Mohammad Rasoulofs Theaterstück „Destination: Origin“ | ABC-Z

Die Frau in Weiß möchte tanzen. Aber ihre Arme, ihre Füße scheinen gelähmt. Dann lösen sich die Arme von ihrem Körper und beginnen ihren eigenen Tanz. Jetzt sind es drei Personen, die auf der Bühne stehen, jede auf eine andere Weise bruchstückhaft: ein weißer Leib mit schwarzen Gliedern, zwei schwarze Leiber mit jeweils einem Arm in Weiß. Sie hantieren mit Schlingen, sie umkreisen und belauern sich, und von oben, aus dem Nichts, rezitiert eine Stimme einen Vers des persischen Dichters Saadi: „Und ich sah mit meinen eigenen Augen, wie mich meine Seele verließ.“
Dann eine Landschaft aus hängenden Seilen. Dutzende, ein ganzer Wald. Sie glänzen metallisch wie Gitterstäbe, aber sie könnten auch die Luftwurzeln der Würgefeige darstellen, die ihren Wirtsbaum erstickt und von der Mohammad Rasoulofs Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ seinen Titel hat. Die Frauen, jetzt sind es vier, schlängeln sich zwischen den Seilen hindurch, werden von Lichtblitzen geblendet, ducken sich, kriechen weiter, richten sich wieder auf. Das Schlingendickicht ist Versteck und Gefängnis zugleich, es schützt die Menschen, bis das Blitzlicht des Überwachungsapparats auf sie fällt, es fesselt, bedrückt und behütet sie wie das Alltagsleben in einer Diktatur.
Ein Schicksal, verteilt auf drei Körper und Seelen
Mohammad Rasoulof, der Regisseur dieses Theaterabends, hat dieser Diktatur, dem iranischen Gottesstaat, vor mehr als einem Jahr den Rücken gekehrt, nach acht Spielfilmen und zwei Gefängnisstrafen, nach Hausarrest und Berufsverbot. Aber auch drei der Schauspielerinnen, mit denen er „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ drehte, sind aus dem Iran geflohen, und „Destination: Origin“, das Stück, das Rasoulof für das Berliner Festival „Performing Exiles“ inszeniert hat, erzählt ihre Geschichte. Niousha Akshi, Setareh Maleki und Mahsa Rostami sitzen auf Stühlen, während sie von ihrer Arbeit am Film und von ihrer Flucht berichten, immer abwechselnd tritt eine von ihnen vor und spinnt den Faden der Erzählung weiter – auf Farsi, nicht auf Deutsch, denn nur so können sie die Erfahrung, die sie gemacht haben, unverstellt ausdrücken.
Es ist ein Schicksal, eine gemeinsame Erfahrung, verteilt auf drei Körper, drei Seelen. Es handelt von der Furcht, entdeckt zu werden, vom schweren Entschluss, die Heimat zu verlassen, vom Abschied von der Mutter und von den Fluchthelfern, die hier, in den englischen Obertiteln, „Vogelhüter“ heißen, von der letzten Mahlzeit im Land der Eltern und der Kindheit, von der kräftezehrenden Wanderung über die Berge, bis die Grenze erreicht ist, von der es keine Wiederkehr gibt. „Die Augen fürchten sich, die Füße laufen weiter“: Das sagt der Bergführer zu der erschöpften jungen Frau, die sich auf der Bühne einen Abhang hinauf quält, und für einen Moment wird das Theaterbild zur Kinoszene, die Suggestion lässt eine Felsenlandschaft erstehen, die der Landschaft am Schluss von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ gleicht, dem Ort, wo die Familientragödie, die der Film schildert, ihren Höhepunkt und ihr Ende findet.
In dieser Filmverwandtschaft liegt auch die ästhetische Grenze von „Destination: Origin“: Es ist kein Bühnenstück, sondern eine Folge von Variationen über ein Thema. Am Premierenabend im Haus der Berliner Festspiele erzählte Rasoulof, wie er die Szenen auf Flugreisen durch Europa geschrieben habe, um seinen Erlebnissen und denen seiner Schauspielerinnen eine Form zu geben. Als er auf den Krieg zwischen Israel und dem Iran zu sprechen kam, versagte ihm die Stimme. Die Verbindung nach Teheran, zu Freunden und Familie, sei abgerissen, sagte Rasoulof. Es ist diese Bindung, die seelische Nabelschnur, die in „Destination: Origin“ mit Schnüren, Schlingen und Schleudern beschworen wird.
In der vorletzten Szene steht ein abgestorbener Baumstumpf, der Totenschädel eines Baumes, in einer Vitrine. Zwei der Darstellerinnen sind mit Zugseilen daran gefesselt. Sie versuchen sich loszumachen, ins Freie zu gelangen, aber der tote Baum holt sie immer wieder zurück. Die Schlussszene zeigt eine Frau, die in einen Holzrahmen gesperrt ist und von einer Matratzenverkäuferin (Eli Riccardi, die einzige Nicht-Iranerin auf der Bühne) verbal bearbeitet wird. Doch der Schmerz des Exils ist durch keine Matratze zu heilen. Dann dreht sich der Rahmen, auf der Rückseite erscheint eine Sängerin und trägt zu Playback einen iranischen Rap-Song vor. Der Text ist eine Variation des Dichterzitats von Saadi, die Musik eine Mischung aus Stolz und Wut. Ein Ende des Leidenswegs ist nicht in Sicht.
Das iranische Kino zählt zu den künstlerisch bedeutendsten Kinematografien der Welt. Aber bisher ist es keinem einzigen seiner Regisseure gelungen, dauerhaft im Westen Fuß zu fassen. Rasoulof, neben Jafar Panahi der derzeit bedeutendste Filmemacher Irans, stand vor der Wahl, ein drittes Mal ins Gefängnis zu gehen oder sich eine neue Heimat im Ausland zu suchen. Dass er dort innerlich schon angekommen ist, kann niemand erwarten. Insofern ist „Destination: Origin“ auch eine Selbstbefragung – und ein Notschrei. Irgendwann in der Mitte des Abends bitten die Schauspielerinnen das Publikum, ihnen bei der Wohnungssuche zu helfen. Das ist nicht nur wörtlich gemeint.