Lüge, Hetzkampagne, Mord: Der Fall des Lehrers Samuel Paty in Frankreich | ABC-Z
Vor vier Jahren wurde der Lehrer Samuel Paty in Frankreich von einem Dschihadisten enthauptet. Die Polizei erschoss den Täter. Doch dem Mord ging eine Hetzkampagne voraus. Heute wird das Urteil gegen acht Angeklagte erwartet.
Wenn man sie fragt, was sie von dem Urteilsspruch erwartet, atmet Mickaëlle Paty tief ein und zuckt mit den Schultern. Sie ist eine der Schwestern von Samuel Paty und fürchtet, dass das Urteil ihren Erwartungen nicht gerecht wird. Auch nicht denen der Gesellschaft.
Das Attentat auf den Geschichtslehrer Samuel Paty hatte Frankreich erschüttert, bei vielen wirkt der Schock bis heute nach. Auslöser war die Lüge einer damals 13-jährigen Schülerin, Paty habe in einer Unterrichtsstunde über Meinungsfreiheit Muslime beleidigt, als er Mohammed-Karikaturen zeigte. Die Schülerin war in der entsprechenden Stunde aber gar nicht da. Ihre Lüge brachte eine Hetzkampagne ins Rollen, an deren Ende der Mord an Paty stand.
Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen
Die acht Angeklagten sollen an der Hetzkampagne beteiligt gewesen sein, für sie fordert die Staatsanwaltschaft zwischen 18 Monaten Haft auf Bewährung und 16 Jahren Gefängnis.
In den Augen von Mickaëlle Paty ist die Staatsanwaltschaft damit zu nachsichtig. Das treffe vor allem auf einige der Angeklagten zu, die vorher als die Hauptschuldigen dargestellt wurden. “Die Staatsanwaltschaft fordert zwölf Jahre für Abdelhakim Sefrioui und zehn Jahre für Brahim Chnina – das wird ihrer Rolle nicht gerecht”, sagt sie.
Chnina und Sefrioui gelten als Schlüsselfiguren in dem Prozess. Chnina ist der Vater der Schülerin, die die Lüge über Samuel Paty in die Welt gesetzt hatte, Sefrioui ein islamistischer Aktivist. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft haben beide die Hetzkampagne gegen Samuel Paty durch Internetvideos vorangetrieben und den Lehrer zur Zielscheibe gemacht.
“Die Lüge war der Anfang”
Chnina zeigte sich vor Gericht reumütig und bat die Familie um Verzeihung. Patys Schwester Gaëlle sagte bei France 5, das könne sie nicht annehmen, weil ihr die Entschuldigung “nicht aufrichtig” vorkomme. “Die Lüge seiner Tochter war der Anfang. Aber man darf nicht vergessen, dass er ein Erwachsener ist, wie die anderen Angeklagten. Er hat sich dazu entschieden, diese Videos zu machen und WhatsApp-Nachrichten an Tausende Leute zu schicken.”
Sefrioui dagegen weist jede Verantwortung von sich. Sein Anwalt Vincent Brengarth argumentiert, dass Sefrioui ein islamistischer Aktivist, aber kein Terrorist sei – und plädiert auf Freispruch. “Man fordert zwölf Jahre Haft gegen ihn, obwohl die Ermittlungen keine direkte Verbindung zwischen ihm und dem Attentäter nachweisen könnten. Und sie beweisen auch nicht, dass der Attentäter das Video überhaupt gesehen hat, in dem Monsieur Sefrioui auftaucht.”
Eine Argumentation, für die Patys Familie und die Anwälte der anderen Zivilparteien kaum Verständnis aufbringen können. Im Grunde habe sie von den Angeklagten aber auch nichts erwartet, sagt Mickaëlle Paty.
Etwas habe der Prozess dann doch bewirkt
Aus ihrer Sicht hat der Prozess trotzdem etwas bewirkt. “Ich würde sagen, das Gericht hat dazu beigetragen, Samuels Würde wiederherzustellen. Es hat Menschen angehört, die bewiesen haben, dass sein Unterricht besonnen und respektvoll war, dass er ein Gleichgewicht gefunden hat zwischen Neutralität und Laizität – einem Prinzip, das die Gläubigen schützt, aber nicht die Religionen als solche.” Das Gericht habe alles getan, um ihrem Bruder seine Würde als Mensch und als Lehrer wiederzugeben.
Das Urteil soll am Abend fallen.