Geopolitik

Mehr Grün im urbanen Raum: Jetzt soll der Mini-Urwald bei der Klimaanpassung helfen | ABC-Z

Eine Idee aus Japan löst einen globalen Trend aus: Mitten in der Stadt werden Miniwälder gepflanzt und sich selbst überlassen. Dadurch würden die Städte vor Überhitzung geschützt, sagen Verfechter – und stellen spürbare Temperaturunterschiede fest. Mancherorts werden sechsstellige Summen investiert.

Neben der Nikolaus-Grundschule im Stadtteil Essen-Stoppenberg steht ein Urwäldchen. Eingehegt von einem Holzzaun wächst und wuchert es auf fast 500 Quadratmetern.

Dort, wo einst Rasen bis zum Bordstein reichte, ragen dünne Bäumchen aus der Mitte der Fläche empor: Sandbirke, Hainbuche, Traubeneiche, Esskastanie, weiter außen Feldahorn, Vogelkirsche, umstellt von Sträuchern, Weißdorn, Schlehe und Ohr-Weide. Dazwischen Obstgehölze wie Holzapfel und Wildbirne. An die 1500 Setzlinge wurden ganz eng gepflanzt. Sie konkurrieren stärker miteinander und wachsen dadurch viel schneller.

Hier, an der Straße Kapitelwiese, entsteht seit etwa zwei Jahren ein „Miniwald“ mit heimischen Arten und soll Schmetterlingen, Vögeln und Insekten einen neuen Lebensraum bieten. „Wir versuchen, eine Waldstruktur zu imitieren“, sagt Johanna Marks. Die Geografin mit Schwerpunkt Stadt- und Landschaftsökologie, arbeitet in der Stabsstelle „Grünentwicklungskonzepte, Biodiversität, Fördermittelmanagement“ der Stadt Essen in Nordrhein-Westfalen.

Ein Miniwald sei „in den seltensten Fällen ein Wald im eigentlichen Sinne; dafür wären weitere Waldeigenschaften notwendig, zum Beispiel Waldklima und Waldboden. Aber es ist eine Möglichkeit, mehr Grün in die Stadt zu bringen“, sagt Marks. Die 39-Jährige ist an einem Novembertag mit Kollegin Ute Kerbusk, zuständig für Freiraum- und Objektplanung, zum Areal an der Kapitelwiese gekommen. Gleich wird sie mit einem Farbspray einen geeigneten Standort für ein Insektenhotel an dem Zaun markieren.

Zwischen all den Pflanzen sprießt auch das knorrige Wort „Biodiversität“. Die Stadt Essen will die Artenvielfalt schützen, die durch Flächenversiegelung und Klimawandel bedroht ist. Miniwälder sollen das Mikroklima verbessern. Es geht um Verdunstungskühle, Luftfilterung, Kohlenstoff-Bindung und Schwammfunktion.

„Wir stellen gerade einen gesamtstädtischen Masterplan für das städtische Grün auf und ermitteln Standorte für ganz unterschiedliche Maßnahmen. Dazu gehören auch Miniwälder“, erzählt Marks. Es kommen auch Standorte mit nicht sehr fruchtbarem Boden in Betracht. Ein Miniwald befindet sich auf einem früheren Schulgelände im Haus-Berge-Park. Im Untergrund sind noch Ziegel vorhanden, eine Altlast. Die Pflanzen wachsen hier wesentlich langsamer als an der Nikolaus-Grundschule.

Die Miniwald-Idee geht zurück auf den japanischen Botaniker Akira Miyawaki, der in den 1970er-Jahren begonnen hatte, einheimische Wäldchen im großstädtisch geprägten Raum anzulegen, möglichst dicht gepflanzt und mit nährstoffreichem Boden. Verschiedene Initiativen propagieren die Miyawaki-Methode inzwischen weltweit, international ist sie auch unter dem Begriff „Urban Forests“ bekannt. In Europa gelten Niederlande und Belgien als Vorreiter mit ihren „Tiny Forests“.

Der Trend ist über die Grenze nach Deutschland gelangt. „Wir merken, dass das Interesse auch in anderen Kommunen deutlich zunimmt. Wir bekommen Anfragen, und wir tauschen uns mit anderen Städten darüber aus, welche Erfahrungen sie mit Miniwäldern machen“, sagt Marks.

„Es setzt sich das durch, was für den Standort passend ist“

In Deutschland ist der erste Miniwald 2019 im schleswig-holsteinischen Bönningstedt entstanden. Der Verein Citizens Forests hat ihn angelegt und berät andere, die das Gleiche tun wollen. „Wir bemerken diesen Trend auch. Es entstehen bundesweit viele Gruppen, die Tiny Forests anlegen wollen. Es melden sich auch immer öfter Privatleute, die eine Wiese besitzen und uns um Rat fragen. Wir haben mehr Anfragen, als wir bedienen können“, sagt Boris Kohnke, 54, 2. Vorsitzender von Citizens Forests.

Der Verein hat in diesem Jahr an einem internationalen Symposium über „Urban Forests“ an der japanischen Yokohama National University – Miyawakis Wirkungsort – teilgenommen und sich mit Gleichgesinnten ausgetauscht. Ihnen geht es darum, im Kleinen etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. „Mit einem Tiny Forest lässt sich lokal die Temperatur senken. Das ist wichtig für Städte, um nicht zu überhitzen. Schon nach drei Jahren gibt es einen Temperaturunterschied von zwei bis fünf Grad zwischen Waldbinnenklima und Außenumgebung“, erklärt Kohnke.

In Düsseldorf werden sie „Quartierswäldchen“ genannt. Das erste ist dieses Jahr auf fast 2000 Quadratmetern eines ehemaligen Schrottplatzes entstanden, mit 123 Bäumen, 175 Großsträuchern und Wiesenstauden. Neun weitere Standorte sind in den kommenden Monaten geplant. 900.000 Euro aus dem städtischen Haushalt sind dafür vorgesehen. Im 30 Kilometer entfernten Mönchengladbach wurden dieses Jahr gleich 13 „Mikrowälder“ angelegt. Die Kosten sind abhängig vom Standort und belaufen sich durchschnittlich auf jeweils 15.000 Euro.

Im Beller Park, nahe einer Tennisanlage, sind drei Flächen mit jeweils 300 Quadratmetern entstanden. Etwa 50 Zentimeter Boden wurden abgetragen und mit Strukturkompost vermischt und wieder eingesetzt. Noch wölbt sich der neue Untergrund leicht nach oben, bald wird er sich setzen. „Das ist im Prinzip ein Wald, der sich so entwickelt, als ob es uns Menschen nicht geben würde. Es setzt sich das durch, was für den Standort passend ist. Wir sind ganz gespannt, was an den verschiedenen Standorten passieren wird“, sagt Simon Webers, Landschaftsgärtnermeister und Projektleiter bei den Mönchengladbacher Abfall-, Grün- und Straßenbetrieben.

Miniwälder seien eine gute Möglichkeit, den Boden zu entsiegeln, und wieder durchlässig zu machen, auch für Wasser, um Überschwemmungen zu vermeiden. „Eine Rasenfläche kann das nicht leisten, und man muss dazu sagen, sie ist auch ökologisch nicht so wertvoll. Wo jahrzehntelang Rasenmäher drübergefahren sind, ist der Boden so verdichtet, da gibt es praktisch kein Bodenleben mehr“, sagt der 34-jährige Projektleiter bei einem Treffen im Beller-Mühle-Park.

Er berichtet davon, wie durch den Strukturkompost im Boden ein Schwammeffekt entsteht und der Boden optimal genährt wird. „Wir haben dem Boden Nährstoffe zugefügt, dadurch wird sich das Ganze rasant entwickeln, viel, viel schneller als im normalen Garten“, sagt Webers.

Es geht schneller, aber dennoch braucht ein Miniwald Zeit und Geduld. Welche Arten sich durchsetzen, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

Politikredakteur Kristian Frigelj ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Nordrhein-Westfalen.

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