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Manufaktur Orsoni 1888: Wo Gold im Glasofen entsteht | ABC-Z

Hier nähert sich alles den alten Formen an. Das Gold wird so lange von Hand gehämmert und getrieben, bis es beinahe brüchig ist. Im Sandwichverfahren verschließen die Glasmacher das Metall unter einer transparenten Scheibe, damit es widerstandsfähig wird. Dann schneiden sie die Platten von Hand. Dabei entstehen kleine Unregelmäßigkeiten, aber die sieht man hier gern.

Denn diese Mosaikmanufaktur ist für die Markusbasilika im Einsatz, die mit Gold überflutet ist. Für die Instandhaltung der Kreuzkuppelkirche werden in der Werkhütte von Orsoni 1888 in mühsamer Handarbeit bernsteinfarbene Glasplatten mit dem hauchdünnen Edelmetall verschmolzen und zu Tesserae verarbeitet.

Längst gibt es industrielle Herstellungsverfahren für die quadratischen Spiegelsteine. Doch Standardformen stören das historische Ensemble, und die Patina fehlt. Mit den kleinen Unregelmäßigkeiten hingegen passen die Steine in die uneinheitliche Wandoberfläche der im Jahr 1094 vollendeten Basilika, die den schädlichen Salzkristallen der Lagunenstadt ausgesetzt ist.

Mosaikgestalterin Antonella Gallenda zieht aus langen Glasstangen feinste Fäden für Mikromosaik.Barbara Klemm

Die venezianische Manufaktur leuchtet, konkret und metaphorisch. Sie bietet jenseits der touristischen Monokultur attraktive Arbeitsplätze in der Kreativwirtschaft und nährt zugleich die Hoffnung auf eine Zukunft für die aussterbende Handwerkszunft.

Die Kunst der langsamen Bilder

Für den Erhalt einer historischen Technik steht auch Barbara Klemm. Sie fotografiert analog Schwarz-Weiß. Wenn sie fotografiert, sammelt sie die Filmrollen, um sie später entwickeln zu lassen und schließlich selbst Abzüge zu machen. „Es wird etwas dauern“, sagt sie dann, fast entschuldigend, weil sie weiß, wie schnell heutzutage digitale Bilder produziert und konsumiert werden. An einem Vormittag laufen wir in Venedig vom Guglie-Ufer durch enge Gassen bis zur Manufaktur Orsoni 1888, die hinter hohen Mauern liegt, aus denen Bäume und Sträucher ragen. Wir klingeln, ein Glasmacher macht auf, und schon eröffnet sich eine kleine Welt aus Büroräumen, Werkstätten, Öfen, Garten und einem Altglaslager im Innenhof.

Das Farbenlager heißt „La biblioteca dei colori“.
Das Farbenlager heißt „La biblioteca dei colori“.Barbara Klemm

In großen Kisten Reste der Produktion, die neben 19 Goldvariationen mehr als 3500 Farbnuancen umfasst. Gerade werden zum Einschmelzen korallrote, kanariengelbe und smaragdgrüne Glassplitter gesammelt, daneben liegen die Schnittreste der Bernsteinplatten, hier und da noch mit feinem Goldrand. Gegenüber stapeln sich kreisrunde Zementtiegel, Crogioli, in denen das Glas geschmolzen wird. Sie wurden ausrangiert, weil sie schon einige Koloritschichten tragen. Mit den farbenfrohen Schlieren kommen sie wie Kunstwerke daher.

„Farbe gibt es bei mir nicht“, sagt Barbara Klemm. Sie lässt sich nicht ablenken, interessiert sich nicht für den Augenblick, sondern für den Prozess der Mosaikherstellung.

Die Farben von Orsoni 1888

Der Rundgang beginnt im Haupthaus, dem Domus Orsoni, das auch Gästezimmer und Atelierräume bietet. Hier erwartet uns Riccardo Bisazza, der Präsident von Orsoni 1888. „Die Farbe habe ich zu meinem Leben gemacht“, erzählt er und lacht. Der sportliche Mittfünfziger hat schon als junger Mann in der industriellen Mosaikproduktion für das Familienunternehmen gearbeitet, das seit dem Jahr 2003 zur Trend-Gruppe gehört. Er war in den USA, in Dubai und Indien und leitet die Geschäfte seit 2016.

Herstellung von Glasmosaiken am Ofen.
Herstellung von Glasmosaiken am Ofen.Barbara Klemm

Zunächst führt er uns zu den Farbtafeln des Gründervaters. Angelo Orsoni hatte 1889 seine erste Palette mit Goldnuancen und vielfarbigen Emailmosaiken auf der Pariser Weltausstellung präsentiert. Es folgten zahlreiche Aufträge, unter anderem in der École des Beaux-Arts, am Trocadéro und in der Basilika Sacré-Coeur. Sein Sohn Giovanni verantwortete seit 1926 das berühmteste Projekt, die Ausstattung der Turmspitzen der Sagrada Família in Barcelona – die noch immer nicht fertiggestellte Basilika beschäftigt die Manufaktur bis heute. Giovannis Enkel Lucio Orsoni saß bis zu seinem Tod vor wenigen Monaten im Beirat des Unternehmens.

Während Riccardo Bisazza spricht, klickt es leise. Barbara Klemm wählt mit ihrer Leica einen Bildausschnitt, der das Wesentliche hervortreten lässt: die vielfachen Schattierungen. Die Farbtöne verlaufen von links oben und führen jeweils von Dunkel nach Hell. Auf ihren Fotos verschwinden die Hierarchien. Sie sind alle gleich, die kaiserlichen Rottöne, das Inkarnat für die Figurengestaltung und die Blautöne für den Himmel und das Meer. Wie auf einer Bühne, nur durch einen Scheinwerfer am kahlen Kopf hell erleuchtet, erhebt sich davor der Patron, der auf die Farben zeigt, deren Produktion er Tag für Tag dirigiert.

Präsident Riccardo Bisazza lässt sich in der „Bibliothek der Farben“ ablichten.
Präsident Riccardo Bisazza lässt sich in der „Bibliothek der Farben“ ablichten.Barbara Klemm

In der Glasmacherei herrscht konzentriertes Schweigen. Die Instrumente klackern, klopfen, schleifen. Stangen, Hämmer, Meißel und Messerchen tanzen wie bei einer Ballettaufführung. Mittendrin glüht im Ofen die heiße gläserne Flüssigkeit, gelb-orange, heiß, archaisch. Barbara Klemm steht direkt vor dem Ofen, fokussiert das glühende Innere. Die Bilder sind reduziert auf wenige geometrische Formen, umrahmt von schwarzem Grund, wie abstrakte Gemälde.

Im Minutentakt werden hier Glasplatten gegossen und auf einem drehenden Rondell mit den Goldblättern belegt, die unter einer hauchdünnen, transparenten und mundgeblasenen Glasschicht ruhen. Die geschichteten Platten werden kurz erhitzt und sogleich zum Abkühlen weggehoben.

Für die Produktion legt eine Mitarbeiterin Blattgold aus, das mit dem Fragment einer Glasblase belegt wird.
Für die Produktion legt eine Mitarbeiterin Blattgold aus, das mit dem Fragment einer Glasblase belegt wird.Barbara Klemm

Nebenan legt eine Mitarbeiterin Goldblätter aus. Andere schneiden Glasplatten. Dafür legen sie eine gerillte Metallscheibe auf und folgen der Schablone, erst horizontal, dann vertikal. Schließlich hämmern sie leicht, die Mosaiksteine lösen sich und werden in einem Behälter gesammelt. Dann wandern sie in großen Säcken in den gegenüberliegenden Trakt, aus dem das Tackern der manuell betriebenen Schneidemaschinen rattert. Hier werden größere Quadrate zu kleinen Vierecken geschnitten.

Zwischen Gold und Luxus-Marken

Die Nachfrage ist groß. Aber das Bernstein-Gold bleibt der Markusbasilika vorbehalten. Für andere Kirchen, wie die Nationalkathedrale in Bukarest, die noch im Bau ist, werden Mosaike mit weniger getriebenem Blattgold auf blauem Glasgrund gefertigt. Und für die vielen großformatigen Heiligenfiguren wird mit Hochdruck Emailmosaik produziert. In der Scuola, dem Lehr- und Übungsraum, zieht die Mosaikgestalterin Antonella Gallenda aus langen Glasstangen feinste Fäden für Mikromosaik.

Die schwere Holzpforte zum Warenlager öffnet Riccardo Bisazza feierlich. In der riesigen Halle reihen sich in Hunderten von Regalen die farbigen Glasplatten, aus denen Emailmosaik geschnitten wird. Man schaut auf den Schnitt, denn auf die innere, matte Konsistenz kommt es an, sie wird später für die Schauseite verwendet. Im hinteren Teil sind die Farben nach Verlauf sortiert, die Stirnwand zeigt die Schattierungen der Inkarnate, daneben öffnet sich ein Gang zu den Rottönen, es folgen Lila und Blau. Barbara Klemm porträtiert Riccardo Bisazza, er steht erleuchtet inmitten seiner Farben, die im grauschwarzen Dunkel verschwinden, in der Hand eine Glasplatte in Orange, seiner Lieblingsfarbe.

Riccardo Bisazza, der nimmermüde Chef, kümmert sich auch um die Zukunft, lieferte detailverspielte Paneele für eine Präsentation des Modehauses Dolce & Gabbana, gestaltete das großformatige Logo im neuen Veranstaltungszentrum des venezianischen Aperitif-Herstellers Select und einen Laufsteg für eine Bulgari-Show im Dogenpalast. Den ehemaligen Lagerraum der Gold-Mosaike hat er in einen kleinen Showroom verwandelt. Dort leuchtet ein Wandmosaik in unzähligen Goldschattierungen strahlend in die Zukunft.

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