Mächtiger EU-Kommissar Fitto: Meloni regiert jetzt Europa mit – und setzt Kandidaten durch | ABC-Z
Melonis Mann für Brüssel spaltet das Europaparlament. Jetzt winkt die Mehrheit der Abgeordneten ihn und die 25 anderen Kommissare doch noch durch. Italiens Ministerpräsidentin ist damit die große Siegerin – neben EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen.
Ja, Ursula von der Leyen kann aufatmen. Das Europäische Parlament hat ihre Kommission im Amt bestätigt. Die große Gewinnerin des Tages sitzt aber nicht im Parlament in Straßburg, sondern in Rom: Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni ist es gelungen, den ehemaligen Europa-Abgeordneten und italienischen Europa-Beauftragten Raffaele Fitto als mächtigen Kommissar zu installieren. Fitto beaufsichtigt künftig die Regionalförderung und damit den zweitgrößten Fördertopf der EU. Zudem ist er einer der sechs Stellvertreter von der Leyens.
Grüne, Liberale und Sozialdemokraten liefen zunächst gegen die Personalie Fitto Sturm, da sie einem Mitglied von Melonis rechtspopulistischer Partei Fratelli d’Italia keine weitreichenden Befugnisse geben wollten. Zum überwiegenden Teil knickten die Fraktionen jedoch ein – vor allem die Grünen spaltete die Personalentscheidung. Schließlich votierte das Parlament mit 370 von 688 abgegebenen Stimmen für die 26 Kommissare.
Der Abstimmung waren Wochen intensiven Streits zwischen den Fraktionen vorausgegangen. Ein Grund war der Macht-Poker, den Manfred Weber ins Rollen gebracht hatte. Der CSU-Politiker ist Vorsitzender der konservativen Parteienfamilie EVP, der auch von der Leyen angehört. Schon vor dem Rechtsruck bei der Europawahl hatte Weber die Fühler nach Melonis Fratelli ausgestreckt. Damals ahnte Weber bereits: Die Postfaschisten könnten ihm irgendwann zu Mehrheiten verhelfen. In den vergangenen Wochen stimmte Webers EVP dann tatsächlich mehrmals gemeinsam mit rechten und rechtsextremen Parteien ab.
Weber verteidigt Zusammenarbeit mit Melonis Partei
Heftige Kritik erntete Weber deshalb von liberalen, grünen und linken Kräften. Vor der Abstimmung über die Kommission verteidigte Weber seine Strategie im Plenarsaal in Straßburg. Er wiederholte sein Mantra, er wolle offen bleiben für alle Parteien die “pro Ukraine, pro Rechtsstaat und pro EU” sind. Diese drei Kriterien erfüllt Melonis Partei bislang trotz ihrer rechtspopulistischen Ausrichtung.
Zudem stellte Weber klar, wer für ihn die wahren “politischen Feinde” sind: die AfD, die französische Politikerin Marine Le Pen und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Schließlich forderten sie allesamt den Ausstieg ihrer Länder aus der EU. “Die EVP steht in der ersten Reihe, wenn es darum geht, unsere europäischen Werte zu verteidigen”, versicherte Weber. Es brauche Überzeugungen, aber auch Kompromissbereitschaft und Pragmatismus. Weber ließ keinen Zweifel daran: Für ihn sind Melonis Fratelli und ihr Kommissar Fitto in der politischen Mitte gelandet.
Auch Nicola Procaccini gab sich größte Mühe zu betonen, die italienischen Postfaschisten seien gar nicht so rechtsextrem. Procaccini gehört selbst den Fratelli an und ist Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, kurz EKR. Die EKR-Parteien, darunter die polnische PiS, stützen zwar die Ukraine-Hilfen und die NATO, verfolgen aber ansonsten eine rechtsnationale bis rechtsextreme Agenda.
Knappe Mehrheit der Grünen laut Reintke für Kommission
Diese eben doch ziemlich extreme Position verrät Procaccinis Wortwahl, wenn er behauptet, von der Leyen und ihr einstiger Klimaschutzkommissar Frans Timmermanns hätten europäische “Bürger mit wild gewordenem grünem Radikalismus schikaniert”. Kurz davor lobte er von der Leyen hingegen für ihre “Würde und ihren Mut”, dem Druck linker Kräfte jetzt bei der Bildung der neuen Kommission widerstanden zu haben. Statt einer strategischen Kooperation mit von der Leyens EVP setzt Procaccini wenn überhaupt, dann auf eine punktuelle Zusammenarbeit, wie er betonte. Es geht auch gar nicht anders: Die Koalitionen im Europäischen Parlament sind informell, es gibt keinen Fraktionszwang bei Abstimmungen. Am Ende stimmte die Mehrheit der EKR-Fraktion tatsächlich gegen die Kommission. Die meisten der 43 Mitglieder, die dafür stimmten, sind Melonis Parteifreunde.
Der fehlende Fraktionszwang ist auch die Erklärung für das gespaltene Abstimmungsverhalten der Grünen. “Eine knappe Mehrheit unserer Fraktion wird für diese Kommission stimmen”, sagte die Vorsitzende Terry Reintke. Ein Blick auf die im Anschluss zur Wahl veröffentlichte Abstimmungsliste zeigt: Reintke behält recht. 27 Fraktionsmitglieder stimmten für die Kommission, darunter Reintke selbst. 19 votierten dagegen, sechs enthielten sich. Reintke verwies darauf, ihre Fraktion habe im Gegensatz zu Liberalen, Konservativen und Sozialdemokraten zuvor keine Kommissars-Anwärter der extremen Rechten durch die Anhörungen gewunken. Vor der finalen Abstimmung im Plenarsaal haben es sich Teile der Grünen offensichtlich anders überlegt. Dass sogar grüne Abgeordnete sich unter Zugzwang sehen, einer Kommission mit einem Rechtspopulisten auf einem der wichtigsten Posten ins Amt zu verhelfen, ist erstaunlich.
Fraktionsspitzen von Sozialdemokraten und Liberalen knicken ein
Doch auch die Sozialdemokraten haben ihren Widerstand gegen Fitto zum überwiegenden Teil längst aufgegeben – aus machtpolitischen Gründen. Als die S&D-Fraktion begann, Fitto infrage zu stellen, drehten die Konservativen den Spieß einfach um: Die EVP drohte damit, die sozialistische Kommissars-Anwärterin Teresa Ribera aus Spanien durchfallen zu lassen. Ribera gilt als die wichtigste Stellvertreterin von der Leyens: Sie betreut nicht nur den Green Deal und damit die Umsetzung der Klimaziele der Europäischen Union, sondern leitet mit der Wettbewerbspolitik auch einen Bereich, in dem die Kommission weitreichende Befugnisse noch vor den Mitgliedstaaten hat.
Um Riberas mächtigen Posten zu sichern, vollzog die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García dann noch die Kehrwende. Im Plenarsaal kündigte sie die Zustimmung zur Kommission an und begründete das offiziell mit Pragmatismus: “Trotz ideologischer Unterschiede müssen wir vorankommen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen”, sagte García. Es sei amoralisch, die EU mit Rechtsaußen-Parteien aufzubauen und ihre Fraktion stelle weder von der Leyen noch Weber einen Blankoscheck aus. Ihre Empfehlung an die Abgeordneten, für die Kommission zu stimmen, wurde in ihrer Ansprache dennoch deutlich. Allerdings sind nicht alle Fraktionsmitglieder Garcías Wahlempfehlungen gefolgt.
Schließlich haben auch die Liberalen nach anfänglichen Bedenken gegen Fitto klein beigegeben. Zwar sei ihre Fraktion mit von der Leyens Entscheidung nicht einverstanden, sagt die Vorsitzende Valérie Hayer, aber: “Das ist die einzige Kommission, die wirklich die Freiheit und Demokratie unterstützen will.”
Nur zähneknirschend gaben Liberale, Sozialdemokarten und Teile der Grünen also ihre Zustimmung. Aber Meloni und ihre Fratelli haben gewonnen. Sie bekleiden einen der mächtigsten Positionen in der EU-Kommission. Der Rechtsruck in der EU-Spitze ist damit vollzogen.