Lukas Kummer adaptiert Thomas Bernhard | ABC-Z
Im siebten Jahr ist es vollbracht: Lukas Kummer schließt seine Comic-Adaption von Thomas Bernhards autobiographischen Büchern ab. Fünf gibt es davon, und erschienen waren sie von 1975 bis 1982 (Bernhard brauchte also ähnlich viel Zeit für die Niederschrift wie Kummer für die Umsetzung in Bilder) im österreichischen Residenz Verlag – damals sehr zum Ärger von Bernhards deutschem Stammverlag Suhrkamp, aber bei Residenz hatte der Schriftsteller wiederum seine ganz frühen Werke publiziert; es war also eine Heimkehr (und wie beim geldgierigen Bernhard zu erwarten auch ein kleines Erpressungsmanöver). Bei den Bernhard-Comics verlief es umgekehrt: Suhrkamp brachte 2011 Nicolas Mahlers Adaption der Erzählung „Alte Meister“ heraus, mit Riesenerfolg, dem dann noch Weiteres von Mahler über Bernhard folgte, und Residenz hängte sich daran: eben mit den fünf populären Bernhard-Selbstauskünften, über deren Rechte man verfügte.
Es sind die schlechtesten Bücher nicht in seinem umfangreichen Gesamtwerk, auch wenn man diese mehrteilige Autobiographie, die nur von Kindheit und jungen Jahren erzählt, keinesfalls für bare Münze nehmen darf. Als Thomas Bernhard sie abfasste, war sein markanter Prosastil schon ausgereift, und er wendete ihn nun aufs eigene Leben an, aber auch schon zuvor hatte er die Figuren seiner Bücher als Wortführer des eigenen skeptisch-verzweifelten Menschenbilds inszeniert: Im wahlweise klagenden oder schimpfenden Duktus betrieben sie das, was Bernhard zuletzt in den Titel seines umfangreichsten Romans fassen sollte: „Auslöschung“. Über den entsprechenden Einfluss seines Großvaters, des namentlich von Bernhard nie genannten, weitgehend erfolglosen Schriftstellers Johannes Freumbichler, auf den Enkel steht im autobiographischen Band „Das Kind“ zu lesen: „In der Theorie vernichte ich jeden Tag alles, verstehst du, sagte er. Diesen Gedanken empfände er als großartigsten. Ich selbst machte mir diesen Gedanken zu eigen und spielte mein ganzes Leben damit.“
Eine mustergültige Anschmiegung an den Ausgangstext
Dieses Zitat aus dem 1982 als Abschluss des autobiographischen Zyklus erschienenen (aber chronologisch das früheste Alter seines Autors umfassenden) Büchleins hat Lukas Kummer natürlich aus dem bernhardschen Textfluss herauspräpariert. Er steht auf Seite 19 des nun auch als Abschluss des Quintetts publizierten Comics „Das Kind“, also recht früh angesichts dessen 100 Seiten. Alle fünf Kummer-Bände weisen übrigens denselben Umfang auf; das ist eine Besonderheit, mit der Lukas Kummer das Prinzip der formalen Strenge, das Bernhards Bücher durch ihren Litanei-Ton ohnehin vermitteln, noch einmal steigert.
Ansonsten ist seine Arbeit eine geradezu mustergültige Anschmiegung an den Ausgangstext. Natürlich sind alle in den Comics verwendeten Formulierungen reiner Bernhard, und sie folgen deren Abfolge in den Prosabüchern – eine Treue, die Nicolas Mahler nicht hat walten lassen, weil ihm die Vorlagen als Material für ein Arrangement nach eigenem Gusto dienen. Lukas Kummer, geboren 1988, also fast 20 Jahre jünger als Mahler und womöglich deshalb gegenüber dem Autor, der bereits 1989 gestorben ist, etwas ehrfürchtiger, beschränkt seine individuelle Ausformulierung auf die Bilder. Darin aber macht er vor allem die Wiederholung zum graphischen Prinzip – wobei ihm die starke Stilisierung seiner Figuren und das strenge Schwarz-Grau-Weiß der Panels hilft, denn beide Elemente vermitteln das Gefühl von Piktogrammen, wie man sie aus Bedienungsanleitungen kennt.
Aber niemand möge denken, dass diese Zeichnungen seelenlos wären. Vielmehr ist es Kummer gelungen, gerade durch die Leere der Gesichter seiner Figuren Platz zu lassen für unsere eigenen Vorstellungen von ihnen auf der Grundlage des Erzählten. Das ist bekanntlich das Prinzip der Ligne claire, und ähnlich konsequent wie Kummer haben sie nur wenige betrieben. Man könnte in seiner Bernhard-Pentalogie geradezu einen Crashkurs in graphischem Erzählen sehen. Aber auch diesbezüglich sei gesagt, dass dies nichts Technisches hat. Vielmehr wird die Verzweiflung des jungen Bernhard angesichts der ihn umgebenden Gesellschaft, die sich nach- oder nebeneinander aus Nazis, Erzkatholiken und Spießern zusammensetzt, dadurch besonders eindringlich vermittelt, dass die Wortkaskaden, die er dafür findet, ihre Entsprechung finden in Bildsequenzen, die auch immer wieder neu an denselben Punkten ansetzen. Man entkommt seiner Herkunft nicht. Bernhards Schreiben vollzieht eine Teufelskreisbewegung, Kummers Zeichnen auch.
Jenseits der Gattungen
Deshalb ist es konsequent, dass just „Das Kind“ den Abschluss des Projekts bietet, denn an dessen Ende kommen wir wieder an jenem Punkt an, wo „Die Ursache“ einsetzte, der erste Band des autobiographischen Zyklus. Der fünfte unterscheidet sich von den vier Vorgängern auch dadurch, dass er keiner „Gattung“ mehr angehört – Bernhard hatte die früheren Bände als „eine Andeutung“, „eine Entziehung“, „eine Entscheidung“ und „eine Isolation“ untertitelt. „Das Kind“ dagegen steht ganz für sich. Oder auch für all dies. Kummer ließ allerdings bei all seinen Comic-Adaptionen diese näheren Bestimmungen weg. Vielleicht weil Bernhards Band „letzter Hand“ es eben auch getan hatte.
Dass der Residenz Verlag die Publikationsreihe durchgehalten hat, obwohl sie die Verkaufszahlen von Nicolas Mahlers Bernhard-Comics nicht erreichte, ehrt ihn und verschafft dem deutschsprachigen Gegenwartscomic ein Meisterwerk. Und es gibt auch alle fünf Kummer-Bände vereint in einem Schuber (das hatte Residenz auch schon bei den Originalbüchern von Bernhard so gehalten), der mit 99 Euro auch noch elf Euro günstiger ist als der Kaufpreis für sämtliche Einzelbände. Wer noch nicht losgelesen hat, der tue es jetzt! Ganz besonders lohnend ist die parallele Lektüre von Bernhards und Kummers Zyklus. Der einzige Lapsus des Letzteren: Für die Autorenangaben zu Thomas Bernhard in „Das Kind“ hat Residenz einfach den Text aus „Die Kälte“ übernommen, dem vierten Band der Adaption. Als gäbe es den neuen gar nicht. Oder ist das eine besonders subtile Form der Auslöschung?