Marktexperte erklärt Deutscher Aktienindex-Rekord: 20.000 Punkte zum Greifen nah – was das für Anleger bedeutet | ABC-Z
Der DAX eilt von einem Rekord zum nächsten, in wenigen Tagen könnte die Marke von 20.000 geknackt werden. Fondsmanager David Wehner vom Vermögensverwalter FGTC Investment erläutert im Interview mit ntv.de, woran das liegt, welche Gewinne sich erzielen lassen und wie es in den nächsten Wochen an den Märkten weitergeht.
ntv.de: Analysten rechnen damit, dass der DAX bald 20.000 oder noch mehr Punkte erreicht – wie lautet Ihre Prognose?
David Wehner: Die Aktienmärkte sind in diesem Jahr durch einen starken Optimismus getrieben. Die geopolitischen Risiken, ökonomische Unsicherheiten oder auch der Japan-Crash im August konnten ihnen nichts anhaben, solche Ereignisse haben sie innerhalb von Tagen abgearbeitet. Die Anleger glauben außerdem, dass die Zentralbanken keine Rezession erwarten, sondern mit ihren Zinssenkungen auf die Inflation reagieren. In dieser Gemengelage sind die 20.000 Punkte durchaus möglich. Nun kommt es auf die Unternehmenszahlen des letzten Quartals an. Wenn bei den US-Schwergewichten aus dem S&P 500 die Stimmung gut ist, wird der DAX wahrscheinlich mitgerissen.
Wann werden die 20.000 Punkte Ihrer Einschätzung nach geknackt?
Wahrscheinlich in den nächsten Handelstagen, falls die gute Stimmung an der Börse anhalten sollte. Erfahrungsgemäß sind aber auch Gewinnmitnahmen zu erwarten. Kurz vor der US-Wahl Anfang November dürften wir dann einige Korrekturen an den Aktienmärkten sehen. Die Kurse werden wegen der wirtschaftlichen Risiken, die der Wahlausgang mit sich bringt, wahrscheinlich nochmal schwanken.
Welche Branchen sind die aktuellen Kursgewinner in Deutschland?
Die Verlierer sind aktuell die Autoindustrie und der Chemiesektor. Die Gewinner sind, getrieben durch die Rüstungsinitiative in Europa, etwa Rheinmetall. Das momentan wieder wertvollste Unternehmen Europas ist SAP. Wir sehen aber auch eine Wiederbelebung der Konsumsparte wie Adidas. Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht.
Wird es für die Gewinner weiter bergauf gehen oder ist der Höhepunkt erreicht?
Die Hauptgewinner werden wahrscheinlich noch weiter profitieren können. SAP hatte in den vergangenen Jahren Schwierigkeiten, inzwischen aber einen Schwenk in der Produktpalette vollzogen und sich verstärkt auf Künstliche Intelligenz fokussiert. Die Rüstungsindustrie bleibt ein wichtiger strategischer Faktor, außerdem hat sich Europa in den vergangenen Jahrzehnten auf die USA und die NATO verlassen, wir haben hier einen enormen Nachholbedarf. Geopolitische Krisen werden schließlich bleiben.
Was bedeutet das für Anleger – lohnt es sich, jetzt Aktien zu kaufen oder wann wäre ein günstigerer Zeitpunkt?
Wir sind ja nun im letzten Quartal, da gibt es die alljährliche Hoffnung auf die Jahresendrally. Diese findet tatsächlich oft statt. Für Anleger, die schon das ganze Jahr über investiert waren, den Optimismus also mitgenommen haben, ist es aber wahrscheinlich nicht nötig, den Aktienanteil nochmal zu erhöhen. Vielleicht ist es sogar sinnvoll, bei emotional wichtigen Levels wie 20.000 Punkten erst einmal Gewinne zu realisieren. Also wenn mein Aktienanteil bei 100 Prozent liegt, vielleicht auf 80 Prozent runterzugehen und abzuwarten, was die US-Wahl mit sich bringt. Denn da herrscht unseres Erachtens Potenzial für Volatilität. Danach ließen sich vielleicht tiefere Notierungen, die eine interessantere Rendite erwirtschaften können, nachkaufen. Diese Anleger sollten eher erst im November auf eine mögliche Jahresendrally setzen – also keine Sorge haben, Rendite zu verpassen, sondern einen kühlen Kopf bewahren. Jetzt realisierte Gewinne kann einem niemand mehr wegnehmen. Im August und September haben wir gesehen, wie schnell Märkte korrigieren können, die großen Indizes können innerhalb weniger Handelstage um fünf bis zehn Prozent fallen. Wer sich jetzt Luft verschafft, kann solche Bewegungen dann für sich nutzen.
Die Vermögensverwaltung, bei der Sie arbeiten, managt ein Vermögen in Höhe von über einer Milliarde Euro für vermögende Privatpersonen, mittelständische Unternehmerfamilien, Stiftungen und staatsnahe Unternehmen – wie viel davon haben Sie in Aktien gesteckt?
Wir haben unsere Aktienquoten momentan etwas defensiver positioniert. Mandanten, die eine Aktienquote von 100 Prozent hatten, sind jetzt bei 80 bis 85 Prozent. Im vergangenen Quartal haben wir verstärkt auf Anleihen und Gold gesetzt.
Die deutsche Wirtschaft stagniert ja. Wie passt die aktuelle Konjunkturschwäche mit dem DAX-Höhenflug zusammen?
Der DAX ist kein Abbild der deutschen Konjunktur mehr. Weltweit haben sich die Finanzmärkte von der globalen Konjunktur entkoppelt. Bis Anfang der 2000er Jahre war das noch anders: Globale Marktkapitalisierung und BIP korrelierten, die Aktienmärkte bildeten den wirtschaftlichen Output ab. Als die Märkte in der Finanzkrise mit Geld geflutet wurden, hat sich das geändert. Mittlerweile stellen die Aktienmärkte ungefähr 200 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) dar, sie haben sich komplett entkoppelt. Würde der DAX die deutsche Konjunktur abbilden, hätten wir Stände von vor der Corona-Pandemie, da stehen wir ja aktuell konjunkturell.
Was beflügelt die Aktienkurse stattdessen?
Der DAX ist sehr exportorientiert, denn die notierten Unternehmen sind global tätig. S- und MDAX, die sich mehr an der deutschen Konjunktur orientieren, sind im Vergleich zum DAX ins Hintertreffen geraten. Den DAX treiben vor allem die Konjunktur in China und den USA. Als die chinesische Führung vergangene Woche ihren Konjunkturstimulus vorgestellt hat, haben auch deutsche Aktien davon profitiert. Wenn es China gelingt, wieder an seinen Wachstumspfad anzuschließen, profitieren auch deutsche Unternehmen. Und die USA sind in diesem Jahr global gesehen der Wachstumsmotor. Auch Deutschlands größter Absatzmarkt Europa entwickelt sich besser als das Wachstum hierzulande.
China liegt mit den USA und auch Europa – Stichwort Autozölle – allerdings im Handelskonflikt. Könnte dieser den Höhenflug des DAX beenden?
Bei der Autoindustrie sind die negativen Nachrichten schon eingepreist, die Kurse haben sich in den vergangenen Monaten angepasst. Beim Handelskonflikt mit den USA spielt der Ausgang der dortigen Wahl eine entscheidende Rolle. Falls Trump gewinnt und seine nationalistischen Bestrebungen samt Strafzöllen tatsächlich umsetzen würde und auch könnte – wofür er sowohl im Repräsentantenhaus als auch Senat eine Mehrheit bräuchte -, würde Deutschland als Exportnation in die Zange zwischen China und den USA geraten, vor allem die Autoindustrie. Das ist aber ein absolutes Worst-Case-Szenario. Auch während seiner ersten Präsidentschaft konnte Trump nicht alles umsetzen, was er angekündigt hatte.
Auf welchen Präsidentschaftskandidaten setzen Investoren denn inzwischen, Harris oder Trump?
Momentan mehr auf Trump, weil er in den Swing States wieder führt. Auf eine Wette auf Trump deutet auch der Goldpreis hin, der ebenfalls von einem Allzeithoch zum nächsten eilt, obwohl der Dollar und die Renditen bei Staatsanleihen steigen – zwei Faktoren, die grundsätzlich Gift für die Wertentwicklung des Edelmetalls darstellen. Allerdings geht der Markt davon aus, dass die Schuldenquote in den USA nach den Wahlen im November weiter steigt – kein Zufall, da die Republikaner für eine wirtschaftsfreundliche Politik stehen, die refinanziert werden muss. Gold ist mit der globalen Schuldenquote korreliert, das heißt, der Goldpreis steigt bei einem Anstieg der globalen Verschuldung. Und die Öl- und Gasindustrie, die in Trumps erster Wahlperiode profitierten, haben in den vergangenen Wochen eine regelrechte Aufholrally hingelegt. Aber Wahlen sind ja sehr schwankungsanfällig.
Mit David Wehner sprach Christina Lohner