Massive Attack: Boykotteure beklagen Boykott | ABC-Z

Die britische Band Massive Attack hat ein Netzwerk namens Ethical
Syndicate Palestine gegründet. Damit will sie all jenen Künstlerinnen und Künstlern
helfen, die zu Opfern von Zensur, silencing und cancelling würden,
weil sie sich für “das Ende des Genozids” und ein “freies Palästina” aussprächen;
so formuliert es die Band in einer Erklärung
auf ihrem Instagram-Kanal. Nach Ansicht von Massive Attack
sind Menschen, die ihre öffentlichen Plattformen dazu benutzten, “um ihrem
Gewissen” in der beschriebenen Hinsicht “Ausdruck zu verleihen”, gegenwärtig
“aggressiven, schikanösen Kampagnen” ausgesetzt. Als deren wesentliche
Urheberin identifiziert die Band eine Lobbygruppe namens UK Lawyers for Israel, diese stehe auch
hinter den jüngsten Attacken auf die Bands Kneecap und Bob Vylan. Sie alle
sollen “verängstigt und eingeschüchtert” werden.
Der Sänger des Londoner Duos Bob Vylan, Pascal
Robinson-Foster alias Bobby Vylan, hatte bei seinem Auftritt
auf dem Glastonbury Festival unter anderem die Parole “Death death to the
IDF” skandiert, auf deutsch “Tod Tod den israelischen Streitkräften”. Dies
hatte zu allerlei öffentlicher Kritik geführt, der britische Premierminister Keir Starmer sprach von einer “entsetzlichen Hassrede”. Das Management von Bob Vylan trennte sich von dem Duo, ein Konzert
auf dem Radar Festival in Manchester wurde abgesagt. Danach wurden auch
sämtliche Auftritte gestrichen, die Bob Vylan als Vorgruppe der Folk-Punk-Band
Gogol Bordello auf deren Europatournee im September und Oktober spielen
sollten.
Die UK Lawyers for Israel erstatteten Anzeige
gegen den Sänger wegen “bedrohlicher
und beleidigender Äußerungen,
die zu Belästigung, Beunruhigung oder Bedrängnis führen können” sowie wegen der Verbreitung von “rassistischem Hass”,
beides ist in Großbritannien nach dem Public Order Act von 1986 strafbar. Auch
wandten die Lobbyisten sich nach eigenen Angaben an die Eigentümer des
Konzertsaals, in dem das Radar Festival in Manchester stattfand, und forderten
die Ausladung
von Bob Vylan.
Das irische Trio Kneecap steht in der Kritik
seit einem Auftritt in London im November 2024, bei dem sich der Rapper Liam Óg Ó hAnnaidh alias Mo
Chara in die gelbe Hisbollah-Flagge gehüllt hatte, die ein Maschinengewehr
ziert und der Schriftzug “Die Partei Gottes sind die Obsiegenden”, ein Zitat
aus der fünften Sure des Koran. Dazu wurde die Parole “Up Hamas and
Hezbollah” skandiert. Die UK Lawyers for Israel übermittelten ein
Video dieses Auftritts an die UK Counter Terrorism Police. Da Hamas und
Hisbollah in Großbritannien als verbotene Terrororganisationen eingestuft sind,
wurde Mo Chara nach dem Terrorism Act aus dem Jahr 2006 angeklagt. Die
erste Gerichtsverhandlung fand am 18. Juni in London statt; Mo Chara wurde auf
Kaution freigelassen.
In einem Interview
mit dem Guardian beteuerten Kneecap Ende Juni, dass sie Hamas und
Hisbollah nicht unterstützen und das auch niemals getan hätten; auch empörten
sie sich darüber, dass das Video mit dem Gegenbeweis zu ihren Aussagen
überhaupt in Umlauf gebracht worden sei. Das sei eine “Schmutzkampagne”, bei
der eine einzelne Szene “aus dem Zusammenhang gerissen” worden sei.
Ein zweiter Verhandlungstermin in dieser Sache
ist für den 20. August anberaumt. Hingegen wurden die polizeilichen
Ermittlungen wegen des Auftritts von Kneecap beim Glastonbury Festival, bei dem
Mo Chara zur Unterstützung der inzwischen verbotenen, durch Sabotageaktionen
bekannt gewordenen Gruppe
Palestine Action aufgerufen hatte, an
diesem Freitag eingestellt.
Ausgehend von diesen Ereignissen sind Massive
Attack zu der Überzeugung gelangt, dass die Kritik an dem politischen
Aktivismus von Gruppen wie Kneecap und Bob Vylan – aber auch an ihrem eigenen –
wesentlich auf die Kampagnenarbeit solcher Lobbygruppen zurückzuführen ist.
Darum hat sich die Band mit einer anderen Kampagnengruppe zusammengetan,
nämlich mit Led By Donkeys. Diese begann ihre
Karriere Ende der Zehnerjahre mit Social-Media-Kampagnen gegen den Brexit; zu ihrem bevorzugten Aktionsmittel wurden guerillahaft
durchgeführte, riesige Projektionen von Botschaften und Filmen auf öffentlichen
Gebäuden.
Für die Kampagne mit Massive Attack haben sich
Led By Donkeys nun die UK Lawyers for Israel vorgenommen. In einem knapp
zehnminütigen Film, der am Donnerstag auf die Fassade der Charity Commission in
Liverpool projiziert wurde – eine Art Aufsichtsbehörde für
Wohltätigkeitskommissionen –, sammeln sie Beispiele dafür, wie die UK Lawyers
for Israel kulturelle Institutionen unter Druck setzten, sofern diese sich
antiisraelisch geäußert haben; der Film lässt sich auf ihrem YouTube-Kanal ansehen. Beispielsweise hätten die UK Lawyers for Israel die Absage eines
“Drachenbastel-Workshop in Solidarität mit Gaza” erwirkt – mit dem Argument,
dass Drachen an Paraglider erinnerten und diese ja wiederum am 7. Oktober viele
Terroristen der Hamas befördert hätten, die dann das Massaker an der
israelischen Zivilbevölkerung verübten. In den Augen von Led By Donkeys ist
dieser Vorwurf vorgeschoben, denn palästinensische Kinder hätten auch vor dem
7. Oktober schon gerne Drachen gebastelt.