Magdeburg im Pressespiegel: „Polarisierung tötet“ bis „Ein Staat, der versagt“ – so unterschiedlich sehen die Medien die Tat | ABC-Z
Das Attentat von Magdeburg bewegt die Kommentatoren. Die einen empfehlen ruhige Trauer und gründliche Aufklärung, die anderen sehen bereits klare Schuldige – unter anderem Elon Musk.
Die deutschen Medien kommentieren den Anschlag von Magdeburg. Die Einschätzungen gehen auseinander: Die einen sehen den Staat in der Pflicht, mehr für die präventive Aufklärung zu tun. Andere sehen die Ursache eher in Debatten in den sozialen Medien, die ausarten und Gefährder anstacheln.
„Süddeutsche Zeitung“: „Künftige Opfer ahnen noch nichts von ihrem Schicksal“
„Lässt sich etwas lernen? Welche Konsequenzen sind zu ziehen? An diesem Wochenende sind solche Fragen nachrangig, dies ist das Wochenende der Trauer und der Sorge und des Versuchs, mit dem Schock irgendwie klarzukommen. Aber sehr bald werden sie gestellt und hoffentlich ernsthaft beantwortet werden. Gedanken und Gebete, die nur solange geäußert werden, bis auch dieser Schock sich verflüchtigt hat, wären ja im Grunde nicht nur egoistisch, sondern auch fahrlässig. Der nächste potenzielle Täter sitzt ja bereits irgendwo am Computer und steigert sich hinein in seinen Hass und seinen Zorn; seine künftigen Opfer ahnen nur noch nichts von ihrem Schicksal.
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Das Miteinanderschweigen ist eine sehr ehrliche Form, Anteilnahme zu zeigen. Und wer Halt sucht, wird ihn dort finden, nicht aber im andauernden Zorn auf andere, die Welt oder die Umstände. Zorn ist ein Gift, und immer wieder tötet es.“
„Der Spiegel“: „Nicht an diesem Fall ist typisch“
„Nach der Tat von Magdeburg ist jede und jeder gut beraten, auf vorschnelle Forderungen zu verzichten. Nichts an diesem Fall ist typisch. Der Täter, ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und seit 2006 in Deutschland. Im Netz agitierte er gegen den Islam, fühlte sich verfolgt und sympathisierte offen mit der AfD.
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Die Äußerungen im Netz zeigen: Extreme Rechte scheren sich nicht um die wahren Hintergründe der Tat von Magdeburg. Für sie zählt nur eines: Dass der Täter saudi-arabische Wurzeln hat. Sie schüren Angst vor Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht.
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Wenn jetzt Fehler identifiziert werden, wenn daraus etwas folgt – dann kann das auch das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden stärken. Wenn Politiker dagegen in politischem Aktionismus über Gesetzesverschärfungen diskutieren, wie das etwa nach Solingen geschehen ist, bringt das niemanden weiter.
Aufgeklärt werden muss außerdem, wo und wie sich der Täter von Magdeburg radikalisiert hat. Ist das unter anderem auf X geschehen, wie es derzeit den Anschein hat? Müssen Plattformen wie diese strenger reguliert werden?
Auch zum psychischen Zustand des Täters wird es in den nächsten Stunden und Tagen neue Erkenntnisse geben. Dann kann eine ernsthafte politische Debatte über die Konsequenzen beginnen.
Wer allerdings nur versucht, politisch Profit aus einer so furchtbaren Tat zu schlagen und im Wahlkampf Punkte zu sammeln, der handelt schäbig. Davor sollten sich Politiker aller Partei hüten.“
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Flüchtlinge kommen nicht als unbeschriebene Blätter zu uns“
„Zum Unbegreiflichen an dieser Tat gehört, dass es sich bei dem mutmaßlichen Attentäter um einen schon lange in Deutschland lebenden und arbeitenden Facharzt für Psychiatrie handelt, einen Menschen also, der von Berufs wegen und aus Überzeugung anderen Menschen hilft.
Doch sind auch Ärzte nicht gefeit gegen Erkrankungen aller Art und auch nicht gegen politische Radikalisierung bis hin zu dem wahnsinnigen Entschluss, möglichst viele Menschen umzubringen. Startpunkt dieses inneren Eskalationsprozesses scheint in diesem Fall die Distanzierung vom Islam und der Hass auf das Regime in Saudi-Arabien gewesen zu sein, der sich offenbar aber auch mit einer wachsenden wirren Wut auf den deutschen Staat mischte.
Auch dieser Fall erinnert daran, dass Flüchtlinge nicht als unbeschriebene Blätter zu uns kommen. Sie haben, wie jeder Mensch, eine Vorgeschichte, die in ihren Fällen häufig geprägt ist von Gewalterfahrungen und anderen Traumata.
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Was die Untersuchungen auch ergeben mögen: Fest steht schon lange, dass es keine vollkommene Sicherheit vor fanatischen Attentätern geben kann. Das entbindet den Staat selbstredend nicht von der Verpflichtung, im Rahmen von Recht und Gesetz das Maximale zu tun, um seine Bürger vor Terrorismus jeder Art zu schützen – damit nicht alle Jahre wieder aus einem Fest des christlichen Glaubens, des Friedens und der Freude furchtbare Tage des Entsetzens, der Trauer und der Unsicherheit werden.“
„Hamburger Abendblatt“: „Die Verantwortung liegt bei den Kanzlerkandidaten“
„Hätte der Täter gestoppt werden können? Hätten sich die grauenvollen Bilder verhindern lassen? Die Fragen liegen jetzt auf dem Tisch. Für die Antworten braucht es Zeit. Nur eines ist unmittelbar nach an diesem Abend klar – und das ist eine sehr bittere Wahrheit: Wer einen Anschlag verüben will, der findet Wege. Man braucht keinen Sprengstoff, jedes beliebige Auto kann zur tödlichen Waffe werden. Wer behauptet, solche Anschläge zu hundert Prozent verhindern zu können, macht den Menschen etwas vor.
Klar ist auch: Der 20. Dezember 2024 wird die Debatten der kommenden Wochen prägen. Die Schockwelle, die von diesem Freitagabend ausgeht, wird bis zur Bundestagswahl reichen. Jeder Wahlkämpfer wird sich daran messen lassen müssen, welche Antworten er auf solche Bedrohungen hat.
Und wie immer gilt dabei: Je größer die Angst, desto lauter werden die Populisten einfache Lösungen herausposaunen. Dabei zeigen bereits erste Informationen über den Täter, wie kompliziert der Fall ist. Es wird Aufgabe der seriösen Demokraten sein, das Land nicht in Panik zu reden, sondern an seine Widerstandfähigkeit zu erinnern. Die Verantwortung dafür liegt in aller erster Linie bei den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck.“
„nd“ (früher: „Neues Deutschland“): „Rechtsextremismus und Islamismus sind nichts Gegensätzliches“
„Die AfD und alle anderen »Islam-Kritiker«, die eine »Umvolkung« und »Islamisierung« durch Muslime aus Afghanistan, Syrien, Irak und Afrika herbeifantasieren, waren die Stichwortgeber für den Attentäter von Magdeburg. So wie die Terrororganisation Islamischer Staat 2016 wesentlich dazu beigetragen hat, dass Anis Amri seinen Lkw in eine Menschenmenge an der Berliner Gedächtniskirche gelenkt hat.
Rechtsextremismus und Islamismus sind nichts Gegensätzliches, auch wenn jeweils die eine Seite vorgibt, die andere zu bekämpfen. Im Gegenteil: Beide Ideologien haben Überschneidungen: Ehre, Tradition, Männlichkeit, Familie – das sind Begriffe, die sowohl von Islamisten als auch Rechten positiv besetzt werden. Und wer diese »Werte« nicht vertritt oder vertreten will, der wird bestraft. Gewalt ist unter bestimmten Umständen legitim und notwendig. Auch das eint Islamismus und Rechtsextremismus.
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Jetzt werden wieder die Rufe lauter, welche die Abschiebung aller Ausländer fordern. Und damit rückt genau das ein Stück näher, was der Attentäter von Magdeburg sich offenbar gewünscht hat: ein Deutschland ohne die »rückständigen« Ausländer aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten.“
„Bild“: „Ein Staat, der versagt, verliert den Respekt seiner Bürger“
„Nach der Bundestagswahl braucht Deutschland nicht nur eine Wirtschaftswende. Genauso wichtig ist eine Wende in der inneren Sicherheit. Es muss Schluss sein damit, dass deutsche Behörden in aller Regel nur dann rechtzeitig von Anschlagsplänen etwas erfahren, wenn ausländische Dienste sie warnen.
Unsere Justiz, Polizei und Geheimdienste müssen endlich alle Mittel an die Hand bekommen, um uns vor Terroristen und geistig verwirrten Attentätern bestmöglich aus eigener Kraft schützen zu können. Ein Staat, der dabei versagt, verliert den Respekt seiner Bürger.“
„Handelsblatt“: „Polarisierung tötet“
„Wenn es eine Lehre aus der Tragödie von Magdeburg gibt, dann diese: Polarisierung tötet. Ihr entgegenzuwirken kann nicht nur Aufgabe des ohnehin schon überbeanspruchten Staates sein. Auch Onlineplattformen, auf denen sich der Radikalisierungsprozess vollzieht, stehen in der Verantwortung. Aus wirren Verschwörungstheorien kann schnell blutiger Ernst werden, immer wieder hat sich das in den vergangenen Jahren gezeigt.
Doch ausgerechnet jetzt versuchen Betreiber dieser Plattformen sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wird jeder Versuch diskreditiert, Regeln aus der realen Welt in den virtuellen Raum zu übertragen.
Eine besonders unrühmliche Rolle spielt dabei Elon Musk, der US-Milliardär, Trump-Berater und Inhaber der Plattform X, der sich seit Tagen fast stündlich mit seinen Botschaften zugunsten der AfD in den deutschen Wahlkampf einmischt und sich nicht zu schade ist, die Bluttat von Magdeburg für seine Kampagne zu nutzen.
Ja, der Islamismus bleibt eine Gefahr für die Demokratie, genau wie der Imperialismus Russlands oder das Versagen der Parteien im Kampf gegen die strukturelle Wirtschaftskrise.
Aber auch von Onlineagitatoren wie Elon Musk geht eine Gefahr aus. Und diese Gefahr wächst. Ihr Geschäftsmodell ist die Spaltung, die Kultivierung von Hass, der Gewalt schürt und die Gesellschaft von innen zersetzt. Nie in der Geschichte der Bundesrepublik war die Wehrhaftigkeit der Demokratie so wichtig wie heute. Und nie stand sie so infrage.“