Camus „Caligula“ am Münchner Volkstheater – München | ABC-Z

Es ist tragisch, als Caligula stirbt, aber irgendwie auch lustig. Gerade hatte er den großen Moment der Erkenntnis, gesteht sich seine Fehler ein. „Wir werden auf ewig schuldig sein“, sagt er resigniert, nur kommt das zu spät. Drei Männer tauchen auf, stoßen den Kaiser zu Boden. Es ist ein Tod ohne Blutvergießen, Caligula erstarrt zur Statue, seine linke Hand erinnert an die winkende Queen. Die Männer richten ihn auf. Jetzt sieht er aus wie eine Figur aus Madame Tussauds. Es ist so absurd, man will lachen.
Bis zur Premiere von „Caligula“ am Münchner Volkstheater sind es noch wenige Tage. Regisseur Ran Chai Bar-zvi probt die Schlussszene mit Steffen Link, der den römischen Kaiser gibt. Nach „Das große Heft“ ist „Caligula“ Bar-zvis zweite Inszenierung im Haus an der Tumblinger Straße. Bar-zvi, 36 Jahre alt, studierte an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin Kostüm- und Bühnenbild. In Inszenierungen wie „Dark Room“, „Blutbuch“ und „Das große Heft“ setzte sich der gebürtige Israeli viel mit queerer Identität auseinander. Nun eine Tragödie von Albert Camus. Was fasziniert ihn daran?
:Rettet ein Säufer die Demokratie?
Ewald Palmetshofer hat mit „Sankt Falstaff“ ein neues Stück geschrieben, in dem er Shakespeare mit der politischen Gegenwart verbindet. Nun kommt die Uraufführung am Residenztheater heraus.
In der Probe ist die Statue mittlerweile wieder zum Leben erwacht. Bar-zvi lässt Steffen Link zur vorigen Szene zurückspulen, es ist der Moment, wo Caligula gerade seine Geliebte Caesonia (gespielt von Maximiliane Haß) umgebracht hat. Verspielte Elektrosounds, leicht verstörend, setzen ein, Caligula schleicht zur vorderen Bühne. Mit einem Dolch sticht er den Boden auf und holt eine Urne heraus. Atmet schwer, er scheint überwältigt. Bar-zvi, nah am Bühnenrand, blickt konzentriert hoch. „Spiel es zart, sentimental“, sagt er. Immer wieder springt er auf die Bühne, blickt in den Saal, als wolle er sich vergewissern, dass es sich um ein Theater handele.
2024 gewann Bar-zvi den Kurt-Hübner-Regiepreis. Die Erklärung: Bar-zvi öffne die Bühne zum Publikum. Damals war das auf seine Inszenierung von Kim de l’Horizons „Blutbuch“ bezogen: Bevor das eigentliche Stück losging, führte er eine Dragshow im Theaterfoyer auf, die Dragqueens interagierten mit den Zuschauern. Bei „Caligula“ aber muss das Publikum aufpassen. Hier sind es keine Dragqueens, die den Zuschauer verführen, hier ist es ein Autokrat. Caligula tötet seine Geliebte. Er kann aber auch zart, sentimental sein. Und Witze reißen, die sogar lustig sind.
Diktatur der Heiterkeit
Bar-zvi sucht mit „Caligula“ die öffentlichen Momente, sucht nach dem Verführerischen des Horrors. Inspiriert haben ihn zeitgenössische Autokraten und ihr Populismus: die Stimmung der Trump-Rallys etwa, mit der empowernden Rockmusik, den Witzen, die der US-Präsident über Minderheiten macht. Bar-zvi erzählt von einem Brandenburger AfD-Politiker, der Bilder eines Kalenders mit Abschiebe-Airlines postete. Der Horror kommt als Internet-Meme. Was ist, wenn es einen zum Lachen bringt?
„Bei Caligula hat mich interessiert, wie sich die Diktatur durch die Heiterkeit bauen kann: indem man Spaß hat. Und nicht durchs Gruseln“, so Bar-zvi. „Der Wunsch des Menschen, frei zu sein und über alles lachen zu dürfen, macht die Leute zu Mitläufern. Und verwischt die Grenze der Schuld.“ In der vielleicht bekanntesten Szene des Stückes macht sich Caligula über die Götter lustig, indem er sich als die römische Göttin Venus verkleidet. Sein Gegenpart, Scipio, wirft ihm daraufhin Blasphemie vor und entgegnet, man dürfe sich nicht über den Glauben anderer lustig machen.

Bar-zvi und sein Team wollen die Venus-Szene nutzen, um die großen Fragen von Freiheit und Moral aufzumachen, die auch heute die Gesellschaft beschäftigen: Wo fängt die Freiheit eines Individuums an, wo hört sie auf? Wie moralisch wollen wir sein? Von Beginn an war Bar-zvi fasziniert davon, wie Caligula aufgrund seines Leids den Sinn des Lebens infrage stellt. Dann aber, getrieben von seinem Schicksal, die politische Macht gebraucht, um seine Umwelt nach eigener Willkür zu verändern. „Wir vergessen oft, dass Politiker auch Menschen sind, mit eigenen Geschichten.“ Caligula, er steckt auch in den Trumps, Putins und Erdoğans dieser Welt.
„Meine Freiheit ist nicht die richtige“, sagt Caligula, als er erkennt, dass sein radikales Experiment, sich von allen Werten und Moral zu befreien, gescheitert ist. Bei der Probe sitzt er auf dem Boden, streckt seine Hand in die Urne, holt einen Haufen Asche hervor und lässt ihn in der Luft zerstäuben. Reibt sich die Asche auf seine Haare, auf seine Schultern, in langsamen, bedachten Bewegungen. Es braucht wenige Worte, um die Fehler zu erkennen. Vielleicht aber umso mehr Asche.
Mit der reduzierten Sprache von Camus könne er sehr gut arbeiten, sagt Bar-zvi. „Da geht es weniger um realistische Gespräche, sondern darum, das Leben in eine poetische Ebene zu übersetzen.“ In seiner Arbeit sucht der Wahlberliner nach der Sprache, die für ihn poetische Bilder auslöst. Und so verzichtet die Inszenierung bewusst auf explizite Gewaltdarstellung. Das passt ohnehin besser zu modernen Autokraten und ihrem Populismus. „Die politische Gewalt von heute ist verdeckt und passiert mehr im Kopf“, sagt der 36-Jährige. Das Brutale auf der Bühne hüllt er in Poesie. Weniger Springerstiefel also, mehr Rhetorik. Schließlich soll die Gewalt zum Nachdenken anregen, nicht erschrecken.
Es ist genau jener poetische Ansatz von Bar-zvi, dass das Stück sowohl die großen existenzialistischen Fragen um Freiheit und Moral verhandeln, aber dennoch sinnlich bleiben soll: Während die Patrizier rauschende Partys feiern, wird wenige Sekunden später jemand umgebracht. Während die eine auf der Bühne live singt, der andere E-Gitarre spielt, philosophiert der Dritte. So verführt man ein Publikum heute.
Caligula, Premiere: Donnerstag, 23. Januar, 19.30 Uhr, Münchner Volkstheater, www.muenchner-volkstheater.de