Lungenfachärzte diskutieren über richtige Verabreichung |ABC-Z
Durch Michael Jackson wurde das Sedativum und Narkotikum Propofol weltbekannt. Der „King of Pop“ starb 2009 an einer Überdosis. Das seit 1988 in Deutschland zugelassene Medikament macht schöne Träume, teilweise auch sexuell angenehme. In jedem Fall werden in den Praxen von Gastroenterologen, bei Pneumologen und Urologen millionenfach Patienten für die Darm- oder Magenspiegelung, die Bronchoskopie oder die Blasenspiegelung mit Propofol in einen Kurzschlaf versetzt. Nahezu alle unangenehmen, schmerzhaften Nebenfolgen einer endoskopischen Untersuchung unterbleiben für die Patienten. Die Ärzte schätzen das Präparat, weil der Patient, anders als bei den früher eingesetzten Valium-Derivaten, schnell wieder aufwacht, nur kurz überwacht werden muss und auch keine kurzzeitigen Erinnerungsverluste auftreten.
Allerdings gibt es seit Jahren bei der Propofolgabe ein Problem: Das Medikament gilt zwar als gut verträglich, es kann aber zu einem raschen Blutdruckabfall führen, und es macht auch atemdepressiv, das heißt, die Intensität der Atmung lässt nach. Kommt es zu einem Zwischenfall, sollte in kürzester Zeit ein erfahrener Intensivmediziner oder Anästhesist zur Stelle sein. In vielen Facharztpraxen und auch in manchen Kliniken praktiziert man – aus Gründen der Kostenersparnis und der einfacheren Planung von Eingriffen – aber die sogenannte Nurse Administrated Propofol Sedation, kurz NAPS.
Das Sedativum wird von einer speziell geschulten Krankenschwester intravenös verabreicht, die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung werden vom Pflegepersonal überwacht. Diese Praxis steht im Widerspruch zur Fortschrittsgeschichte der operativen Medizin und der Anästhesiologie: Die Herausbildung des eigenen Fachs Anästhesiologie führte zur Etablierung einer professionellen Arbeitsteilung am OP-Tisch: Der Operateur konzentriert sich vollständig auf das Operationsgebiet – der Narkosearzt auf Überwachung und Dosierung der unterschiedlichen Mittel zur Narkotisierung. Das garantiert ein geringeres Narkose- sowie Operationsrisiko.
Lungenfachärzte lehnen die NAPS-Praxis ab
Wenn man die Sedierung allerdings den Anästhesisten überlässt, kann es in Einzelfällen zu Konflikten mit dem Operateur oder Endoskopeur kommen, denn es ist dann durchaus möglich, dass eine Sedierung abgeflacht oder sogar ein Eingriff beendet werden muss. Zwischen den unterschiedlichen Fachärzten, die endoskopieren, und den Anästhesisten gibt es darüber seit Jahren Streit. Die Narkoseärzte wollen die Patienten nicht allein den Endoskopeuren überlassen, sondern immer mit in die Behandlung involviert werden, wenn Propofol verabreicht wird.
Die Lungenfachärzte machen pro Jahr etwa 400.000 Lungenspiegelungen, davon werden etwa 300.000 in Kliniken als NAPS gemacht. Der Verband Pneumologischer Kliniken (VPK) hält das für wenig qualitätsorientiert und dringt darauf, sich von der NAPS-Praxis zu verabschieden. „Die Vornahme der Propofolgabe durch einen Intensivmediziner oder einen Anästhesiologen hat unzweifelhaft ein höheres Sicherheitsniveau für den Patienten als die Propofolgabe durch eine Pflegeperson, welche im besten Falle für diese Aufgabe einen Dreitageskurs absolviert hat“, sagt Martin Hetzel, Geschäftsführer des VPK und Chefarzt am Klinikum Stuttgart. Propofol könne zu Atemstillständen und kritischen Blutdruckabfällen führen. „Dies rechtzeitig zu erkennen und die richtigen Behandlungsmaßnahmen, wie Beatmung und die Gabe von kreislaufwirksamen Medikamenten vorzunehmen, kann nicht an das Pflegepersonal delegiert werden.“ Für eine Verbesserung der Situation wären etwa 120 Anästhesisten in den Kliniken erforderlich. Ein höherer Qualitätsstandard bei der Propofolgabe führe auch zu einem höheren Niveau der Bronchoskopien, sagt Hetzel. Der Patient könne tiefer sediert werden, der Untersucher könne sich besser auf die Endoskopie konzentrieren und auch intensiver untersuchen.
Hetzel und der Vorsitzende des Verbands, der Pneumologe Thomas Voshaar, begründen ihre Haltung mit der Rechtslage. Wie ein Medikament einzusetzen ist, entnimmt der Arzt den sogenannten Fachinformationen des Herstellers. Die unterschiedlichen Produzenten von Propofol empfehlen die Gabe durch Ärzte. Zu der rechtlichen Frage, ob sie auch an nichtärztliches Personal „delegiert“ werden darf, gibt es drei Rechtsgutachten. In einem Gutachten der Kanzlei Ratajczak aus Sindelfingen wird von dieser Propofolgabe aus rechtlichen und medizinischen Gründen abgeraten; zwei Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Ehlers halten hingegen im Einzelfall die Delegation für zulässig, wenn es sich um Patienten mit geringen gesundheitlichen Risiken und wenigen Vorerkrankungen handelt, wenn nur eine leichte Sedierung nötig ist und wenn die Präsenz eines erfahrenen Intensivmediziners gewährleistet werden kann.
Geht der Arzt bei einer Delegation Haftungsrisiken ein?
Hetzel widerspricht: „Die Delegation der Propofolgabe steht den Herstellerinformationen entgegen, ist deshalb arzneimittelrechtswidrig und geht mit erheblichen haftungs- und strafrechtlichen Risiken für den delegierenden Arzt einher.“ Keine Leitlinie dürfe Vorrang vor einer Herstellerinformation haben. Wer die Fachinformation des Herstellers ändern wolle, müsse dies beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragen, mutmaßlich werde aber kein Propofolhersteller die Haftungsrisiken übernehmen wollen.
Hetzel widerspricht auch dem Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), die sich für eine Veränderung der Rechtslage zugunsten der Delegierung ausgesprochen hat. In ihrer Stellungnahme schreibt die DGP, dass es „keine wissenschaftlichen Erkenntnisse“ gebe, die bei Bronchoskopien mit flexiblen Endoskopen gegen die Sedierung durch das Pflegepersonal sprächen. „Es scheint vielmehr, dass man in dieser Diskussion eine 20 Jahre alte Fachinformation zur Zementierung des Arztvorbehaltes in der Bronchoskopie instrumentalisieren will. Aber in dieser Zeit haben sich Ausbildung und Qualifikation des medizinischen Assistenzpersonals enorm verändert.“ Die Auffassung der VPK-Ärzte sei „eine Einzelmeinung“. Das Risiko der Sedierung sei sehr gering, entsprechende Daten werde die DGP im April 2025 vorstellen.
Auch der Bundesverband niedergelassener Gastroenterologen (BNG) sieht die gängige Praxis der Propofolgabe mit geschultem Pflegepersonal als unproblematisch an. In Deutschland werden pro Jahr drei Millionen Koloskopien ausgeführt, davon etwa zwei Millionen ambulant. Mindestens ein Viertel sind Vorsorgekoloskopien. „Probleme bei der Sedierung für die Vorsorgekoloskopie gibt es bei 0,01 Prozent, bei dem Eingriff insgesamt liegt die Komplikationsrate bei 0,1 Prozent, wenn ein Polyp abgetragen wird“, sagt der BNG-Vorsitzende Ulrich Tappe. „Außerdem sind Gastroenterologen ja Internisten, die niedergelassenen Kollegen haben mindestens ein halbes Jahr Berufserfahrung auf einer Intensivstation gesammelt.“ Darum sei die Diskussion seit dem Jahr 2000 eigentlich schon beendet. Die Kritiker dieser Praxis wenden ein, dass die Komplikationen mit Sedierungen nicht genau genug dokumentiert würden und man nicht wisse, ob bei der Gabe nur ein geschulter Krankenpfleger oder auch ein Anästhesist am Untersuchungstisch stehe. Zwischenfälle oder Beinaheunfälle würden statistisch nicht sauber erfasst.
Anästhesisten können den Streit unter den Pneumologen „nur schwer nachvollziehen“
Fast alle Propofolsedierungen in den gastroenterologischen Ambulanzen werden ohne Anästhesisten vorgenommen, der Gastroenterologe leitet die Sedierung ein und übergibt an eine geschulte Krankenschwester. In der Behandlungsleitlinie der Gastroenterologen wird zugleich daran erinnert, dass bei der Vergabe die Herstellerangaben zu befolgen seien – ein offensichtlicher Widerspruch.
Die Anästhesisten wollen sich in den Streit unter den Pneumologen am liebsten nicht einmischen, sie können ihn „nur schwer nachvollziehen“. Frank Wappler, Chefarzt für Anästhesiologie an den Städtischen Kliniken in Köln und Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), sagt: „Wenn es Hinweise und Daten gäbe, dass das Patientenwohl bei Bronchoskopien nicht gewährleistet sei oder die vorhandenen Daten nicht ausreichten, um dies zu bewerten, dann muss man dies klären und gegebenenfalls die Praxis der Propofolgabe in der Pneumologie ändern.“
Wappler hält die gemeinsam mit den Gastroenterologen entwickelte Leitlinie für vorbildlich und maßgeblich: „Danach soll ein erfahrener Anästhesist oder Intensivmediziner für die Sedierung verantwortlich sein, wenn der Patient nach Kategorie 3 ernsthaft vorerkrankt ist oder wenn die Sedierung sehr tief sein muss. Ist das nicht der Fall, kann die Propofolsedierung nach der Einleitung an die speziell geschulten Krankenpfleger delegiert werden.“ Das müsse auch für die Lungenheilkunde gelten.
Strittig bleibt, ob angesichts hoher Fallzahlen vor allem bei Endoskopien die Risikopatienten sowie versteckte Risiken von den niedergelassenen Fachärzten immer richtig erkannt werden. Die Frage der Delegierung wird auch bleiben, wenn Ärzte dazu übergehen, modernere Sedativa zu verwenden. Remimazolam etwa ist schon zugelassen und lässt sich vielleicht noch etwas einfacher einsetzen als Propofol. Aber die grundsätzlichen Risiken bleiben auch bei diesem Medikament bestehen.