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Luke Littler: Der König der Halbstarken | ABC-Z

Vor zwei Wochen, nach seinem ersten WM-Match, standen Luke Littler die Tränen in den Augen. Er hatte zwar gewonnen, aber fahrig gespielt, unter
seinen Möglichkeiten. Der ihm angedichtete Nimbus des Wunderkindes, das sein Potential aber nun bestätigen muss, schien da erstmals schwer und für die Dartswelt sichtbar auf dem 17-Jährigen zu lasten.

Am späten Freitagabend weint Littler erneut. Doch diesmal
vor Glück. Littler hatte seinen dritten Matchdart auf das grüne Doppel-16-Feld getroffen. Er
wirft die Arme über den Kopf, macht ein paar Schritte Richtung Bühnentreppe, besinnt sich,
kommt zurück und klatscht mit seinem Finalgegner Michael van Gerwen ab. Im Publikum
umarmen und küssen sich Littlers Eltern. Wenig später reckt er die 25 Kilo schwere Trophäe in die Crowd. Nun ist
er der Dartskönig, der jüngste Weltmeister aller Zeiten – und ein Glücksfall für seinen Sport. 

Luke Littler schlug – seinem Künstlernamen The Nuke,
dem Atomschlag, entsprechend – in die Profiwelt des Darts ein wie
kein Teenager zuvor. Der mit außerordentlichem Talent gesegnete Brite sammelte im vergangenem, seinem ersten Jahr auf der Profitour gleich zehn
Titel, darunter die der prestigeträchtigen Premier League sowie des
Grand Slam, und schaffte es ins WM-Finale. Das
waren die Zahlen.

Dazu kam die Attitüde. Die Hände stets in den Hosentaschen, die
Antworten in TV-Interviews allseits nonchalant abgeklärt und eine Spur
mokant, der zur Schau gestellte Halbstarken-Lifestyle unaufgeregt
sympathisch irgendwo zwischen Kebabbude, Spielkonsole, Chillen und eben doch ganz viel Ehrgeiz. Luke Littler
personifizierte die gelebte oder zumindest nach außen hin getragene
höfliche Gleichgültigkeit einer Jugend, die nichts zu verlieren und noch
alles zu gewinnen hat.

Ein Posterboy des Pfeilesports

Auf den Britischen Inseln machte
das den Jungen aus Warrington, einer Stadt nahe des britschen Ruhrpotts
rund um Liverpool und Manchester, erstaunlich beliebt. Littler wurde
2024 im Vereinigten Königreich die am dritthäufigsten gegoogelte Person –
nur der zukünftige US-Präsident Donald Trump und die britische
Königsgattin Catherine erhielten mehr Suchanfragen. Sein Finale im
vergangenen Jahr verfolgte in Großbritannien eine Rekordmenge von 3,7
Millionen TV-Zuschauern. Und so verwundert es auch nicht, dass bei so viel
Interesse und Gen-Z- und Gen-Alpha-Identifikationspotential der
Spielkonsolenhersteller Xbox zum Hauptsponsoren von Littler wurde.

Littler lieferte in dieser Saison beeindruckende, außergewöhnliche
Spiele ab – besonders für einen Jungen seines Alters. Doch trotz
seiner Erfolge schaffte er eines nicht: Darts
auf ein neues Level hieven. Dem letzten, dem das gelungen war, war Michael van Gerwen, sein Finalgegner.

Michael van Gerwen gewann in seiner Prime zwischen 2014 und 2020 fast
jedes wichtige Turnier auf der Tour, insgesamt 157 Titel. Aber noch
viel wichtiger: Sein Dartspiel von damals ist unerreicht. Van Gerwen
hält fast sämtliche Rekorde des Drei-Dart-Averages – die im Mittel mit
drei Pfeilen geworfene Punktzahl, mit der man Spiele auf null wirft, um,
manchmal über Sätze wie bei der Weltmeisterschaft, letztlich eine
Partie zu gewinnen. 

Niemand warf in einer Partie je einen besseren Schnitt als van Gerwen: 123,4 Punkte. Niemand
spielte je ein besseres WM-Match als van Gerwen: 114,05 Punkte. Niemand
durchlebte je ein besseres WM-Turnier als van Gerwen: 106,32 Punkte.
Luke Littler taucht in all diesen Listen nicht einmal in den Top 10 auf,
van Gerwen dafür gleich mehrfach. Van Gerwen ist zwar nicht der Athlet mit
den meisten WM-Titeln, aber es gibt nicht wenige, die ihn nennen würden, wenn sie sich auf den besten je dagewesenen
Dartspieler festlegen müssten. Bis jetzt.

Es ist, als Spiele van Gerwen gegen seinen Spiegel

Denn van
Gerwens Prime liegt in der Vergangenheit. In den Jahren
2024 und 2025 gewann der Niederländer erstmals seit zwölf Jahren keinen
wichtigen Titel. Und so wurde schon gleich zu Beginn des Finales klar,
dass die diesjährige Ausgabe nicht die spannendste aller Zeiten werden würde. Was nicht an
Littler lag, sondern an van Gerwen.

Die Kompromisslosigkeit, mit der
van Gerwen sonst Doppelfelder traf, um Spiele zu gewinnen, ging ihm
Anfang dieses Finals abhanden. Wurde es wichtig, warf er vorbei. Dagegen glänzte Littler mit ebenjener
Kompromisslosigkeit, die dem Niederländer fehlte. Fast jeder wichtige
Pfeil saß. Van Gerwen schaute bedient. Es war, als sei Littler sein
eigener, titelhungriger und bissigerer Spiegel.

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