Madrids Grünanlagen am Río Manzanares: Chillen für Profis | ABC-Z

Madrid im Regen: nass, kalt und windig. Am besten, man bleibt lange zum Frühstück im Hotel und geht anschließend in den Prado. Wir entscheiden uns dennoch für einen Spaziergang im Parque Madrid Río, der sich als 14 Kilometer lange Wanderung entpuppen wird. Denn der Park auf beiden Ufern des Río Manzanares ist selbst bei diesem Wetter eine Schau. An Wochenenden, so heißt es, versammelt sich hier halb Madrid, aber auch an diesem Tag geben sich Jogger, Skater, Radfahrer und Spaziergänger ein bewegtes Stelldichein.
Es gibt keine getrennten Spuren für Fußgänger und Radler, sodass sich alle miteinander arrangieren müssen. Ein Tempolimit von zehn Stundenkilometern soll die zivilisierte Koexistenz garantieren. Das funktioniert überraschend gut, und die berittenen Polizisten müssen nicht eingreifen, obwohl einige Jungs ihre Elektroroller nicht bremsen können und auch die radelnden Lieferdienste unter Zeitdruck vorbeisausen. Der Autoverkehr der Metropole aber ist völlig verbannt. Nur ein einziges Mal entlang der Strecke müssen wir an einer Brücke die Straße an einer Ampel überqueren.
Entlang der sieben Kilometer langen Grünanlagen an beiden Flussufern finden sich neben den beiden Hauptpfaden jede Menge Ausweichmöglichkeiten, denn immer wieder weitet sich der lineare Park aus in weiträumige Ausbuchtungen mit verschlungenen Wegen. Fast durchgängig erstreckt sich der „Salón de Pinos“, Pinienhaine mit Tausenden von Bäumen, die an die ursprüngliche Natur am Fluss erinnern sollen. Ein großer Barockgarten lässt sich für Kinder auch als Irrgarten nutzen. Infotafeln geben Auskunft über Flora und Fauna und die Geschichte von Stadt und Fluss. Dazwischen befinden sich Kinderspielplätze für jedes Alter, Fitness-Stationen und kleine Cafés, die an diesem grauen Tag allerdings fast alle geschlossen sind. Auch die zahlreichen Wasserspender am Wegesrand finden kaum Zuspruch.
Zwei Dutzend große Brücken oder schmale Stege überqueren den Río Manzanares in diesem Abschnitt, sodass wir auf unserem Weg hin und zurück ständig das Ufer wechseln können und deshalb wohl noch ein paar Kilometer zusätzlich zurücklegen. Massive Klassiker aus dem 16. und 17. Jahrhundert wie die Puente del Rey und die Puentes de Segovia und de Toledo wechseln sich ab mit schlichten, aber auch ausgefallenen Konstruktionen der jüngeren Vergangenheit. Die Pasarela Principado de Andorra zum Beispiel läuft in drei asymmetrischen Rampen auf die Flussmitte zu. Die beiden identischen Zwillingsbrücken Puentes Gemelos sind überdacht und im Innern mit sportlichen Motiven ausgeschmückt.

Der spektakuläre Blickfang aber ist die Puente monumental de Arganzuela, entworfen vom französischen Architekten Dominique Perrault. Mit zwei linear versetzten Rampen, die sich auf einem künstlichen Hügel treffen, überquert die Fußgänger- und Radfahrerbrücke den Fluss und den Parque Arganzuela. Sie ist ummantelt mit einer Art unterbrochenem, transparentem Tunneldach. Die Brücke dient auch als beliebter Aussichtspunkt, denn sie erlaubt einen weiten Blick flussauf- und flussabwärts. Ihre größte Wirkung freilich bleibt uns an diesem Regentag verborgen: Die silberne Verkleidung spiegelt im Sonnenlicht und hebt sich glänzend ab vom Grün der Umgebung.
Der sichere und autofreie Radverkehr im Park war Anstoß für eine neue Kultur des Radfahrens in Madrid. Selbstbewusste Radfahrer vertreten ihre Interessen jetzt offensiv, und so sind seither zahlreiche Projekte für weitere Radwege in Planung oder bereits verwirklicht. Direkt verbunden waren die Routen im Parque Madrid Río von Anfang an mit dem Wegenetz im Parque Casa de Campo im Westen, der mit Abstand größten Grünfläche der Stadt. Nur wenige Schritte entfernt liegen der Königspalast, die Kathedrale La Almudena und der riesige Gebäudekomplex des ehemaligen Schlachthofes Matadero, der jetzt als Kulturzentrum dient. Unmittelbar am Ufer des Flusses stand seit 1966 das legendäre Estadio Vicente Calderón, die von allen Gegnern gefürchtete Heimat von Atlético Madrid. Nach einem halben Jahrhundert und 1227 Spielen aber war Schluss mit Fußball. Das Stadion, das letzte große Hindernis bei der Entwicklung und Komplettierung des Parks, wurde abgerissen und machte Platz für Grünflächen und eine Reihe von Hochhäusern. Wer noch manchen gedruckten Stadtplänen und veralteten Internetseiten folgt, wird die dort verzeichnete Arena in der Wirklichkeit vergeblich suchen. Geschichte ist auch die M-30, eine Autobahn, die das Zentrum von Madrid durchquerte und als innerstädtisches Bollwerk die Flussufer praktisch unzugänglich machte. Ihr Abriss und die Verlegung in den Untergrund war ein symbolischer Akt des Abschieds von einer autogerechten Stadt.
So ist der Parque Madrid Río seit seiner Eröffnung im Jahr 2011 nicht nur eine grüne, zunehmend beliebte urbane Oase, sondern gilt auch als bedeutendste Veränderung des städtischen Raums im letzten halben Jahrhundert und als Vorzeigeprojekt der Stadtentwicklung in Europa. Auf diese Weise hat man sechs Stadtbezirke vorbildlich miteinander verbunden und ein zwischenzeitlich verlorenes Areal für die Madrilenen zurückgewonnen, denn die Ufer des Manzanares waren schon früher für die Bevölkerung zugänglich. Gemälde von Francisco de Goya belegen, dass bereits im 18. Jahrhundert die Wälder und Wiesen als beliebte Ziele für Familienausflüge und Feste dienten. Auch wir nutzen den nächsten Vormittag für ein Frühstück in einem der jetzt geöffneten Cafés. Denn die Sonne scheint, und tatsächlich ist diesmal halb Madrid hier unterwegs. Eine Stadt im mobilen Freizeitmodus – mit Krückstock, Rennrad oder Kinderwagen.
Information: Der Park am Manzanares ist einfach zu erreichen über die Metrostationen Príncipe Pío (Linie 10) oder Legazpi (Linien 3 und 6). Lageplan unter www.esmadrid.com.