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Malerbrüder Gert und Uwe Tobias in Tübingens Kunsthalle | ABC-Z

Das Verführerischste an den Ausstellungen der seit zwanzig Jahren im gemeinsamen Atelier „kooperierenden“ Tobias-Brüder sind ihre auf die Farbe der Wände, Gestaltung der Treppengänge, Wahl der Blickachsen oder die Platzierung der Objekte in kontrastreichen Nachbarschaften ab­gestimmten Inszenierungen. Die gewohnten Grenzen der Kunstbetrachtung dehnen sich aus, und die vernetzten Räume werden zum Mitspieler in einer Gegenwelt nostalgischer Folk­loreelemente oder surrealer Phantasmen.

Schon bevor man die installativen Gesamtkunstwerke betritt, denkt man darüber nach, welche Kniffe Gert und Uwe Tobias wohl diesmal auf die architektonischen Begebenheiten anwenden werden, um ihre Holzschnitte, Zeichnungen, Schreibmaschinenar­beiten, Collagen und Keramikobjekte zur Geltung zu bringen. Akribische Präzision findet man verlässlich auf jedem Qua­dratzentimeter, keine Linie verrutscht, kein Zufall funkt dazwischen.

Bevor die Touristen kommen

Zu weltweitem Ruhm verhalf den 1973 im rumänischen Kronstadt geborenen Brüdern die Beschäftigung mit dem Holzschnitt, eine etwas verstaubte Gattung, der sie mit praller Farbenpracht und ungewohnter Größe einen gegenwärtigen Anstrich verpassten. Als Peter-Mertes-Stipendiaten des Bonner Kunstvereins machten sie 2004 zum ersten Mal auf sich aufmerksam. Mit der aus mehreren großformatigen Holzschnitten bestehenden Serie „Come and See Before the Tourists Will Do – The Mystery of Transylvania“ lieferte das Duo eine Hommage auf den popkulturell unverwüstlichen Mythos ihres Geburtslandes ab, den Vampir Dracula, der seit dem gleichnamigen Roman von Bram Stoker vor allem in Kino und Literatur nicht totzukriegen ist. Sogar das New Yorker Museum of Modern Art klopfte nach dem in Zeiten von Bits und Bytes clever inszenierten Durchbruch an und richtete den beiden analogen „Handwerkern“ bereits 2007 eine Ausstellung aus.

Titelloser Tobias-Holzschnitt auf LeinwandAlistair Overbruck/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Der erste Paukenschlag war gesetzt, flankiert von wiederholter Distanzierung, denn reduziert werden auf den Blutsauger wollten die beiden keineswegs. Seitdem wandeln sie ungeniert auf dem schmalen Grat zwischen Kunst, Handwerk und Pop. Dem klassischen Holzschnitt, der zu Zeiten Al­brecht Dürers florierte und sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit den Expressionisten zum letzten Mal aufbäumte, verleihen ihre raumgreifenden Zwitter aus Malerei und Druck bis heute umwerfende Frische. Ihre innovativen Varianten jenseits der Beschränkung durch die bescheidenen Maße einer hölzernen Druckplatte entstehen in einem kartoffeldruckartigen Verfahren, bei dem die Konturen der Details aus Pappelholz ausgesägt, mit Farbe bestrichen und aufs Papier oder auf Leinwand gepresst werden.

Eine lange Reihe skulpturaler Abstraktionen

In der zum ersten Mal gezeigten Werkserie „missing parts“ avancieren die Druckplatten selbst zum Kunst­objekt. Es sind Fragmente des Druckstocks, die entstehen, wenn Formen aus der Platte gesägt werden. Die Brüder haben sie gesammelt und im großen Saal in einer langen Reihe skulpturaler „Abstraktionen“ aufgestellt. Aus einer Hand stammen diese nicht. Gert und Uwe Tobias arbeiten nie gemeinsam an einem einzigen Werk, sondern erstellen ihre Holzschnitte jeweils allein. So entstehen ganze Serien, deren einzelne Teile miteinander im Dialog stehen. Über Jahre hinweg war der opulente Einsatz von Farbe ein Markenzeichen, doch in jüngeren Arbeiten haben sich die Zwillinge auch mit Grautönen beschäftigt.

Gert und Uwe Tobias.Seit 20 Jahren arbeiten die Brüder zusammen.
Gert und Uwe Tobias.Seit 20 Jahren arbeiten die Brüder zusammen.Ulrich Metz

In der Kunsthalle Tübingen stimmt man sich nun auf den Parcours, der keineswegs retrospektiv gemeint ist, bereits im Museumscafé ein, wo eine geometrische Wandmalerei auf skurrile Skulpturen trifft, so beiläufig, dass man meinen möchte, sie gehörten schon immer zum Interieur. Der erste Raum ­ähnelt dann mit seinen riesigen Wandzeichnungen phantastischer Vogel­figuren, Ateliervideos und Vitrinen, in denen das Duo sein Anregungsmaterial enthüllt, einer Werkstatt mit un­begrenzten Möglichkeiten. Ihre einzige Konstante ist das ambivalente Personal aus Dämonen, hybriden Wesen, den Betrachter anblickenden Tieren und fragmentierten Frauenkörpern.

Im Anschluss lösen sich Kategorien wie Design, Bild und Skulptur zugunsten eines Spiels mit Formen, Erinnerungen und Verweisen auf die Kunstgeschichte auf. Motivische Details wiederholen sich in unterschiedlichen Medien. Bei den kleinteiligen Papiercollagen, die vage an Max Ernst erinnern. Bei den Keramiken, die aussehen, als hätten sich einzelne Motive dreidimensional auf Sockeln festgesetzt. Bei den Schreibmaschinenbildern, in denen keimende Blüten auf erstarrte Insekten treffen.

Ohne Titel, 2023 farbiger Holzschnitt auf Leinwand, 143 x 230 cm
Ohne Titel, 2023 farbiger Holzschnitt auf Leinwand, 143 x 230 cmAlistair Overbruck/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Altmeisterlich-theatralisch ausgeleuchtet

Kandinsky, Ensor oder Mondrian werden paraphrasiert und an Zitaten reiche Brücken geschlagen, etwa zur Gattung Porträt. Der in dunkles Schwarz getauchte Raum ist altmeisterlich-theatralisch ausgeleuchtet. Hier und da meint man ein Pietà-Motiv zu erkennen, wären da nicht die grimassierenden Gesichter der volkstümliche Kopfbedeckungen tragenden Figuren, die jede metaphysische Deutung zum Einsturz bringen. Die wie Ikonen monochrom silbrig grundierten Holzschnitte funktionieren auf diesem Hochglanzparkett wie magische Pforten in das Universum zartbesaiteter Chimären, die sich in ständiger Metamorphose auf groteske Art umwerben. Dieselben sonderbaren Gestalten lassen es sich bei Tischgelagen gut gehen und geben mit ihren wilden Blumenarrangements und verfaulenden Früchtekörben das ultimative Stillleben ab, während um die Ecke abstrakte Farbflächen mit typographischen Experimenten ins Zwiegespräch geraten.

Die bekannten Anleihen an das ­Vokabular der klassischen Moderne führen von hier aus direkt zu den neuesten Wolken- und Himmelsdarstellungen. Sie haben mit ihrer Anmutung asiatischer Landschaftsbilder das Potential zu einer Apologie des Dekorativen. Während auf dem Boden ­Keramikfliegen verzweifelt auf dem Rücken strampeln, schweben auf der monumentalen Anspielung auf Monets Seerosen gut gelaunte Flügelkreaturen. Tod und Teufel stecken hier im kosmischen Detail. In den lieblichen Wolkenformationen brechen Feuer und Kämpfe aus, Schnecken spazieren am Rand von tunnelartigen schwarzen Löchern. In diesem Finale spielen die Brüder ihre Trumpfkarten mit viel Humor und Freude am Disparaten noch einmal aus.

Gert und Uwe Tobias – Das Blaue vom Himmel. In der Kunsthalle Tübingen; bis zum 11. Mai 2025. Der Katalog kostet 39,80 Euro.

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