Dezember, 16., 26. Januar, 20 Uhr, sonntags 19 Uhr, Tel. 21851940