Politik

Mächtig Krach im Bundestag: Merz und Scholz gehen nach Gipfel-Scheitern in den Nahkampf | ABC-Z

Ampel und Union haben sich zuletzt eine Reihe heftiger Debatten im Bundestag geliefert. Doch nach dem Scheitern des Asylgipfels wird der Ton noch einmal giftiger. Der Bundeskanzler spricht CDU-Chef Merz die Seriosität ab, der wiederum attestiert Scholz Unfähigkeit – und punktet mit einem Trick.

Im verbalen Schlagabtausch anlässlich der Generaldebatte im Deutschen Bundestag hat die Unionsfraktion noch vor der ersten Wortmeldung mit einem simplen Trick gepunktet: Nicht Friedrich Merz ging als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion als erster ans Rednerpult. Anstelle des Oppositionsführers kam dessen Stellvertreter, der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Kurz vor Debattenbeginn hatte die Union die Liste ihrer Redner geändert und das aus erkennbarem Kalkül: Sie zwang den auf Platz zwei gesetzten Bundeskanzler Olaf Scholz, auf Dobrindt zu antworten, die personifizierte Abteilung Attacke. Merz wiederum konnte zur Abwechslung einmal auf Scholz‘ Rede eingehen – und sich von Scholz‘ aufgeregtem Ton durch betonte Gelassenheit absetzen.

Gestritten wurde aber im Bundestag vor allem darüber, ob Merz zuvor schon an anderer Stelle getrickst haben könnte. Am Vortag hatte der CDU-Vorsitzende die Gespräche mit der Bundesregierung über Maßnahmen zur Begrenzung der Migration nach kurzem Austausch für gescheitert erklärt. „Sie haben vor zwei, drei Wochen ein Drehbuch geschrieben, wo sie gesagt haben, Sie machen ein Angebot auf Zusammenarbeit. Und wenn das möglich ist, schlagen Sie es aus und sagen ‚Es ist nicht genug'“, warf Scholz dem Oppositionsführer ein abgekartetes Spiel vor. „So dürfen wir mit einer ernsthaften Angelegenheit in diesem Land nicht umgehen.“

Scholz erklärt Merz dessen Rolle

Da brüllte Merz schon vor Zorn, wurde aber vom Applaus der Ampelfraktionen übertönt. Und Scholz ging – offensichtlich angestachelt von einer mit schweren Vorwürfen gespickten Eröffnungsrede Dobrindts – noch weiter. „Sie sind der Typ Politiker, der glaubt, mit einem Interview mit der ‘Bild am Sonntag‘ hätte er schon die Migrationsfrage gelöst“, sagte Scholz in Richtung Merz. Das Angebot der Union zur Zurückweisung aller Migranten an den deutschen Außengrenzen sei nicht seriös, sagte Scholz. „Ich buchstabiere Ihnen gerne, wie das Wort geht.“

Scholz erinnerte an den Asylkompromiss 1992, als die SPD aus der Opposition heraus einer Grundgesetzänderung zugestimmt hatte. „Führung ist nicht, dass man auf eine Barrikade steigt, mit einer wilden Geste Forderungen erhebt“, sagte Scholz. „Führung ist, dass man sich umdreht und die eigenen Leute zu einem Kompromiss zu bewegen in der Lage ist. Das ist Führung, Herr Merz.“ Dennoch bleibe die Tür zu Gesprächen weiter offen.

Scholz zählte ferner auf, was die Bundesregierung alles unternommen habe zur Senkung der Zuwanderungszahlen und zugunsten vermehrter Abschiebungen krimineller oder nicht bleibeberechtigter Ausländer: die Einführung von Grenzkontrollen, zehntausende Zurückweisungen, die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer, eine Reform der gemeinsamen Asylpolitik der Europäischen Union, die Verlängerung der Abschiebehaft, mehr Polizeibefugnisse und jüngst auch die Abschiebung verurteilter Straftäter nach Afghanistan. „Sprücheklopfen ’nichts hingekriegt'“, empörte sich Scholz und sagte Richtung Unionsfraktion: „Sie sind das, die nix schaffen!“

Frontalangriff: Dobrindt, Kanzlerrede: Merz

Was den Kanzler so in Rage gebracht hatte? Sicher auch sein Vorredner: Dobrindt warf der Ampel in der Migrationspolitik eine „Verweigerungshaltung“ vor, auf Kosten der Schulen und der inneren Sicherheit. „Wer bei Ihnen Führung bestellt, der wird nur Ausreden bekommen.“ Das grüne Wirtschaftswunder habe sich als grüne Stagnation entpuppt, sagte Dobrindt mit Blick auf die düsteren Konjunkturprognosen von null Prozent Wachstum. „Sie haben einen Doppelwumms versprochen, geliefert haben Sie eine Doppelnull“, warf Dobrindt Scholz vor. Die Ampel mache „Politik gegen den Mehrheitswillen der Bürger“ und sei deshalb verantwortlich für die Stimmenzuwächse von AfD und BSW.

Als Merz schließlich an sechster Stelle nach vorn trat, war der Puls erkennbar wieder unten. Der mutmaßliche Kanzlerkandidat der Union versuchte sich an einem Rollentausch, sprach ruhiger als der Amtsinhaber und erinnerte zunächst einmal an die Opfer des Terroranschlags auf die USA am selben Tag vor 23 Jahren. Auch den Teil seiner Rede zur Migrationspolitik leitete Merz staatstragend ein: „Deutschland muss ein offenes und ausländerfreundliches Land bleiben.“

Vorwürfe von SPD und Grünen, Merz mache aus wahltaktischem Kalkül Stimmung gegen alle Zuwanderer, ließ er nicht auf sich sitzen. Das Problem sei vor allem „eine kleine Minderheit – nicht mehr und nicht weniger – von vor allem jungen Männern, die sich nicht an die Regeln halten wollen, die in diesem Land gelten.“ Scholz tippte derweil betont desinteressiert auf seinem Handy herum.

Merz fühlt sich verleumdet

„Der wesentliche Teil meiner Vorschläge war und bleibt die wenigstens auf Zeit angelegte Zurückweisung aller Asylbewerber an den deutschen Staatsgrenzen, die allesamt nach den Regeln der Europäischen Union in dem Land, in das sie zuerst eingereist sind, einen Asylantrag hätten stellen müssen.“ Die Union werde sich darüber nicht in eine Endlosschleife an Gesprächen begeben. „Die Behauptung, dass dies gestern eine Inszenierung von mir gewesen wäre“, und an dieser Stelle hob Merz dann doch die Stimme, „diese Behauptung ist infam, sie ist infam.“ Bösartig und verleumdend also.

Und weil es in einer Generaldebatte eigentlich um so viel mehr und ganz besonders um die beginnenden Haushaltsberatungen für das kommende Jahr geht, nahm auch Merz das große Ganze in den Blick. Die Koalition verschlechtere mit jeder einzelnen ihrer Entscheidungen die Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirtschaft. Wirtschaftsminister Robert Habeck führe Deutschland in eine „Planwirtschaft“. Nach einer Regierungsübernahme durch die Union werde Deutschland nicht darum herumkommen, sich am Bau von Atomkraftwerken in anderen EU-Ländern zu beteiligen. Zur Finanzierung des Ausbaus der Infrastruktur müssten private Investoren herangezogen werden.

Und dann noch ein paar Worte zum so genannten Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU: Niemals werde die Union einer gemeinsamen Verschuldung der EU zustimmen, um die Wirtschaft anzuschieben. „Ich werde alles tun, um zu vermeiden, dass sich die Europäische Union in eine solche Schuldenspirale begibt“, rief Merz. Tosender Applaus und ein strahlendes Gesicht – bei der FDP. Deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bekam sich kaum ein vor Freude über so viel Klarheit. Djir-Sarai macht kein Geheimnis daraus, möglichst bald wieder mit der Union zusammen regieren zu wollen.

FDP flirtet mit Merz

Als Djir-Sarai schließlich selbst ans Pult trat, umwarb er sogar ganz offen die Union – so als sei die FDP nicht Teil der Bundesregierung und in den vorangegangenen Reden nicht auch von der Union attackiert worden. „Wir sind als FDP bereit, eins zu eins diese Dinge mit ihnen umzusetzen“, versprach Djir-Sarai den Zuhörern in den Reihen von CDU und CSU. „Die derzeitige Migrationspolitik überfordert das Land.“

FDP-Fraktionschef Christian Dürr verzichtete ebenfalls auf Angriffe in Richtung der Konservativen, nannte aber den Abbruch der Asyl-Gespräche einen Fehler. Der Bund könne eine Kehrtwende nur gemeinsam mit den Bundesländern umsetzen, in denen auch CDU und CSU regieren oder mitregieren. Das Ziel: „Es muss einfacher sein nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen und nicht zu arbeiten.“ Die FDP-Redner widersprachen gar nicht erst den Vorwürfen der Union, pauschale Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen seien vor allem am Widerstand der Grünen gescheitert.

Grüne attackieren Merz, Mützenich blickt auf Solingen

Die Grünen können sich allerdings auch selbst verteidigen: Fraktionschefin Katharina Dröge betonte, dass ihre Partei schon seit Langem die Abschiebung von Schwerkriminellen und gewaltbereiten Islamisten fordere. Dafür brauche es eine Stärkung von Polizei und Behörden, worüber man „gerne“ mit der Union gesprochen hätte „in der Arbeitsgruppe, die Sie gestern so vorzeitig verlassen haben“.

Dröge warf Merz vor, die innere Sicherheit habe die Union gar nicht interessiert. „Was allerdings überhaupt nichts bringt, wirklich kein Stück Sicherheit mehr, wenn man versucht, in den Nachwehen eines Terroranschlags mit den Ängsten der Menschen Wahlkampf zu machen, Herr Merz. So, wie Sie es getan haben.“ Merz betreibe Politik „ohne Herz“ und „ohne Sinn und Verstand“, wenn er nicht zwischen berechtigtem Asylinteresse und Missbrauch unterscheide. Der Vorschlag pauschaler Zurückweisungen sei „Unsinn“, sagte Dröge. „Ihr Vorschlag, der würde im Kern bedeuten, dass gar nichts mehr funktioniert in der Europäischen Union.“

Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der nun anstelle des Kanzlers den betont ruhigen SPD-Redner gab, zweifelte am Vorgehen der Union. „Ich weiß es nicht, ob sie von Anfang an vorhatten, vom Tisch wieder aufzustehen“, sagte Mützenich. Mit dem Abbruch der Gespräche habe Merz „der Demokratie und vielleicht auch sich selbst einen Bärendienst erwiesen“, sagte Mützenich. „Mit Ultimaten und unsoliden Vorschlägen kann man dieses Land nicht regieren.“

Und dann zeigte der im Bundestag oft als Gentleman gerühmte Mützenich seine Fähigkeit zum Tiefschlag. Die Union werde „im Geheimsten wissen: Da ist in Nordrhein-Westfalen etwas unter einem CDU-Ministerpräsidenten schiefgelaufen“. Vielleicht wolle die Union mit ihrem Vorgehen ablenken vom Zustandekommen des Attentats in Solingen. Der Täter hätte schließlich längst rücküberstellt sein können an Bulgarien. „Wir werden auch die Verantwortlichen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen“, sagte Mützenich. Die SPD regiert – anders als die Grünen – nicht mit in NRW und ist – anders als die FDP – auch nicht sonderlich scharf auf gemeinsame Regierungskoalitionen mit CDU und CSU.

Weidel schimpft auf „Kanzler des Niedergangs“

Auch die AfD beteiligte sich an der Generaldebatte und setzte ebenfalls den Schwerpunkt auf das Thema Migration. Fraktionschefin Alice Weidel nannte reihenweise Zahlen zum Ausmaß der Messergewalttaten und Vergewaltigungen, bei denen ein übergroßer Anteil auf Zuwanderer zurückgehe. Sie forderte ein Zuwanderungsmoratorium und die sofortige Abschiebung aller Zuwanderer, die kriminell geworden sind oder kein Bleiberecht genießen.

Weidel warf Ampelregierung und Union gleichermaßen Staatsversagen vor und beklagte, dass die AfD systematisch diskriminiert und ihre Wähler von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen würden, weil der AfD-Fraktion im Bundestag Posten vorenthalten werden und im Osten niemand mit ihr regieren will. Scholz sei ein „Kanzler des Niedergangs“, sagte Weidel.

In dieser Legislaturperiode fällt der AfD-Fraktion unfreiwillig die Rolle zu, die übrigen Parteien immer wieder daran zu erinnern, dass es schlimmere politische Gegner gibt als jene in der politischen Mitte. So wurden Merz und Scholz nach ihren Reden tatsächlich beim ausführlichen Zwiegespräch am Rande des Bundestagsplenums gesichtet. Wie es sich anhören mag, wenn Kanzler und Oppositionsführer, ruhig und ernsthaft miteinander sprechen, davon hat das Land auch nach drei Jahren Ampelregierung noch keine Vorstellung.

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