MediaForEurope: Was die Übernahme von ProSieben.Sat1 bedeutet | ABC-Z

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Die Aktionäre von ProSieben.Sat1 machen den Weg frei für eine Übernahme durch den italienischen Medienkonzern MFE. Das neue Unternehmen kann in Europa so zu einem wichtigen Player werden. Doch es gibt viele Sorgen.
Die Aktionäre von ProSiebenSat.1 haben nach einer langen Abwehrschlacht für das Übernahmeangebot der italienischen MediaForEurope-Holding (MFE) gestimmt. Die Italiener konnten nach eigenen Angaben ihren Anteil von bisher 33 Prozent auf 75,6 Prozent aufstocken – und sich damit gegenüber dem tschechischen Konkurrenten PPF durchsetzen.
Kartellrechtlich gibt es keine Hürden für den möglichen Deal. Eine mögliche Übernahme wurde bereits 2023 der Europäischen Kommission sowie 2024 der Bundeswettbewerbsbehörde zur Prüfung vorgelegt. Damals hatten die Anteile der Firma Berlusconi die Grenze von 25 Prozent überschritten.
Das Ziel der Holding unter der Führung von Pier Silvio Berlusconi, dem Sohn des inzwischen verstorbenen Medienunternehmers und früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, ist es, einen europäischen Fernsehkonzern zu schaffen. Ein solcher soll auch den US-Streaming-Riesen Paroli bieten können.
ProSiebenSat.1 aktuell Nummer zwei in Deutschland
Die Voraussetzungen für ein starkes europäisches Senderkonglomerat sind nicht schlecht: Mit ProSieben.Sat1 schluckt der MFE Deutschlands Nummer zwei bei den Privaten. Nur RTL ist unter den deutschen privaten Fernsehkonzernen noch einmal deutlich größer – und im europäischen Raum in mehr Ländern unterwegs.
Zudem gilt Deutschland trotz sinkender Umsätze als einer der lukrativsten Märkte beim Geschäft mit TV-Werbung. Und ProSieben-Sat.1 ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz ein wichtiger Player. Beides sind zwar eher kleinere Märkte, aber solche, auf denen MediaForEurope bisher nur über seine Beteiligung an ProSiebenSat.1 vertreten war.
In Italien und Spanien bereits dominant
MediaForEurope wiederum ist in Italien und Spanien bereits sehr erfolgreich. In Italien ist die Sendegruppe laut dem Center for Media Pluralism and Media Freedom (CMPF) am Europäischen Hochschulinstitut Florenz gemeinsam mit der staatlichen Sendergruppe Rai marktbeherrschend. Es bestehe ein “Fernsehduopol”; beide Unternehmen erreichten “zusammen immer noch fast 75 Prozent der Gesamtzuschauer”, attestieren die Forschenden. Auch in Spanien ist MFE mit Mediaset laut dem CMPF sehr erfolgreich und konkurriert mit einem anderen privaten TV-Konzern um die Nummer eins bei den privaten Sendern.
Die auf den Medienmarkt spezialisierte Analysefirma Ampere schätzt, dass die kombinierten TV-Werbeeinnahmen von MFE nach der Übernahme von ProSiebenSat.1 in diesem Jahr bei rund 3,6 Milliarden Euro liegen könnten – das entspräche fast 25 Prozent des gesamten TV-Werbemarkts in den fünf größten europäischen Märkten. Damit wäre der neue Zusammenschluss ein ernstzunehmendes Schwergewicht.
Kehrtwende wegen RTLs Sky-Plänen?
Dass ProSieben.Sat1 am Ende doch eine Übernahme empfohlen hat, hat viele Beobachter überrascht. Denn bisher pochte der Konzern mit Hauptsitz im bayerischen Unterföhring auf seine Eigenständigkeit. Die MFE-Holding hatte jedoch schon in den vergangenen Jahren immer mehr Einfluss als Anteilseigner im Unternehmen gewonnen.
Dass es nun zu der Kehrtwende gekommen ist, liegt nach Analyse des Medienjournalisten Uwe Mantel nicht nur am verbesserten Angebot der MFE an die Aktionäre. Ein zentraler Faktor für ihn sind die Übernahmepläne RTL Deutschlands an Sky Deutschland. “Künftig gäbe es im klassischen TV-Markt nicht mehr zwei ähnlich große Player, stattdessen sähe sich ProSiebenSat.1 einem erheblich größeren Konkurrenten aus Köln – mit neuer Dependance in der Unterföhringer Nachbarschaft – gegenüber. Zusätzlich zu der ohnehin stetig stärker werdenden Konkurrenz durch die internationalen Streamer im Zuschauer- und Werbemarkt”, argumentiert Mantel auf DWDL.de. Zumindest wenn die Kartellbehörden grünes Licht zur Übergabe durch RTL geben, so der stellvertretende Chefredakteur des Medienmagazins DWDL.de.
DJV warnt vor mehr Populismus im Programm
Viele Beobachter sorgen sich allerdings um die Unabhängigkeit von ProSiebenSat.1 – inhaltlich wie wirtschaftlich. So etwa auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). “MFE bietet keine Gewähr für den Fortbestand von Medienvielfalt und kritischem Journalismus bei ProSiebenSat.1”, warnte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster. Es bestehe die Gefahr, dass der deutsche Sender schleichend auf populistische Berlusconi-Linie getrimmt werde. Außerdem seien journalistische Arbeitsplätze bei ProSiebenSat.1 in Gefahr. Beuster sagt: “Das ist das Letzte, was wir im privaten Rundfunk in Deutschland brauchen.”
Tatsächlich bescheinigt auch etwa das Center for Media Pluralism and Media Freedom, dass die Verflechtungen der Berlusconi-Familie in die Politik auch nach dem Tod von Silvio Berlusconi weiter eng sind. Die rechtspopulistische Partei Forza Italia (derzeit Teil der Regierungsmehrheit) erhalte weiterhin Finanzmittel von der Familie, heißt es im aktuellen Report für Italien. Silvio Berlusconi hatte die Partei einst gegründet. In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder Kritik, dass Berlusconi Senior das Programm seiner Sender politisch beeinflusst und es auf einen eher rechtskonservativen Kurs getrimmt habe.
Berlusconi: Redaktionelle Unabhängigkeit wird bewahrt
Auch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer zeigte sich bereits besorgt und lud Pier Silvio Berlusconi gar zum Gespräch ins Kanzleramt. “Meine Besorgnis kreist um die Frage, ob die journalistische und wirtschaftliche Unabhängigkeit auch nach einem Eigentümerwechsel gewahrt bleibt”, sagte Weimer dem Spiegel.
Berlusconi Junior versuchte diese Sorgen im Vorfeld abzuwiegeln. Sein Unternehmen wolle die deutsche Senderkette nicht komplett übernehmen. “Wir zielen nicht auf vollständige Kontrolle ab, sondern auf Flexibilität, die es uns ermöglicht, eine klare Richtung vorzugeben, die auf einer gemeinsamen Vision beruht”, sagte Berlusconi. MFE werde die redaktionelle Unabhängigkeit und die nationale Identität von ProSiebenSat.1 bewahren.
Nach einem Treffen mit MFE-Chef Berlusconi Junior sagte Weimer jedoch, der Konzern habe sich “zum Standort Deutschland und zur Wahrung redaktioneller Unabhängigkeit” bekannt.
Drastisches Sparprogramm erwartet
Die Mitarbeiter des deutschen TV-Konzerns dürften nun dennoch schlecht schlafen. Denn ein Zusammenschluss heißt auch: Sparkurs. Innerhalb der kommenden vier bis fünf Jahre könnten beide Konzerne jährlich rund 150 Millionen Euro durch Synergieeffekte einsparen, teilte ProSiebenSat.1 vor einigen Tagen mit. Möglich sei das aber nur bei einer vollständigen rechtlichen Integration.
Auch MFE kalkuliert nach eigener Darstellung mit 400 Millionen Euro, die sich bei einem Zusammenschluss einsparen ließen. Experten halten diese Zahlen für unrealistisch.
Konzern schwächelte zuletzt
Die deutsche Sendergruppe ist hoch verschuldet und musste für 2024 zum dritten Mal in Folge ein sinkendes Betriebsergebnis bekannt geben. Bereits im Frühjahr hatte ProSiebenSat.1 wegen des zuletzt schwächelnden Geschäfts den Abbau von rund 430 Vollzeitstellen angekündigt.
ProSiebenSat.1 machen vor allem Rückgänge im Werbemarkt und hohe Investitionen im Wettbewerb mit Unternehmen wie Netflix und anderen Streamingdiensten zu schaffen.