Wirtschaft

Mehr Netto vom Brutto: Die neue Steueragenda | ABC-Z

Wozu dienen Steuern? Die Frage mag verwundern, da die Antwort scheinbar auf der Hand liegt: Steuern geben dem Staat die Mittel, die er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn Steuern sind immer auch ein Instrument der Wirtschaftspolitik. Sie helfen, Verteilungsziele zu erreichen. Und sie setzen Verhaltensanreize – oder besser: Fehlanreize.

Und da ist man schon beim Kern des deutschen Problems. Denn hierzulande steht die Steuerpolitik vor allem im Dienst des vermeintlich Sozialen. Der Solidaritätszuschlag wurde für Normalverdiener abgeschafft, sieht man von der noch bestehenden Belastung ihrer zumeist geringen ­Kapitalerträge ab. Wer gut verdient, wird aber weiter zur Zwangssolidarität verdonnert. Man passt die Einkommensteuer den gestiegenen Preisen an (Ausgleich der kalten Progression), nimmt aber den „Balkon“ ganz oben im Tarif aus nach dem Motto: Die „Reichen“ könnten die Inflation verkraften, die haben es doch.

Eine durchgreifende Reform der Einkommensteuer gab es schon lange nicht mehr. Wenn aber nur die kalte Progression ausgeglichen wird, führt das im progressiven Steuertarif dazu, dass ein reales Gehaltsplus eine Mehrbelastung nach sich zieht. Das ist ein schleichender Prozess. Wenn das über Jahre, sogar Jahrzehnte so läuft, rutschen selbst Normalverdiener in Steuerregionen, die ursprünglich nicht für sie gedacht waren. So unterliegen immer mehr Bürger mit Teilen ihres Einkommens dem Spitzensteuersatz. Da gleichzeitig die Beitragsgrenzen in der Sozialversicherung von Jahr zu Jahr erhöht werden, lassen Steuern und Sozialabgaben gemeinsam selbst eine schöne Brutto-Gehaltserhöhung zu einem traurigen Nettoplus schrumpfen. Das mindert die Lust auf Mehrarbeit und erhöht den Anreiz, vier statt fünf Tage zu arbeiten.

Trauriger Spitzenreiter

Der Abgabekeil zwischen dem, was Arbeitgeber zahlen, und dem, was bei den Arbeitnehmern ankommt, ist in Deutschland besonders hoch. Das rechnet die Industrieländerorganisation OECD Jahr für Jahr vor. Aber es interessiert offenbar keinen. Ob der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Olaf Scholz oder Christian Lindner heißt, ob er von der CDU, der SPD oder wie zuletzt von der FDP kommt, ist egal – nichts ändert sich. Entweder fehlt es am Willen, den Steuertarif tiefgreifend zu korrigieren, oder an der Mehrheit, das Gewünschte durchzusetzen. Angesichts der Überschüsse im Staatshaushalt, die es im vergangenen Jahrzehnt gab, ist dieses Unterlassen besonders ärgerlich.

Parallel hat der Standort für Unternehmen an Attraktivität verloren. Andere Regierungen reagierten auf den Wettbewerb und senkten die Gewinnbelastung. Deutschland wurde durchgereicht. Zuletzt versuchten der zum Kanzler aufgestiegene Scholz und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit milliardenschweren Zuschüssen Investitionen ins Land zu locken, mit enttäuschendem Ergebnis. So manches Projekt wurde auf Eis gelegt oder gestrichen.

Arbeit und Investitionen müssen sich mehr lohnen

Viel zu lange wächst die deutsche Wirtschaft nicht mehr. Die Steuerpolitik ist ein Grund, wenn auch nicht der einzige. Doch auch auf diesem Feld muss die nächste Regierung mehr Ehrgeiz entwickeln. Selbst wenn es platt klingt: Arbeit und Investitionen müssen sich mehr lohnen. Die Programme von Union und FDP weisen in die richtige Richtung. SPD und Grüne sind nicht zu einem solchen Kurswechsel bereit. Die Sozialdemokraten wollen sogar noch mehr umverteilen. Sie wollen etwa 95 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen entlasten – und dafür Spitzenverdiener und Reiche belasten. SPD und Grüne lehnen es auch ab, die Steuern auf Gewinne zu senken. Stattdessen versprechen sie Investoren eine Prämie. Das bedeutete noch mehr Bürokratie und brächte Deutschland im internationalen Steuervergleich nicht voran.

Das Land könne eine große Steuerreform nicht stemmen, heißt es oft. Das Gegenteil ist richtig: Deutschland kann sich den steuerpolitischen Stillstand nicht länger leisten. Das zeigt eine schlichte Rechnung: Ein Prozent mehr Wachstum erhöht das Bruttoinlandsprodukt um gut 40 Milliarden Euro. Mit der aktuellen Steuerquote wären das etwa zehn Milliarden Euro mehr für den Fiskus. Hinzu kämen höhere Einnahmen für die Sozialkassen.

Die Schweiz zeigt, wie ein weniger umverteilender Staat floriert. Oder Irland: Die Regierung in Dublin besteuert Kapitalgesellschaften nur mit 12,5 Prozent – und erwirtschaftet einen gigantischen Überschuss. Der Rückschluss ist naheliegend: Etwas mehr Schweiz und Irland täten Deutschland gut.

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