Maybrit Illners 1000. Sendung: Scholz findet “überhaupt nicht gut, dass es so läuft” | ABC-Z
Tausend Sendungen in 25 Jahren: Zum Jubiläum erscheint der Bundeskanzler bei Maybrit Illner. Die konfrontiert Olaf Scholz eine volle Stunde mit seinen zahlreichen Krisen: vom Ansehen der Ampel über die schrumpfende Wirtschaft bis zum Ukraine-Krieg. Scholz’ Antworten darauf bleiben oft unscharf.
Maybrit Illner ist am Abend zum 1000. Mal auf Sendung. Unklar aber, ob sie sich zum Jubiläum ihres nunmehr 25 Jahre alten Politik-Talks einen besonders prominenten Gast gewünscht hat – oder einen besonders herausfordernden. Olaf Scholz erfüllt praktischerweise beide Kriterien. Der Bundeskanzler lässt sich in dem rund einstündigen Gespräch von keiner Frage aus der Ruhe bringen. Es ist nicht einmal zu erahnen, was es mit dem Innersten des Sozialdemokraten macht, eine derart desaströse Bilanz seiner Regierung vorgehalten zu bekommen: das zweite Jahr in Folge eine schrumpfende Wirtschaftskrise, historisch schlechte persönliche Umfragewerte, miserable Zeugnisse renommierter Journalisten für seine Ampelkoalition. Scholz’ Mimik: ungerührt. Er kennt ja all die Anwürfe.
“Es ist überhaupt nicht gut, dass es so läuft”, ist noch der kritischste Satz, der dem Regierungschef bei der Beschreibung der Regierungszusammenarbeit über die Lippen kommt. Doch er bleibt dabei: Mehrparteienkoalitionen seien die neue Normalität in Deutschland und Europa. Und die seien schwierig, da helfe auch kein Chef-Gebaren, wie es immer wieder von Scholz gefordert wird – nicht zuletzt von den eigenen Genossen in der SPD. Mühselig, das räumt Scholz ein, sei das aber schon: “Aus meiner Sicht ist es schon manchmal sehr schwer, all die vielen Streitigkeiten durchzustehen und alles dafür zu tun, dass gute Ergebnisse dabei herauskommen.”
Scholz setzt wieder aufs “Unterhaken”
Doch Scholz hält bekanntermaßen weder etwas davon aufzustecken noch den Kopf im Sand zu vergraben. Die Bundesregierung habe einen Auftrag abzuarbeiten. “Da sollte sich keiner einfach in die Büsche schlagen. Mein Stil ist das jedenfalls nicht”, sagt Scholz. Ob seine Regierung bis zum letzten Tag hält, oder ob womöglich die FDP noch binnen Jahresfrist die Zusammenarbeit aufkündigt, gilt als völlig offen. Am Tag der “Maybrit Illner”-Ausstrahlung jedenfalls streiten sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner einmal mehr öffentlich über mögliche Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft.
Eigene Vorschläge will Scholz jetzt noch nicht in die Debatte einwerfen, sondern erst einmal die Wirtschaftsverbände anhören. Am Dienstag soll der “Industriegipfel” im Kanzleramt stattfinden. Wie vor zwei Jahren beschwört Scholz das “Unterhaken”, der Begriff fällt wieder mehrmals. Damals hatten sich Arbeitgeber, Gewerkschaften und Bundesregierung im Rahmen der “konzertierten Aktion” auf steuerfreie Inflationsprämien verständigt. Der Staat hatte also auf zusätzliche Steuereinnahmen verzichtet.
Ob es diesmal wieder so billig geht, scheint zweifelhaft. Habeck jedenfalls wirbt für das schuldenfinanzierte Bezuschussen von Investitionen. Lindner hält das weder für vernünftig noch für vereinbar mit dem Beihilferecht und den Verschuldungsregeln der EU. Gebraucht würden Maßnahmen, von denen “alle gleichzeitig sagen, das sind die richtigen”, sagt Scholz über die Idee seines Industriegipfels. “Ich möchte nicht, dass da ein Theater stattfindet”, sagt Scholz, sondern “eine vertrauliche Diskussion”. Auf Illners Einwurf, wie man so zu schnellen Ergebnissen komme und ob nicht längst alle Positionen auf dem Tisch lägen, geht Scholz nicht ein.
Einen Vorwurf lässt Scholz nicht gelten
Unklar ist auch, wie Scholz eine im Kanzleramt mit Industrie und Gewerkschaften erreichte Verständigung anschließend in der Koalition durchsetzen kann. Alles, was Geld kostet, ist mit dem auf Kante genähten Haushalt nicht zu machen. Lindner sagt am Tag der “Maybritt Illner”-Sendung, nach den jüngsten Steuereinnahme-Schätzungen müsse beim bisherigen Haushaltsentwurf für 2025 noch ein mittlerer einstelliger Milliardenbetrag eingespart werden. Eine Aussetzung der Schuldenbremse im kommenden Jahr oder gar eine Reform der grundgesetzlich verankerten Schuldenregel ist – Stand heute – mit den Freidemokraten keinesfalls zu machen.
Wenn es im Verlauf der Sendung doch einmal zu so etwas wie einem emotionalen Moment bei Olaf Scholz kommt, dann bei Illners Frage, ob die Regierung zu spät auf den realen Wohlstandsverlust durch die Inflation reagiert habe? “Na, jetzt finde ich, sollten Sie Herrn Putin nicht ganz rauslassen, der hat die Gaslieferungen nach Deutschland eingestellt”, erinnert Scholz an den Anfang der Wirtschaftskrise, nämlich den von Russland losgetretenen Ukraine-Krieg. “Alle haben mit einer riesigen Wirtschaftskrise gerechnet für 10, 20 Jahre”, sagt Scholz über die 50 Prozent deutscher Gas-Importe, die mehr oder weniger plötzlich nicht mehr kamen.
Die Ampelkoalition habe 100 Milliarden Euro Schulden aufgenommen, “um die Preise herunterzusubventionieren” und alternative Energie-Importe zu ermöglichen. “Eines kann man nicht sagen: Das die Bekämpfung der Inflation und ein Ausgleich für Bürgerinnen und Bürger nicht eine große Rolle gespielt hätten”, hält Scholz fest und erinnert dabei auch an die steuerfreie “Inflationsausgleichsprämie”. Auch der Ausbau der Erneuerbaren Energien komme nun mit großer Schnelligkeit voran, was die Energiepreise langfristig senke und stabilisiere. Scholz erinnert zudem daran, dass er mehr Unternehmen als bislang günstigere Energien ermöglichen will. Wie die Ampel aber weitere Strompreissubventionen finanzieren könnte, bleibt unklar.
Keine Taurus-Lieferung, kein NATO-Beitritt
Was Wirtschaft und Haushalt gleichermaßen helfen würde, wäre ein Ende des Krieges in der Ukraine. Doch zu diesem Thema ist von Olaf Scholz nichts Neues zu erfahren. Die Lieferung deutscher Mittelstreckenraketen vom Typ Taurus lehnt Scholz weiter entschieden ab. Er werde weiter “besonnen” handeln und deshalb “werde ich bestimmte Waffen nicht liefern, von denen ich denke, dass sie zu einer Eskalation beitragen”, sagt Scholz. Er sei “sehr, sehr skeptisch, was jetzt die Diskussionen betrifft, über Ziele in Russland anzugreifen mit den Waffen aus USA und Europa”. Seine Verantwortung sei es, einen “großen Krieg”, einen Krieg zwischen Russland und NATO, zu verhindern.
Hier grenzt sich Scholz auch von seinem Herausforderer ab, Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. “Ob man wirklich verantworten kann, mit Ultimaten, die man stellt an eine Atommacht, Politik zu betreiben?”, fragt Scholz mit Blick auf Merz’ Bundestagsrede in der vorangegangenen Woche. Darin hatte der CDU-Chef vorgeschlagen, dass die europäischen Staaten Putin aufforderten, keine zivilen Ziele wie Heizkraftwerke und Krankenhäuser zu bombardieren. Andernfalls würde die Reichweitenbeschränkung für westliche Waffen fallen und die Ukraine auch Taurus erhalten. Merz forderte Scholz, aber auch die eigene Partei, zu weniger Angst vor Putin auf.
Wie will Scholz zu Verhandlungen kommen?
Scholz aber geht das zu weit. Anders die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen vom Typ Tomahawk in Deutschland: Dieser Schritt trage zur Sicherheit der Bundesrepublik bei, sagt Scholz. Deutschland müsse militärisch so stark sein, dass es nicht angegriffen werde. Wie sehr diese Stationierung derzeit dem Sozialdemokraten Dietmar Woidke die Regierungsbildung in Brandenburg mit der Partei von Sahra Wagenknecht erschwert, kommentiert Scholz lieber nicht. Woidke werde “sich nicht kirre machen lassen”, sagt Scholz nur. Außen- und Verteidigungspolitik sei Sache von Bundestag und Bundesregierung, nicht die der Länder.
Einer Einladung zum NATO-Beitritt der Ukraine vor Beilegung des Krieges erteilt Scholz erneut eine Absage. Wie er ein Ende oder zumindest eine Unterbrechung des Krieges erwirken will, bleibt völlig unklar. “Die militärische Lage ist jetzt eine, wo es wirklich soweit ist, wo man gucken muss: Kriegt man das auch wieder beendet?”, erläutert Scholz seine vor Wochen geäußerte Erkenntnis, es müsse über ein Ende des Krieges verhandelt werden. Was genau heute anders ist, als vor einem Jahr, bleibt ebenso offen wie ein konkreter Weg zu Verhandlungen unter Einbeziehung Russlands oder was Scholz überhaupt für einen gerechten Frieden für die Ukraine hält. Das hilft auch alles Nachhaken von Illner nicht.
Drittstaaten-Lösungen “nicht die Lösung”
Als die Sendung fast vorbei ist, kommt Illner noch auf das Thema Migration und innere Sicherheit zu sprechen. Die Union dürfte die Kürze der Zeit einigermaßen empören, hält sie das doch für Thema Nummer eins derzeit. Es wäre auch spannend gewesen, zu hören, was der Bundeskanzler zur Teilblockade seines Sicherheitspakets durch die Union im Bundesrat sagt. Oder was er über den sich immer weiter verschärfenden Ton in der Debatte denkt.
Zumindest Drittstaatenlösungen, Asylverfahren also in Ruanda oder Albanien, lehnt Scholz ab: “Das ist jetzt ehrlicherweise nicht die Lösung des Problems, mit dem wir herausgefordert sind”, sagt Scholz. Es sollten weniger Menschen überhaupt nach Europa kommen, weshalb er eine Verlängerung des EU-Türkei-Abkommens unterstütze. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan bekommt Milliarden von der EU, damit sie Asylsuchende nicht die Ägäis nach Griechenland und Bulgarien passieren lässt – oder zumindest nur einen Teil dieser Menschen.
Scholz verweist zudem auf Erfolge durch mehr Grenzkontrollen. “Es werden weniger und die Rückführungen werden mehr”, sagt er über die Zahl der Ankünfte in Deutschland. Tatsächlich werden die Zahlen für ganz Europa niedriger. Anteilig kommen aber mehr Menschen nach Deutschland, weil die anderen EU-Staaten ebenfalls immer rigider vorgehen. Auf diesen Unterbietungswettbewerb steigt Scholz bei Illner nicht ein.”Während wir die irreguläre Migration zurückdrängen wollen und die Zahlen massiv runterkriegen wollen, wissen wir, dass wir gleichzeitig denen Schutz bieten müssen, die wirklich Schutz vor Verfolgung brauchen.”
Der Jubiläumsgast wirft mit seiner ihm eigenen Art ein Scheinwerferlicht auf eine besondere Kunst der Gastgeberin: In Sachen innerer Ruhe und Unbeirrbarkeit steht Maybritt Illner dem Bundeskanzler während der Sendung in nichts nach. Auch scharfe Kritik und herausfordernde Fragen stellt Illner so sachlich, wie sie die Antworten entgegennimmt. Sie unterbricht Scholz, ohne die Stimme zu heben, und hört sich seinen Widerspruch an, ohne Missmut zu zeigen. So bleibt das Gespräch immer das, was der Gast daraus macht – seit nunmehr 25 Jahren. Herzlichen Glückwunsch.