Marktbericht: Wall Street-Anleger wieder mutiger | ABC-Z

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US-Anleger haben sich heute trotz der akuten Zollängste vorgetastet. Die Wall Street-Indizes legten zu, blieben aber unter ihren Rekordständen. Für Aufsehen sorgten aber Nvidia und Microsoft.
Vorsichtig trauten sich heute die Investoren der Wall Street wieder aus der Deckung, nachdem sie zuletzt zurückhaltend agiert hatten. Der US-Standardwerteindex Dow Jones legte knapp ein halbes Prozent auf 44.458 Punkte zu. Der S&P 500 stieg um 06 Prozent 6.263 Zähler.
Der technologielastige Nasdaq-Index gewann dank der anhaltenden Rekordrally des Index-Schwergewichts Nvidia 0,94 Prozent auf 20.611 Zähler. Der Auswahlindex Nasdaq 100 rückte 0,72 Prozent vor. Beide Indizes stehen damit nur ganz knapp unter ihren Rekordhochs. Damit haben sich die US-Börsen wieder etwas nach oben bewegt und bleiben insgesamt trotz der unberechenbaren Zollpolitik der Regierung weiter auf sehr hohem Niveau.
“Die Märkte haben sich an Trumps Verhandlungstaktik – aggressive Auftaktforderung und deutlich niedrigeres Verhandlungsergebnis – gewöhnt”, sagte Anlagestratege Ross Bramwell vom Vermögensverwalter Homrich Berg. Eine größere Kursreaktion sei erst dann zu erwarten, wenn sich die Zölle in den anstehenden Quartalsergebnissen der US-Unternehmen widerspiegelten.
Präsident Donald Trump hat derweil den nächsten Schub an Briefen mit Zollbestimmungen gegen andere Länder zum 1. August bekanntgemacht. Die Europäische Union war zunächst nicht darunter. Die neuen Briefe sind adressiert an Irak, Libyen, Algerien, Moldawien, Philippinen und Brunei. Seit Montag macht der US-Präsident die neuen Zollregeln für Waren in die USA bekannt.
“Was heute auf dem Tisch liegt, muss nicht unbedingt auch morgen auf dem Tisch liegen”, sagte Börsenexperte Oliver Pursche vom Anlageberater Wealthspire. “Anleger ignorieren das Grundrauschen.” Schließlich habe sich die Furcht vor wirtschaftlichen Turbulenzen und einer galoppierenden Inflation durch die Zölle bislang nicht bewahrheitet.
Gestern hatte Trump Zölle von 50 Prozent auf Kupfer und 200 Prozent auf Pharmazeutika angedroht. Außerdem würden die Waren enger Verbündeter wie Japan oder Südkorea sowie mehrerer anderer Staaten ab dem 1. August mit Abgaben von 25 Prozent belegt.
Während die großen Aktienindizes sich heute in überschaubaren Bahnen bewegen, standen die hochbewerteten Tech-Aktien Microsoft und Nvidia mit neuen Rekorden im Fokus. Microsoft erreichte bei 506,78 Dollar eine neue Bestmarke und schloss bei 503,51 Dollar um 1,39 Prozent höher.
Chiphersteller und KI-Platzhirsch Nvidia erzielte seine neue Bestmarke bei 164,42 Dollar. Damit erreichte der Konzern als erstes Unternehmen weltweit einen Börsenwert von 4,012 Billionen Dollar. Das ist mehr als doppelt so viel wie die Marktkapitalisierung sämtlicher 40 DAX-Werte zusammengenommen. Der Schlussstand lag bei 162,88 Dollar um 1,80 Prozent höher.
“Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Nvidia den Markt für KI-Chips auch in Zukunft in gleichem Maße dominieren wird, aber das Unternehmen bleibt der Hauptanbieter von KI-Hardware für einen unersättlichen Bedarf an Rechenzentren”, sagte Analyst Gil Luria vom Research-Haus D.A. Davidson.
Auch die Aktie der Facebook-Mutter Meta gewann 1,68 Prozent auf 732,78 Dollar. Das Papier stand mit einem Tageshoch von 737,53 Dollar nur knapp unter ihrem Rekordhoch von 747,90 Dollar. Einem Insider zufolge hat Meta drei Prozent am französischen Optikkonzern EssilorLuxottica übernommen, der gemeinsam mit dem US-Konzern smarte Brillen produziert. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, Meta könnte den Anteil mittelfristig auf etwa fünf Prozent ausbauen.
Pläne dafür, dass der Facebook-Konzern beim weltgrößten Brillen-Anbieter einsteigen will, gab es schon länger. Erstmals öffentlich machte das Interesse der Chef des französisch-italienischen Branchenriesen, Francesco Milleri, vor rund einem Jahr.
Für den Hersteller von Gläsern der Marken Ray-Ban und Oakley könnte eine stärkere Präsenz in der Tech-Welt von Vorteil sein und für Meta sind smarte Brillen ein wichtiger Baustein der KI-Strategie. Die beiden Unternehmen kooperieren schon seit einigen Jahren bei intelligenten Brillen und wollen noch mehr Künstliche Intelligenz (KI) in ihre Produkte integrieren. EssilorLuxottica-Aktien sprangen bereits am Vorabend deutlich nach oben und erreichten heute in der Spitze an der Pariser Börse 256,50 Euro.
Im Fokus stand zudem die Veröffentlichung des Sitzungsprotokolls der jüngsten US-Notenbanksitzung, von der sich die Investoren weitere Hinweise auf den geldpolitischen Kurs erhofften. Der Rückhalt für eine rasche Zinssenkung, wie sie US-Präsident Donald Trump fordert, ist in der Notenbank laut den Protokollen der jüngsten Sitzung dabei gering.
Die meisten der 19 Mitglieder im Offenmarktausschuss äußerten auf der Juni-Sitzung Sorge über den Inflationsdruck, mit dem sie als Folge der von Trump betriebenen Zollpolitik rechnen. Die meisten Teilnehmer der Sitzung gingen davon aus, dass Zinssenkungen im weiteren Jahresverlauf angebracht sein würden, heißt es in den Protokollen. Ein etwaiger Preisschock durch Zölle werde wohl nur “vorübergehend oder moderat” ausfallen.
Die Zentralbank beließ den Leitzins am 18. Juni im Bereich von 4,25 bis 4,50 Prozent. Die Notenbank will laut Fed-Chef Jerome Powell mehr Klarheit darüber gewinnen, wie sich die von Zollerhöhungen geprägte Handelspolitik auf die Inflation und den Arbeitsmarkt auswirken wird.
Fed-Direktoriumsmitglied Christopher Waller und seine Kollegin Michelle Bowman haben bereits laut über eine mögliche Zinssenkung auf der Sitzung am 29. und 30. Juli nachgedacht. Nachdem der kürzlich veröffentlichte Arbeitsmarktbericht überraschend positiv ausgefallen ist, wird die Chance auf eine Lockerung noch in diesem Monat jedoch an den Terminmärkten als äußerst gering eingeschätzt.
Die Anleger setzten heute unbeeindruckt aller Unsicherheiten um die US-Zollpolitik ihre Einkaufstour am Aktienmarkt fort und trieben den deutschen Leitindex auf neue Bestmarken. In der Spitze markierte der deutsche Leitindex bei 24.609 Punkten eine neue Bestmarke. Der Schlusskurs lag ebenfalls so hoch wie noch nie bei 24.549 Zählern, ein Plus von 1,42 Prozent.
Bereits am Vortag hatte sich eine solche Entwicklung angedeutet, die mit der Hoffnung auf eine Einigung der Europäischen Union (EU) mit den USA im Zollstreit begründet wird. US-Präsident Donald Trump hatte gestern einen Brief an die EU angekündigt, was in seiner Lesart auf einen Deal hindeutet. Das sorgt für Fantasie an der Börse.
Marktbeobachter warnten indes vor zu viel Optimismus: “Investoren reagieren zunehmend resistent auf Washingtons Drohgebärden”, schrieben die Experten von Index-Radar. Das Wechselspiel zwischen Eskalation und Deeskalation im Zollstreit werde am Aktienmarkt mit einer “gewissen Gleichgültigkeit” zur Kenntnis genommen. Das aber sei ein Spiel mit dem Feuer. Je weiter die Kurse stiegen, desto größer werde das Risiko.
Auch die Indizes der zweiten Reihe stiegen weiter, der MDAX gewann 1,54 Prozent auf 31.536 Punkte. Für den Index der mittelgroßen Börsentitel ging es im Tageshoch bis auf 31.579 Punkten nach oben und damit auf ein Hoch seit 2022. Der Nebenwerte-Index SDAX hatte bereits gestern eine Bestmarke erreicht und setzte seine Rekordjagd bei einem Niveau von mittlerweile 18.000 Punkten fort. Gefragt bleiben weiterhin Infrastruktur- und Rüstungswerte, hier setzen die Anleger primär auf positive Effekte durch die schuldenfinanzierten Sondervermögen des Bundes.
Alles andere als normal ist, dass der DAX, der überwiegend die international aufgestellten Großkonzerne beinhaltet, derzeit gegen den Trend an der Wall Street steigt. Dort verhalten sich die Anleger sehr viel vorsichtiger. “Die Umschichtung von Kapital aus den USA nach Europa und Deutschland geht weiter, weil Anleger der unsicheren Zollpolitik der US-Regierung entgehen wollen”, schreibt Marktanalyst Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets.
Vor allem die Frage, wann die Folgen der Zollpolitik die US-Verbraucher erreichen werden, sorgt für Zurückhaltung bei den US-Investoren – sowie auch bei der Notenbank. Die Fed hält schon das ganze Jahr über ihr Pulver wegen genau dieser Unsicherheiten trocken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich derweil im EU-Parlament vorsichtig optimistisch zu den Aussichten auf eine Beilegung des Zollkonflikts. “Anfang dieser Woche hatte ich einen guten Austausch mit Präsident Trump, um die Dinge voranzubringen”, sagte sie.
Deutschlands weitere Pluspunkte für die US-Anleger sind die vergleichsweise soliden Staatsfinanzen und eine berechenbare Politik.
Unter den Einzelwerten im DAX stand Index-Schwergewicht Siemens ohne neue Nachrichten mit einem Plus von rund 3,9 Prozent an der Spitze. Die Aktie ist von ihrem Jahres- und Allzeithoch bei 244,85 Euro noch ein Stück entfernt und war zuletzt etwas zurückgeblieben. Gleiches galt für Europas größten Versicherer Allianz, im DAX ebenfalls hoch gewichtet, dessen Aktie rund 1,3 Prozent zulegte. Laborbetreiber Sartorius gab 1,8 Prozent nach und stand am Indexende.
Der Kurs des Euro hat sich heute meist leicht über der Marke von 1,17 Dollar bewegt. Zuletzt kostete die europäische Gemeinschaftswährung im US-Handel 1,1716 Dollar und damit in etwa so viel wie am Vorabend. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,1698 (Dienstag: 1,1718) Dollar fest.
Dem Devisenmarkt fehlte es an klaren Impulsen. So wurden im Tagesverlauf weder in der Eurozone noch in den USA wichtige Konjunkturdaten veröffentlicht. Bereits seit Monatsbeginn bewegt sich der Euro in einer recht engen Spanne zwischen knapp 1,17 und gut 1,18 Dollar.
Für Aufsehen sorgte gestern eine Ankündigung von Trump, einen Zoll von 50 Prozent auf importiertes Kupfer zu erheben. Die Ankündigung hat den Preis für das Industriemetall außerhalb der USA am Morgen unter Druck gesetzt. Kupfer verbilligt sich um bis zu 2,4 Prozent auf 9.553 Dollar je Tonne, das ist der tiefste Stand seit knapp vier Wochen. Aktuell liegt der Kurs wieder etwas höher. An der US-Börse Comex war der Kupfer-Future nach der Zoll-Ankündigung um mehr als zwölf Prozent auf ein Rekordhoch gesprungen.
US-Handelsminister Howard Lutnick hatte erklärt, die Zölle würden voraussichtlich bis Ende Juli oder zum 1. August eingeführt. Dies lässt Händlern kaum Zeit, noch größere Mengen in die USA zu liefern. “Die Ankündigung ist wie ein lauter Donner mitten in der Nacht, sehr plötzlich”, sagte ein Analyst in Peking. Die Analysten der US-Bank Citigroup rechnen damit, dass der Preis in den USA um 25 bis 35 Prozent je Tonne über dem Niveau der LME liegen wird.
Von der Entwicklung profitiert der einzige deutsche Rohstoffwert, der unter anderem auch Kupfer verarbeitet. Die Aktie des Hamburger Metallverwerters Aurubis gewann rund 4,5 Prozent und gehörte damit zu den größten Gewinnern im MDAX.
Eine stärkere Nachfrage von E-Autos in Europa und eine Konzentration auf Verbrenner in China haben Volkswagen im ersten Halbjahr zu einem Absatzplus verholfen. Insgesamt verkaufte der Konzern, zu dem die Marken Volkswagen, Seat/Cupra, Skoda, Audi und Porsche gehören, mit 4,41 Millionen Autos 1,3 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zugewinne in Südamerika und Europa hätten die erwarteten Rückgänge in China und Nordamerika mehr als ausgeglichen, sagte VW-Vertriebschef Marco Schubert.
Nach der Anteilsaufstockung der italienischen Großbank UniCredit bei der Commerzbank ist der Widerstand gegen eine Übernahme ungebrochen. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank, Sascha Uebel, erklärte gegenüber Reuters: “Wir wären schlecht vorbereitet gewesen, wenn wir diese Möglichkeit nicht auf dem Schirm gehabt hätten.”
Nach Erhalt aller Genehmigungen hat die italienische Großbank UniCredit nach eigenen Angaben die zuvor erworbenen Derivate in Commerzbank-Aktien getauscht und halte nun rund 20 Prozent der Anteile und der Stimmrechte – doppelt so viel wie bisher, teilte UniCredit gestern mit. Die Mutter der Münchner HypoVereinsbank hat über Derivate Zugriff auf weitere neun Prozent an der Commerzbank. Auch diese wolle man “zu gegebener Zeit” in Aktien wandeln, hieß es.