Geopolitik

Maybrit Illner: „Stehen vor einer katastrophalen Entwicklung, auf die wir keine Antworten nach sich ziehen“, warnt Gerald Knaus | ABC-Z

Bei Maybrit Illner ging es am Donnerstagabend ein weiteres Mal um die Migration. Während Michael Kretschmer dafür warb, mehr auf die Länder zu hören und für innereuropäische Kontrollen plädierte, bemühte Omid Nouripour in seiner Erwiderung den abwesenden Armin Laschet.

Die globalen Krisen und ihre lokalen Folgen dominieren die Nachrichtenlage. Am Freitag will die Ampel-Koalition ein Sicherheitspaket beschließen, mit dem sie das Waffenrecht verschärfen und die Leistungen für ausreisepflichtige Migranten kürzen wird. In der SPD-Fraktion soll sich gegen die Pläne genug Widerstand geregt haben, dass Bundeskanzler Olaf Scholz es laut Berichten des „Spiegel“ für nötig erachtete, indirekt mit der Vertrauensfrage zu drohen. Am Donnerstag diskutierte auch Maybrit Illner die Migrationsthematik. „Mehr Kriege, mehr Flüchtlinge – zurück zum Schlagbaum in Europa?“, fragte sie den Grünen-Vorsitzenden Omid Nouripour, den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), den Migrationsforscher Gerald Knaus sowie die Journalistinnen Sarah Tacke, Kristina Dunz und Natalie Suzanne Steger.

„Da finden Dinge statt, aber es ist in der Tat zu wenig“, kritisierte Michael Kretschmer in Bezug auf das Sicherheitspaket. Zurückweisungen an der Grenze oder die Kürzung von Sozialleistungen nach dänischem Vorbild fehlten ihm etwa in den Plänen der Ampel-Regierung. Auf europäischer Ebene habe gerade Deutschland„quer im Stall“ gestanden und damit lange Zeit Maßnahmen verhindert, mit denen die Geflüchtetenzahlen hätten verringert werden können. Zugleich nahm der CDU-Politiker jedoch den Bundeskanzler in Schutz, der sich in Kenia, Usbekistan und der Türkei für Abkommen engagiere. „Der macht viel mehr, als öffentlich bekannt worden ist. Und er macht es vor allen Dingen auch gegen die grüne Partei.“

Kretschmer warb dafür, den Bundesländern zu folgen. „Wenn man auf die Ministerpräsidenten hört“, betonte er selbstbewusst, „dann wäre man viel weiter gekommen, weil wir viel näher dran sind an dem, was das Land, was die Menschen denken.“ Für sein Land schwebt dem sächsischen Ministerpräsidenten etwa eine Grenzpolizei zu Polen vor. Ihm gehe es dabei um einen „Dreiklang“, führte der CDU-Politiker aus. Die Beamten hätten die Aufgabe, gegen Kfz-Diebstähle vorzugehen, die „Teufelsdroge“ Crystal Meth zu bekämpfen und den Durchstrom illegaler Migration zu begrenzen. In Warschau sei er auf „großes Verständnis für die deutsche Position“ gestoßen, betonte er. „Die Außengrenzen müssen sicher sein.“

„Wenn ein Bundesland es so macht wie Sie“, dann gehe der „europäische Gemeinsinn flöten“, konterte Kristina Dunz. Alleingänge einzelner Mitgliedstaaten bedeuten für Europa „ein Zerfasern, ein Egoismus, wer sich am besten schützen“ könne. Sie störe sich in der Debatte insbesondere daran, „dass wir überhaupt nicht über die Menschen sprechen“, die mitunter von „Verbrechern“ wie Putin und Lukaschenko „irgendwo abgeladen werden“. Da sich Deutschland stärker schützen müsse, werde mittlerweile „hart, erbarmungslos und inhuman“ über Menschen gesprochen. „Der Aspekt der Menschlichkeit ist verlorengegangen“, beanstandete die „RND“-Journalistin, „und ich sorge mich vor einer Stimmung der Angst, der Aggression“.

„Wir haben derzeit zwei der größten Flüchtlingskrisen der letzten Jahrzehnte weltweit an den Toren der Europäischen Union“, führte Gerald Knaus aus, dessen trockene Zahlen wenig Raum für die von Dunz geforderte Humanität ließen. In der Ukraine herrsche die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Drei Millionen syrische Geflüchtete befänden sich in der Türkei, eine weitere im Libanon. Viele Libanesen wiederum flüchten in den türkisch kontrollierten Norden Syriens. Der Krieg in Gaza setze sich fort, ein weiterer könnte zwischen Israel und dem Iran ausbrechen. „Wir stehen vor einer katastrophalen Entwicklung, auf die wir keine Antworten haben“, warnte der Sozialwissenschaftler eindringlich.

An der Wirkung bisheriger Maßnahmen zeigte Omid Nouripour Zweifel. Die einseitig von Nancy Faeser verhängten Grenzkontrollen hätten partiell die Zahlen gedrückt, gestand er ein. Letztlich verbreite sich aber das Gefühl, es stünden „fünf Azubis an der deutsch-luxemburgischen Grenze und zählen Tanktouristen oder halten Armin Laschet auf“, bemängelte er in Anspielung auf Medienberichte, nach denen der frühere CDU-Kanzlerkandidat in Rheinland-Pfalz von der Bundespolizei abgefangen worden war. Kritik fand er auch an Ursula von der Leyens Vorschlag, Asylsuchende nach Mali zu schicken. „Ich habe mir mehrere Minuten die Augen gerieben“, klagte er im Hinblick auf einen Staat, in dem das russische Militär mitgeputscht hatte.

Die möglichen Erfolgsaussichten internationaler Maßnahmen ordnete abschließend Sarah Tacke ein. Alleingänge brächten nichts, konstatierte die Juristin, da das Asylrecht auf europäischen Regeln basiere. Insgesamt müssten sogar drei Ebenen betrachtet werden. Neben den europäischen Grundlagen des Asylsystems gebe es die internationale Ebene rund um völkerrechtliche Verträge wie die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die deutsche Ebene des Grundgesetzes. Alle drei Regeln ließen sich ändern oder streichen. Einzige Ausnahme sei dabei der Grundsatz mit Ewigkeitswert zur Menschenwürde, nach der niemand in den sicheren Tod geschickt werden dürfe. „Wenn wir den abschaffen, schaffen wir uns ab.“

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