Debatte über Wehrpflicht: Was die Parteien erreichen wollen | ABC-Z

Der Bundestag berät am Donnerstagnachmittag erstmals über die Wehrdienstpläne der Bundesregierung. Innerhalb der schwarz-roten Koalition ist in den vergangenen Tagen der Streit über das Thema eskaliert, nun sollen die strittigen Fragen im parlamentarischen Verfahren geklärt werden. Bis zu einem Bundestagsbeschluss dürfte sich der Gesetzentwurf noch ändern.
Was hat Pistorius geplant?
Der Verteidigungsminister will die Bundeswehr attraktiver machen – unter anderem mit deutlich besserer Bezahlung. Vor allem aber will Pistorius, dass vom nächsten Jahr an alle jungen Männer nach ihrem 18. Geburtstag einen Onlinefragebogen ausfüllen müssen. In dem Fragebogen sollen zum Beispiel Bildungsabschlüsse und sonstige Qualifikationen sowie die Bereitschaft zum Wehrdienst abgefragt werden. Von Juli 2027 an sollen alle Wehrpflichtigen gemustert werden. Ziel ist es, die Zahl der Soldaten in Deutschland um 80.000 zu erhöhen. „Zunächst“ will Pistorius dabei auf Freiwilligkeit setzen, aber das könnte sich ändern. Eine Pflicht zum Dienst ist vorgesehen, wenn sich entweder nicht genug Freiwillige finden, oder wenn sich die sicherheitspolitische Lage aus Sicht der Bundesregierung und des Bundestages ändert.
Was wollten Abgeordnete von Union und SPD am Pistorius-Entwurf ändern?
Die Union hat an Pistorius‘ Plan kritisiert, dass er nicht genau genug regelt, wann aus der Freiwilligkeit eine Pflicht zum Wehrdienst werden soll. Eine Arbeitsgruppe aus den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Norbert Röttgen (Union) und Siemtje Möller (SPD) sowie Mitgliedern des Verteidigungsausschusses sollte die Koalitionsdebatte befrieden. Die Abgeordneten einigten sich auf einen Kompromiss, der eigentlich am Dienstag hätte vorgestellt werden sollen. Er sah das dänische Modell vor: Aus einem Jahrgang soll gelost werden, welche Männer gemustert werden. Wenn von den Gemusterten nicht genügend Bürger bereit sind, zur Bundeswehr zu gehen, soll noch einmal gelost werden, wer muss. In der SPD-Fraktion gab es aber Kritik an den vorgeschlagenen Änderungen.
Wie hat Pistorius auf die Änderungen reagiert?
Der Verteidigungsminister, selbst SPD-Politiker, ist dagegen, dass nur ein ausgeloster Teil eines Jahrgangs für die Bundeswehr infrage kommt. „Es geht um die flächendeckende Musterung, die ich einfach brauche, für die Einsatzfähigkeit und für die Fähigkeit, einzuberufen im Ernstfall“, sagte er am Mittwochmorgen. Zuvor hatte er kritisiert, dass es Änderungsvorschläge gibt, bevor sein Gesetzentwurf überhaupt im Bundestag diskutiert wurde. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen kritisierte den Verteidigungsminister daraufhin. „Mit dem Gesetzentwurf von Boris Pistorius wird die Bundeswehr nicht verteidigungsfähig“, sagte Röttgen der F.A.Z..
Wie geht die Debatte in der Koalition weiter?
Nach dem Eklat bemühten sich Politiker von Union und SPD um einen ausgleichenden Ton. Pistorius sagte: „Ja, ich habe von einem faulen Kompromiss gesprochen, aber ich habe niemanden persönlich angegriffen.“ Er deutete an, dass es ihm besonders um die flächendeckende Musterung geht. Unionspolitiker betonten vor allem, am Losverfahren festzuhalten, der Vorsitzende des Verteidigungsauschusses Thomas Röwekamp (CDU) sagte: „Wenn die Freiwilligkeit nicht reicht, wollen wir zur Wehrpflicht zurück.“ Das wolle auch der Minister. „Aber er verschweigt, wie er die Auswahl derjenigen treffen will, die am Ende zum Wehrdienst herangezogen werden.“
Unions-Fraktionschef Jens Spahn versprach im Bundestag Union und SPD würden sich einigen. Die Bundeswehr brauche bis 2035 90.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten und insgesamt 200.000 Reservisten. „Auf dem Weg dahin – und da sind wir uns einig –, braucht es verbindliche, messbare und nachvollziehbare Zwischenziele, bis wann was erreicht sein soll”, sagte er. Wenn die zunächst von der Koalition angestrebte Freiwilligkeit für diese Zahlen ausreiche, sei das gut. Ansonsten müsse es sowohl eine Pflicht als auch eine Auswahl von 10.000 oder 20.000 zusätzlichen Soldaten aus einem Jahrgang von bis zu 300.000 jungen Männern geben. Spahn stellte infrage, dass die Musterung all dieser Männer notwendig sei und stellte sich damit gegen Pistorius. Stattdessen habe die Union für diesen Fall das Losverfahren vorgeschlagen. Wenn jemand eine bessere Idee habe, solle er sie vorschlagen, sagte Spahn.
Die Frage, ob ein Losverfahren rechtlich möglich sei, werde im Licht der für den 10. November geplanten Expertenanhörung geprüft, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese. Das ist ein übliches Verfahren bei Beratungen im Bundestag und seinen Ausschüssen. In der SPD gibt es rechtliche Bedenken gegen das Losverfahren.
Wie steht die Opposition zum Wehrdienst?
Die AfD kritisiert die Kompromissvorschläge. AfD-Chefin Alice Weidel sagte: „Ich habe so etwas Schwachsinniges selten gehört.“ In der Partei allerdings ist die Wehrpflicht umstritten. Während Weidel für eine Wehrpflicht ist, wenn auch gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt, ist der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke dagegen. Er forderte von der Bundestagsfraktion einen Beschluss gegen eine „Wehrpflicht für fremde Kriege“. Einen Antrag auf Wiedereinführung der Wehrpflicht hatten Politiker der AfD schon vor Monaten angekündigt – einig ist sich die Fraktion in der Frage aber offenbar nicht.
Die Grünen kritisieren den Los-Vorschlag ebenfalls. „Völlig undurchdacht“ sei dieser, sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann. Die Partei warnt zudem vor neuer Bürokratie. Vor der Bundestagswahl warb die Partei für einen freiwilligen Wehrdienst, aber auch für „schnellere Rekrutierungsmechanismen“. Am Donnerstag kritisierte die zweite Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge im Bundestag, Schwarz-Rot habe ein „absolutes Chaos“ angerichtet, das weder die Bundeswehr noch die jungen Bürger verdienten. Einen Vorschlag, wie die Bundeswehr neues Personal bekommen soll, wenn sich nicht genug Freiwillige melden, haben die Grünen nicht vorgelegt, auch wenn sie im Grundsatz für die Stärkung der Armee eintreten.
Die Linke sieht in den schwarz-roten Plänen eine „Lotto-Wehrpflicht“. Fraktionschef Sören Pellmann sagte, das Vorhabe erinnere ihn „an den Roman ,Tribute von Panem’, wo Kinder für die Hungerspiele ausgelost werden“. Die Linke lehnt die Wiedereinführung der Wehrpflicht ab.




















