Gesundheit

Lungenentzündung: „Sie kann binnen Stunden zum Tod resultieren“ |ABC-Z

Mehr als eine Million Menschen in Deutschland erkranken pro Jahr an einer Lungenentzündung. Viele überleben sie nicht. Die Dramatik der Krankheit wird massiv unterschätzt, sagt ein Lungen-Experte. Eine Gruppe von Menschen ist besonders gefährdet und ahnt davon nichts.

Der Papst ist an einer schweren Lungenentzündung erkrankt. Das Risiko, dass der 88-Jährige diese nicht überlebt, ist groß. Das betrifft ihn längst nicht allein. Es stürben viel mehr Menschen an einer Pneumonie, als sich viele vorstellen können, sagt Wolfram Windisch, Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und thorakale Onkologie an den Kliniken Köln.

WELT: Wenn die Ärzte des Papstes von einem schweren Verlauf der Lungenentzündung sprechen, was bedeutet das?

Wolfram Windisch: Von einem schweren Verlauf spricht man eigentlich primär bei einer Pneumonie als Notfall, wenn ein Patient bereits Intensivstations-pflichtig ist oder sein klinischer Zustand so eingeschränkt ist, dass ein hohes Risiko besteht, in der Folge intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen. Das heißt, wenn schwere Einschränkungen der Atmung, der Kreislauffunktion oder der Nierenfunktion bestehen, was einen körperlich kritischen Zustand reflektiert. In dieser Situation kann der ganze Körper von der Infektion betroffen sein. Lungenentzündungen sind eine absolut unterschätzte Erkrankung.

WELT: Inwiefern?

Windisch: In der öffentlichen Wahrnehmung spielen Krankheiten der Lunge, nicht nur die Lungenentzündung, eine weniger wichtige Rolle, als sie eigentlich spielen müsste. So erkrankten im Jahr 2019 etwa 1,25 Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Lungenentzündung. Mehr als die Hälfte von ihnen sind älter als 65 Jahre. Etwa 60 Prozent müssen sogar im Krankenhaus behandelt werden. Und etwa fünf Prozent werden es nicht überleben. Das ist ganz schön viel.

WELT: Man sollte annehmen, dass in unserem Gesundheitssystem Lungenentzündungen keine solche Bedrohung darstellen würden.

Windisch: Das eine Fehlannahme. Man darf nicht vergessen, dass es nicht einmal 100 Jahre her ist, dass die überaus meisten Menschen an Infektionskrankheiten verstarben. Das änderte sich erst, als die Hygienezustände verbessert waren, Infektionswege besser verstanden waren, Antibiotika zur Verfügung standen und schließlich auch Impfung breitflächig zur Verfügung standen. Seitdem hat sich bei vielen eine gewisse Nachlässigkeit eingestellt, als ob Infektionen nicht mehr gefährlich sein könnten. Nun werden zwar viele Lungenentzündungen durch Bakterien verursacht und können grundsätzlich mit Antibiotika behandelt werden, aber längst nicht alle. Und zudem kann eine Lungenentzündung bei einem fulminanten Verlauf mitunter innerhalb von Stunden oder Tagen zum Tod führen.

WELT: Was geschieht dabei im Körper?

Windisch: Eine Lungenentzündung entwickelt sich in den unteren Atemwegen. Bakterien oder Viren setzen sich in den Alveolen, den Lungenbläschen, und den kleinen Bronchien fest. Das Abwehrsystem erkennt die Invasion und beginnt sie zu bekämpfen. Das ist die klassische Entzündungsreaktion. Die Lungenbläschen und das Gewebe beginnen anzuschwellen. Man kann sich das vorstellen wie auf einem Schlachtfeld. Dabei sammelt sich Flüssigkeit an, viele Zellen werden zerstört. Es sammelt sich Zellschrott an, es kommt zur Eiterbildung. Lungenbläschen verstopfen, und das Blut nimmt Umwege durch die Lunge, dadurch wird das Atmen und auch die Sauerstoffaufnahme erschwert. Für den Arzt macht sich eine Lungenentzündung durch feuchte Rasselgeräusche beim Abhören bemerkbar.

WELT: Das erklärt aber nicht die hohe Sterblichkeit.

Windisch: Nein. Einer Lungenentzündung liegt immer ein Kampf zwischen Abwehrsystem und Keimen zugrunde. Wenn die Immunantwort es nicht schafft, die Erreger in den Griff zu bekommen, dann dringen sie bis ins Blut vor und überschwemmen den Körper. Wir Mediziner sprechen dann von einer Sepsis, das ist ein sehr kritischer Zustand.

WELT: Auch bei Papst Franziskus wurde bekannt, dass er unter einer beginnenden Nierenschwäche leiden würden.

Windisch: Bei der Beurteilung wäre ich vorsichtig. Papst Franziskus ist 88 Jahre alt. Da kommt es schnell zu einer Niereninsuffizienz, wenn der Körper angeschlagen ist. Die Ursache kann eine Flüssigkeitsmangel sein, der ausgeglichen werden kann und dann mit wieder verbesserter Nierenfunktion einhergeht. Es kann aber auch ein Vorbote eines fulminanten Verlaufs sein, das wissen wir nicht, ohne die genauen Details zu kennen.

WELT: Nach welchen Schweregraden unterteilt man eine Lungenentzündung?

Windisch: Es gibt unterschiedliche Schweregrade. Vereinfacht kann man drei Formen unterscheiden. Bei einer leichteren Erkrankung kann ein Patient mitunter ambulant behandelt werden. In der Regel sind das jüngere Patienten ohne Kreislaufschwäche oder Organversagen. Bei schwer Erkrankten muss eine Krankenhausbehandlung erfolgen, wenn also die Patienten älter sind, schwere Einschränkungen der Atmung, des Kreislaufs oder Bewusstseinslage haben. Die schwersten Formen müssen intensivmedizinisch behandelt werden, häufig mit künstlicher Beatmung und auch Kreislauftherapie.

WELT: Was sind die wichtigsten Erreger einer Pneumonie?

Windisch: Am häufigsten finden sich bei der bakteriellen Entzündung die Pneumokokken. Zudem gibt es Atemwegs-Viren. Dazu zählen auch Influenza-Viren, das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), auch das Coronavirus. Viren sind in der Regel hochansteckend, und wer älter ist oder dessen Immunsystem mitgenommen und durch andere Erkrankungen angeschlagen ist, kann schneller eine Lungenentzündung entwickeln.

WELT: Und wer ist besonders gefährdet, zu erkranken?

Windisch: Da gibt es eine ganz klassische Verteilung. Neugeborene bis etwa sechs Monate und dann Menschen, die sich vom Alter her in Richtung Rente bewegen. Ab dem 60. Lebensjahr nimmt das Risiko, an einer Lungenentzündung zu erkranken enorm zu und erreicht etwa ab dem 75. Lebensjahr seinen Höhepunkt. Auch das hängt mit dem Abwehrsystem zusammen, welches im Alter schwächer wird.

WELT: Immer wieder ist davon die Rede, dass Feinstaub zu Lungenentzündungen führen kann. Wie gefährlich ist die Belastung?

Windisch: Die Lunge ist ein sehr vulnerables Organ, das direkt im Austausch mit der Umwelt ist. Das heißt, sämtlich Dämpfe, Gase und Partikel kommen in den Atemwegen an. Grundsätzlich schädigt also Feinstaub die Lunge und auch andere Körperorgane. Allerdings habe ich das Gefühl, dass durch die Diskussion um den Feinstaub von dem wichtigsten Risikotreiber für Lungenerkrankungen abgelenkt wird.

WELT: Der wäre?

Windisch: Rauchen. Jeden Tag sterben in Deutschland rund 350 Menschen an den Folgen des Rauchens. Das ist etwa so, als würde Tag für Tag ein voll besetzter Jumbojet abstürzen. Es ist ein Drama, dass Deutschland eines der tabakfreundlichsten Länder in Europa ist. Das zeigt sich neuerdings am Umgang mit den Einweg-Zigaretten, die besonders bei Kindern und Jugendlichen beliebt sind und sie in die Nikotinsucht treiben. In Belgien ist der Verkauf seit Beginn dieses Jahres verboten, Großbritannien folgt im Juni, Frankreich hat ein Verbot beschlossen – schon jetzt ist das Dampfen an Stränden, öffentlichen Plätzen und in Parks verboten. In Asien kann man schon von einem generellen Verbot sprechen.

WELT: Abgesehen vom Rauchen, wie können gerade besonders gefährdete Personen sich vor einer Lungenentzündung schützen?

Windisch: Impfen. Das ist die wichtigste Schutzmaßnahme. Während der Corona-Pandemie hatte man den Eindruck, dass Impfen zu einer Gesundheitsgefahr erklärt wurde. Das ist eine völlige Verdrehung der Fakten, und es ist ein Drama, dass sich so viele Menschen davon beeinflussen lassen. Bis heute. Es gibt hochwirksame Impfstoffe gegen Influenza, RSV, Corona und gegen gleich 20 Unterarten von Pneumokokken, darunter auch diejenigen, die besonders schwere Lungenentzündungen auslösen. Das Problem bei den Pneumokokken ist: Man steckt sich nicht primär mit Krankheitsfolge an. Die Bakterien tragen viele von uns in sich. Und wenn das Abwehrsystem schwächelt, durch Alter, Krankheit oder andere Stressoren, setzen sich die Erreger durch.

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