Medienkompetenz-Experte: „Viele können gefälschte Bilder nicht erkennen“ | ABC-Z
Interview mit Medienkompetenz-Experte
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„Viele können gefälschte Bilder nicht erkennen“
Desinformation im Netz verstärkt sich über Algorithmen – und wird über die Masse dann für viele zur Wahrheit. Wer dem nicht ausgeliefert sein will, muss das System verstehen, sagt Michael Wirths, der mit seiner Organisation sehr praktisch aufklärt.
rbb: Michael Wirths, Sie sitzen mit Ihrer Organisation „Topio“ sehr öffentlich in der Arminius Markthalle in Berlin Moabit. Warum hier?
Michael Wirths: Weil wir hier Menschen aus allen Schichten und Altersgruppen erreichen. Es ist ein Unterschied, ob wir hier sitzen oder in einem Hackerspace, womöglich in irgendeinem Keller, wo nur ein bestimmtes Publikum kommt. Hier ist es viel offener und viel transparenter für die Menschen, sie können einfach vorbeilaufen und uns ansprechen.
Sie haben in den vergangenen beiden Jahren in der Markthalle die Veranstaltungsreihe „Fake is real – Netzwerken gegen Desinformationen“ organisiert. Wer hat da teilgenommen?
Menschen aus der ganz normalen Bevölkerung, im Alter von 25 bis 70 Jahren. Es waren auch Menschen mit einer gewissen Demokratie-Skepsis dabei, die sich fragen: Wem kann man überhaupt noch trauen? Eine Person gab es, die den Glauben an die Demokratie verloren hatte. Aber schon die Erfahrung, ein Mikrofon in die Hand zu nehmen und ihre Frage an die Vortragenden laut zu äußern, war gut. Es gibt auch Leute, die sagen: Ich mache mir generell Sorgen in Bezug auf das Thema Desinformation.
Fake News ist ja eher ein politischer Begriff. Es gibt natürlich auch Fehlinformationen, die ein Medium aus Versehen veröffentlicht, die am nächsten Tag dann wieder richtiggestellt werden. Das ist keine Desinformation und das sind auch keine Fake News.
Mit welchen Fragen kommen die Menschen in Ihre Veranstaltungen?
Die Sorge ist groß, wo ihnen Desinformation begegnet. Menschen hören Begriffe wie KI, Algorithmen und so weiter. Die digitale Welt ist für sie gruselig, überall lauern Gefahren. Für sie ist wichtig zu schauen: Wie kann ich das erkennen, wie kann ich sozusagen damit umgehen, wie kann ich mich davor schützen?
Und wie kann man sich schützen?
Es gibt ein paar klassische Grundregeln. Erstmal muss man schauen: Wer spricht überhaupt zu mir? Was ist die Quelle? Wenn es geht, kann man zum Beispiel nachschauen, wer im Impressum steht. Und dann sehen, wer diesen Kanal oder diese Plattform betreibt.
Dann kann ich überprüfen, ob das Bild zum Text passt. Ob es andere ähnliche Meldungen in anderen Medien gibt. Was sagen Faktenchecker, wie zum Beispiel Correctiv oder Mimikama dazu? So kann ich überprüfen, ob das wirklich weit verbreitet ist – oder eine einzelne Meinung. Und dann die Frage: Ist es sehr emotional ausgerichtet oder eher ein sachlicher Bericht? Das sind einige Faktoren.
Was man nicht vergessen darf: wenn irgendetwas unsere Meinung bestätigt, gehen wir grundsätzlich eher davon aus, dass es wahrscheinlich wahr sein muss. Das ist das Dilemma, das sich immer weiter selbst verstärkt. Diesen Mechanismus muss man verstehen.
Und dann ist es wichtig, einen Schritt zurückzugehen und sich nicht permanent von News überströmen zu lassen.
Kann man erkennen, was KI-generiert ist und was nicht?
Vielen fällt das schwer. Wir hatten zum Beispiel ein Bild, auf dem Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zu sehen war, der sich mit Leuten von der „Letzten Generation“ angeblich auf der Autobahn festgeklebt hätte. Und dann sieht man nebendran viele Kommentare wie: „Der hat da nur für zwei Sekunden gesessen und sich ein Heizkissen daruntergelegt.“
Eigentlich müsste ich doch überlegen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundespräsident sich auf der Autobahn festklebt, sehr gering ist. Da könnte man schon eine gewisse Skepsis haben. Die gibt es aber teilweise nicht. Es ist erstaunlich, dass viele der Teilnehmenden gefälschte Bilder nicht erkennen konnten.
Für sie war das Seminar in dieser Hinsicht auf jeden Fall ein Erkenntnisgewinn.
Was braucht es, um solchen falschen Informationen und falschen Bildern nicht auf den Leim zu gehen?
Einerseits brauchen wir mehr Medienkompetenz, mehr Aufklärung und mehr Bildung. Vielleicht auch, dass Menschen mit einer KI in Berührung kommen und sie testen können. Dann stellen sie fest, wie einfach das funktioniert, aber auch, dass die Antwort vielleicht gar nicht faktisch richtig ist, sondern nur irgendein Text.
Ich glaube, den Menschen fehlen Erfahrungen – jeder sitzt in seiner Filterbubble allein vor seinem Gerät und sieht die Inhalte, die ihm der Algorithmus reinspült. Man bespricht sie selten in der Familie.
Das ist anders als früher vor dem Familienfernseher. Das muss man tatsächlich aufbrechen und vielleicht am Wochenende mal gemeinsam Smartphone schauen, um zu begreifen: Was sehen eigentlich meine Familienmitglieder, meine Verwandten? Dann versteht man vielleicht, warum die in ihrer Denkweise in eine andere Richtung gewandert sind.
In den USA hat Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram, die Faktenchecker abgeschafft. Wie wichtig sind Faktenchecks aus Ihrer Sicht?
Ich bin da skeptisch, denn ich sehe ja meist trotzdem die Inhalte, auch wenn da irgendwo ein kleiner Hinweis ist: Achtung, das ist vielleicht so und so zu beurteilen. Das nehmen die Leute meist gar nicht so wahr.
Wir von Topio e.V. wünschen uns einen Weg hin zu einem gemeinwohlorientierten Internet, das heißt also Plattformen, die nicht mehr rein auf dem Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie basieren und nicht so stark auf Empfehlungsalgorithmen ausgelegt sind.
Was stellen Sie sich da vor?
Es gibt Alternativen wie Fediverse und Mastodon. Dort gibt es keine Algorithmen, sondern ich bekomme Inhalte in der Timeline, je nachdem welchen Menschen ich folge. Das mag vielleicht ein bisschen mühseliger sein, aber es hat den Vorteil, dass dieses aufgeputschte „Algorithmen schmeißen mir was auf meine Timeline“ nicht stattfindet.
Es gibt ja schon den großen „X-odus“, also viele Menschen und Institutionen verlassen die Plattform X (vorher Twitter), weil wir einfach merken, das geht nicht mehr, da werden Grenzen überschritten. Und jetzt sehen wir mit Zuckerberg vielleicht eine ähnliche Entwicklung.
Wir müssen uns fragen: Was wollen wir eigentlich hier in Europa? Wie sollen demokratische Prozesse aussehen? Wir merken, dass Social-Media-Plattformen einen hohen negativen Impact auf unsere Gesellschaft haben und dass sie Polarisierung fördern. Die Frage ist: Wie lange wollen wir uns das noch anschauen?
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Ebert, rbb24 Inforadio.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.01.2025, 08:30 Uhr