Maßregelvollzug in Berlin: Neue Chefin, alte Probleme | ABC-Z
Der Maßregelvollzug in Berlin ist seit Jahren in einer schweren Krise. In die Einrichtung kommen verurteilte Straftäter*innen mit psychischen oder Suchterkrankungen, die nicht oder vermindert schuldfähig sind – und die das Gericht weiter für gefährlich hält. Doch das Krankenhaus ist chronisch überlastet: Eine zu hohe Zahl an Patient*innen wird von zu wenig Personal betreut und behandelt.
Zu Jahresbeginn waren laut der zuständigen Senatsgesundheitsverwaltung 623 Patient*innen stationär im Maßregelvollzug untergebracht – vorgesehen sind allerdings nur 549 Betten. Hinzu kommen 250 Patient*innen, die extern versorgt werden.
Gleichzeitig ist ein Viertel der Stellen in der Krankenpflege nicht besetzt, es fehlen rund 120 Vollzeitkräfte. Bei den Ärzt*innen ist die Lage sogar noch dramatischer: Hier ist fast die Hälfte der Vollzeitstellen offen: 25 von 55. Zum Teil werden Psycholog*innen auf Arztstellen eingesetzt, um diese Lücke füllen.
Neue Leitung, neuer Personalrat
Mit der Einstellung von Julia Krebs ist es nun immerhin gelungen, die prominenteste vakante Stelle in dem Krankenhaus zu vergeben. Krebs bringt Erfahrung in der forensischen Psychiatrie mit, sie war bislang Oberärztin in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Justizvollzugskrankenhauses Berlin.
Für die Gesundheitsexpertin der Berliner Grünen-Fraktion, Catherina Pieroth, ist das ein Lichtblick: „Genau solche motivierten und fachkundigen Leute brauchen wir, diesen Job kann man nur gut mit viel Engagement ausfüllen“, sagt sie zur taz. „Wenn Julia Krebs entsprechend unterstützt wird, kann sie mit Sicherheit die Personal- und Organisationsentwicklung im Krankenhaus des Maßregelvollzugs zum Besten vorantreiben.“
Julia Krebs und die ebenfalls neue Chefin des Sicherheitspersonals vervollständigen die vierköpfige Krankenhausleitung. Zudem ist seit Anfang Dezember ein neuer Personalrat im Amt. Das Gremium vertritt die Belange der Beschäftigten und wurde turnusmäßig für vier Jahre neu gewählt.
Es sind also einige – zumindest personelle – Neuanfänge im Maßregelvollzug zu Beginn dieses Jahres. Aus Rücksicht auf diese „Findungsphase“ möchte sich der Personalrat auch vorerst nicht zu der Situation im KMV äußern.
Angehörige beklagen unhaltbare Zustände
Katja Schneider, die in Wirklichkeit anders heißt, hat einen Angehörigen, der Patient im Maßregelvollzug war. Gemeinsam mit anderen Betroffenen setzt sie sich in einer Unterstützer*innengruppe für die Belange der dort Untergebrachten ein. Schneider hofft, dass sich unter der neuen Leitung etwas ändern wird. „Für die Patienten ist die Situation nach wie vor schlecht“, sagt sie der taz. „Die Zustände sind nur schwer auszuhalten.“
Oft gehe es nur darum, dass die Patient*innen ihre Medikamente nehmen. „Andere Therapieformen scheitern am Personalmangel, zum Teil wartet man Wochen auf ein Arztgespräch“, berichtet Schneider. So rücke die Entlassung für viele Patient*innen in weite Ferne. „Und diese Ungewissheit mündet in Verzweiflung.“ Hinzu komme die räumliche Enge in dem Krankenhaus, die Konflikte und Gewalt begünstige. „Wenn man irgendwo lange eingesperrt ist, dann knallt es“, sagt sie.
In solchen Situationen sei die Isolierung von Patient*innen „ein übliches Problemlösungsmittel“, erklärt Katja Schneider. „Da bleibt man dann Stunden, Tage oder gar Wochen.“ Tatsächlich ist die Zahl der isolierten Patient*innen stets hoch. Ende Dezember 2024 befanden sich 28 Patient*innen in sogenannten besonderen Sicherungsmaßnahmen.
Ex-Chefarzt Reiners hatte bereits im vergangenen Jahr eingeräumt, dass alle Isolationszellen im KMV durchgängig belegt seien. Für Schneider unhaltbare Zustände: „Das ist keine Behandlung, das ist Misshandlung“, sagt sie. „Es gibt in diesen Isolierzellen nichts, um sich zu beschäftigen. Sie sind außer Bett, Tisch, Toilette ohne Gegenstände. Isolierungen führen zu weiteren seelischen Verletzungen.“
Ein Patient befindet sich seit über sechs Jahren in Isolation. Daran hat sich seit der taz-Recherche von vergangenem Herbst nichts geändert, erklärt die Senatsgesundheitsverwaltung auf Nachfrage. Die „Gemeinschaftsfähigkeit“ des Patienten werde aber „selbstverständlich regelmäßig überprüft“, so ein Sprecher. Nach den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen gilt eine Einzelhaft an mehr als 15 aufeinander folgenden Tagen als Folter.
Personaloffensiven laufen ins Leere
Um die Zustände in dem Krankenhaus zu verbessern, muss ein Teufelskreis durchbrochen werden: „Überbelegung und Stigmatisierung gehen Hand in Hand mit dem Personalmangel“, analysiert Grünen-Politikerin Catherina Pieroth. Doch die Arbeitsbedingungen sind weiterhin schwierig – was der dauerhaft hohe Krankenstand untermauert, der die ohnehin prekäre Personalsituation noch weiter verschärft. Im vergangenen Jahr lag er durchschnittlich bei 14,7 Prozent.
Hinzu kommt, dass das Personal immer wieder Opfer von Übergriffen wird. 2024 gab es bis einschließlich September zehn Vorfälle, bei denen Beschäftigte von Patient*innen verletzt wurden. Im Vorjahr hatte es mit 40 solcher Fälle einen Höchststand gegeben.
Und so laufen „Personaloffensiven“ mit umfassenden Ausschreibungen und Auftritten auf Jobmessen oft ins Leere. Seit zwei Jahren soll eine Forensik-Zulage für Pflegekräfte den Job im Maßregelvollzug attraktiver machen – mit mäßigem Erfolg.
Nun setzt die Gesundheitsverwaltung auf neue Methoden. Im November wurden Werbespots auf Spotify geschaltet, demnächst startet eine Kampagne zur Personalgewinnung auf Instagram mit Testimonials von Mitarbeiter*innen zu ihren Berufsbildern und ihrer Motivation.
Neue Außenstelle ab Oktober
Die Zeit drängt, denn im Oktober soll eine Außenstelle des Maßregelvollzugs in Lichtenrade in Betrieb genommen werden. Dort wird derzeit ein ehemaliges Abschiebegefängnis umgebaut; 49 zusätzliche Plätze sowie ein Isolierraum sollen entstehen. Aber damit die Kapazitäten auch genutzt werden können, braucht es Personal. Bis 2030 sollen zudem weitere 60 Betten durch die Renovierung eines Gebäudes auf dem Krankenhausgelände in Reinickendorf hergerichtet werden. Immerhin wurde das Budget für den Maßregelvollzug sowie für die Renovierungsarbeiten bei den jüngsten Einsparungen im Berliner Haushalt nicht gekürzt.
Grünen-Politikerin Catherina Pieroth hat jedoch Zweifel, dass die zusätzlichen Plätze etwas an der Krise ändern: „Lediglich die Belegungskapazitäten zu erhöhen wird nicht funktionieren, es zementiert vielmehr das Krankenhaus des Maßregelvollzugs als Parallelsystem.“
Neben räumlichen Erweiterungen müssten auch neue Betreuungskonzepte im Bereich der forensischen Psychiatrie zur Anwendung kommen, sagt Pieroth. Dazu gehöre „mehr Expertise in den allgemeinpsychiatrischen Versorgungskliniken“, aber auch die Versorgung außerhalb der Kliniklandschaft. Letztlich komme es darauf an, die Nachsorge von entlassenen Patient*innen besser zu organisieren.
Katja Schneider findet, dass sich grundsätzlich etwas am System ändern muss. Zwar sei die Unterbringung im Maßregelvollzug laut Gesetz keine Strafe, da die Menschen als schuldunfähig gelten „Aber bei den Zuständen ist es in Wirklichkeit eine extrem harte Strafe, dort untergebracht zu werden – und dann auch noch unbefristet.“