Macron schlägt Friedensmission für Ukraine vor – Politik | ABC-Z
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk empfängt in dieser Woche in Warschau einen Gast nach dem anderen. Erst schauen der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und der estnische Premier Kristen Michal nach ihrem gemeinsamen Besuch in Kiew noch in Warschau vorbei, an diesem Donnerstag nun kommt der französische Staatspräsident Emmanuel Macron.
Dieser hat nach Informationen der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita einen besonderen Plan in der Aktentasche: Demnach möchte der französische Präsident vorschlagen, eine europäische Friedensmission in die Ukraine zu entsenden, und zwar konkret 40 000 Soldaten in fünf Brigaden. Eine davon könnte von Polen geleitet werden. Die Truppen könnten nach der etwaigen Einstellung von Kampfhandlungen als dauerhafte Sicherheitsgarantie in der Ukraine bleiben.
Donald Tusk selbst verkündete diese Woche, er wolle während der EU-Ratspräsidentschaft, die Polen am 1. Januar von Ungarn übernimmt, Friedensverhandlungen mit Russland beginnen. Zu Beginn des neuen Jahres will Tusk nach Kiew reisen, bald danach soll der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij Polen besuchen.
Friedenstruppen sollen einen möglichen Waffenstillstand mit Russland sowie mögliche Demarkationslinien schützen
Sicherheit und Verteidigung werden die Themen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft sein. Die „Zusammenarbeit für den Frieden“, so sagte Tusk, werde das entscheidende Thema der kommenden sechs Monate sein. Polen übernehme die Präsidentschaft in einer „sehr dramatischen Situation“. Es sei ihm wichtig, dass Polen bei Entscheidungen, welche die Sicherheit und die polnischen Interessen schützten, den Ton angebe. Polen grenzt auf fast 1200 Kilometern an die russische Exklave Kaliningrad, Belarus und die Ukraine.
Macrons Friedenstruppen sollen laut Rzeczpospolita einen möglichen Waffenstillstand mit Russland sowie mögliche Demarkationslinien schützen. Der französische Präsident hat seine Idee demnach bereits im November mit dem britischen Premierminister Keir Starmer besprochen. Tusk kommt Macrons Vorschlag zu einer europäischen Initiative vermutlich insofern gelegen, als Tusk sehr offen Bedenken hinsichtlich der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump in den USA äußert. Kurz nach dessen Wahlsieg rief Tusk zu mehr europäischer Initiative auf. Gleichgesinnte sieht er vor allem in den baltischen und skandinavischen Ländern.
Macrons Vorangehen in dieser Angelegenheit, so sich sein Vorschlag bestätigt, überrascht nicht, aus mindestens zwei Gründen.
Macron bemüht sich um einen der vorderen Plätze auf der außenpolitischen Bühne
Erstens war er es schon, der die Eventualität einer Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine zur Verwunderung der Alliierten erstmals öffentlich aufs Tapet gebracht hatte. Das war im vergangenen Februar, nach einer von ihm einberufenen Konferenz in Paris. Macron sagte damals vor den Medien wörtlich: „Über alles wurde gesprochen, sehr frei und direkt. Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu schicken. Doch für die Zukunft darf man nichts ausschließen. Wir werden alles tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnt.“ Es gab viel Kritik am Vorpreschen des Franzosen, zumal Paris bis dahin zurückhaltend gewesen war mit der Lieferung von Waffen nach Kiew. Man fragte sich auch, ob Macron das wirklich so hatte sagen wollen oder ob es ihm herausgerutscht sei. Seit Februar gilt er als Falke in der Sache.
Zweitens ist Macron innenpolitisch stark geschwächt, seit sein Lager im Parlament keine Mehrheit mehr hat. Neben der Berufung eines neuen Premiers, die in diesen Tagen erwartet wird, bleibt dem Präsidenten fast nur noch das außenpolitische Parkett. Und als Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte ist er zuständig für alles Militärische. Am Wochenende, am Rande der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame de Paris, sprach er mit Donald Trump und Wolodimir Selenskij, die beide angereist waren für die Feierlichkeiten – sie setzten sich im Élysée zusammen zu einem inoffiziellen, trilateralen Treffen, in dem es natürlich um die Ukraine ging. Macron, so hat es den Anschein, bemüht sich mit dieser neuen Initiative um einen der ganz vorderen Plätze auf der Bühne.
Scholz bleibt mal wieder vage
In Deutschland stoßen solche Überlegungen auf erhebliche Skepsis. Zwar hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kürzlich am Rande eines Nato-Außenministertreffens in Brüssel durchaus „eine internationale Präsenz zur Absicherung eines Waffenstillstandes“ ins Spiel gebracht und dabei auch eine Präsenz der Bundeswehr nicht ausgeschlossen. Deutschland werde eine Lösung „mit all unseren Kräften unterstützen“, sagte sie – allerdings offenkundig nicht zur Freude von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Im Bundestag erweckte er den Eindruck, Baerbock sei falsch interpretiert worden.
„Ich halte es für ausgeschlossen, dass wir in der gegenwärtigen Situation Truppen oder deutsche Soldaten in die Ukraine schicken“, betonte Scholz. Es sei „auch ganz unangemessen, jetzt darüber zu spekulieren, was später mal bei einem verhandelten Waffenstillstand und einer friedlichen Situation“ sein werde. Beim Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftstag in Berlin blieb Scholz am Mittwoch folglich vage. Deutschland unterstütze die Ukraine im Streben nach Frieden – „einem Frieden, der nicht über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geschlossen werden kann“, betonte er nur.
Zumindest was eine deutsche Truppenpräsenz angeht, weiß sich Scholz im Übrigen einig mit dem Kanzlerkandidaten der CDU, Friedrich Merz. Er halte solche Spekulationen zum jetzigen Zeitpunkt für unverantwortlich, sagte Merz in der ARD-Sendung Maischberger. Auch der polnische Verteidigungsminister erklärte, eine polnische Truppenentsendung komme “nicht infrage”.
Russland machte indes erst vor Tagen klar, dass es angesichts seiner aktuellen Erfolge an der Front überhaupt nicht an Friedensgesprächen interessiert ist – und erst recht keine westlichen Truppen dort akzeptieren will. Dem kremlfreundlichen US-Journalisten Tucker Carlson sagte Außenminister Sergej Lawrow in einem Interview am 6. Dezember, „für einen Frieden in der Ukraine darf es dort keinerlei Nato geben, keine Militärbasen und Übungen unter Teilnahme ausländischer Soldaten“. In dem Gespräch nannte Lawrow die ukrainische Regierung ein „Nazi-Regime“. Außerdem müsse der Westen endlich „die Realitäten im Land für eine Einigung über die Ukraine berücksichtigen“. Im Klartext: die Eroberung und teilweise bereits illegale Annexion eines Fünftels des ukrainischen Staatsgebiets.
Moskau ist umso weniger an Verhandlungen interessiert, als es sowohl ukrainischen wie westlichen Militärspezialisten wie Deep State oder dem Institut für Kriegsstudien in Washington (ISW) sowie ukrainischen Militärkorrespondenten zufolge an fast allen Stellen der Front unter Druck steht oder weiter Territorium verliert – auch in der seit August teils besetzten russischen Region Kursk. Übereinstimmend wird über die Erschöpfung der ukrainischen Armee – und möglicherweise weitere bevorstehende Offensiven der Russen berichtet. „Wir werden nicht in der Lage sein, schnell Lösungen zu finden und Russlands Überlegenheit schnell zu überwinden“, kommentierte der ukrainische Militärkorrespondent Jurij Butusow.