Berlin

Ausstellung | Die Bronzen von San Casciano dei Bagni: Schicksale aus dem Schlamm | ABC-Z

Ausstellung | Die Bronzen von San Casciano dei Bagni

Schicksale aus dem Schlamm


Bild: Emanuele Mariotti

Eine archäologische Sensation aus der Toskana gibt Aufschlüsse über etruskische und römische Riten. Die in der James-Simon-Galerie ausgestellten Opfergaben erzählen von menschlichen Bedürfnissen, die auch für die Gegenwart Bedeutung haben. Von Julia Sie-Yong Fischer

Wer buddelt, kann noch echte Schätze finden. Wie durch ein Wunder machten Archäolog:innen 2022 in der kleinen toskanischen Gemeinde San Casciano dei Bagni neben einem römischen Thermalbad einen spektakulären Fund. 15 gut erhaltene, antike Statuen, Köpfe sowie hunderte Kleinartefakte aus Bronze wurden neben dem noch heute gut besuchten Becken aus dem warmen Schlamm gegraben. Sie repräsentieren eine historisch besondere Zeit zwischen dem 3. vor bis zum 4.Jahrhundert nach Christus, in der die etruskische noch neben und mit der römischen Kultur existierte.

Aufgrund der engen Zusammenarbeit der Antikensammlung des preußischen Kulturbesitzes und den italienischen Kulturinstitutionen werden diese Plastiken nun in der Berliner James-Simon-Galerie gezeigt. Gerade bei antiken Objekten sind die Museen aufgrund von zweifelhaften Provenienzen vor allem auf Leihgaben angewiesen. Welche politische Tragweite diese Ausstellung hat, bezeugt nicht zuletzt die Anwesenheit des italienischen Kulturministers Alessandro Giuli bei der Pressekonferenz.

Statue einer betenden Frau (2. Jh.v. Chr.) in der Ausstellung "Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“ in der Jame-Simon-Galerie Berlin. (Quelle:rbb/J.S.Fischer)
Statue einer betenden Frau (2. Jh.v. Chr.) in der Ausstellung “Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“ in der James-Simon-Galerie Berlin.Bild: :rbb/J.S.Fischer

Opfergaben und heilige Quellen

Und dennoch ist es kein ganz willkürlicher Zufall, an eben jenem Ort Opfergaben zu finden. Seit der Bronzezeit legten Menschen diese an Quellen nieder. Die sogenannten Votive können kunstvoll gestaltete Tafeln oder Skulpturen aus verschiedenen Materialien wie Metall, Holz, Ton oder Stein sein. Ihre Darreichung soll die höheren Mächte um Lösungen von Problemen bitten oder Dankbarkeit erweisen. Durch die heilende Wirkung des Thermalwassers galten Quellen (lateinisch: Fons) als heilige Orte der Weissagung. So entdeckten bereits Forschende des 16. Jahrhunderts in eben jener Gegend des Bagno Grande dementsprechende Funde. Doch nie zuvor so viele aus Metall gefertigte Figuren in dieser Größe und Zustand.

Authentische Darstellungen

Die etruskisch sowie lateinisch beschrifteten Plastiken sind detailliert gestaltet. Von der Haarstruktur bis zum Nagelbett geben sie ihre menschlichen Vorbilder präzise und ausdrucksstark wieder. Eine betende Frau (2. Jh. v. Chr.) streckt ihre Hände aus. Sie trägt ein Falten werfendes Kleid und gedrehten Zöpfe mit Kopftuch. Ihre Proportionen sind naturgetreu und symmetrisch. Die Statue des Lucius Marcius Grabillo, eines schwerkranken jungen Mannes (1. Jh. n. Chr.) ist unbekleidet. Auch er streckt die bittenden Arme seitlich empor. Seine Hüfte knickt leicht zur rechten Seite weg, die dünnen Glieder wirken instabil. Sein Körper entspricht nicht dem antiken Schönheitsideal, sondern gibt die Anzeichen seiner Krankheit in authentischer Weise wieder.

: Mehrere Körperteile aus Bronze in einer Vitrine in der Ausstellung "Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“ in der James-Simon-Galerie Berlin. (Quelle:rbb/J.S.Fischer)
Mehrere Körperteile aus Bronze in einer Vitrine in der Ausstellung “Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“ in der James-Simon-Galerie Berlin. Bild: :rbb/J.S.Fischer

Körperteile für die Gesundheit

Gesundheit ist ein zentraler Aspekt der gezeigten Opfergaben. Mehrere Körperteile wie Arme, Ohren, Genitalien oder auch ein halber Torso wurden aus Bronze ausgearbeitet, um für konkrete aber auch symbolische Genesung wie etwa bei unerfüllten Kinderwunsch zu beten. Ein chirurgischer Spatel sowie ein medizinisches Amulett mit Innereien zur Weihung der Göttin Fortuna (1.Jh. n. Chr.) spiegeln das Bedürfnis wider, Expertise und Kontrolle über die eigene Physis zu gewinnen. Aber auch andere Motive lassen sich finden: Ein erstaunlich erwachsen blickendes Kind mit riesigem Kopf hält eine Kugel in der Hand (1.Jh.n.Chr.). Diese wurde wie heutige Fußbälle auch aus Pentagonen konstruiert und geschickt als beweglicher Gegenstand eingesetzt. Die außergewöhnlich große Schlange mit Kamm und Bart, fungiert als Wesen zwischen Erde und Wasser, aber auch als mystischer Symbolträger. Aus Metall geformte Blitze wurden bei Blitzeinschlägen mit begraben, um den unberechenbaren Zorn der Götter zu besänftigen.

Staue einer betenden Frau, eines Kinds mit Ball und ein männlicher Porträtkopf aus Bronze in einer Vitrine in der Ausstellung "Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“ in der James-Simon-Galerie Berlin. (Quelle:rbb/J.S.Fischer)
Staue einer betenden Frau, eines Kinds mit Ball und ein männlicher Porträtkopf aus Bronze in einer Vitrine in der Ausstellung “Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“ in der James-Simon-Galerie Berlin. Bild: :rbb/J.S.Fischer

Bronze, Hühnereier und das menschliche Schicksal

Erstaunlich wie berührend die Darstellungen auch in unserer Gegenwart wirken. In den Votivgaben können nicht nur damalige Wertvorstellungen und ästhetischen Ideale herausgelesen werden. Auch die ganz intimsten Wünsche und Auseinandersetzungen mit dem eigenen Körper werden preisgegeben.Sie stellen Grenzgänger zwischen dem Diesseits und Jenseits dar und markieren die Grenze zwischen den Heiligen und dem ganz Alltäglichen. So wurden neben den kunstfertigen Artefakten auch jede Menge echte Hühnereier, Obst und Münzen gefunden. Hinter der Faszination für archäologische Erkenntnisse zeigt sich am Ende ein noch tieferes Gefühl: Der menschliche Wunsch, dem eigenen Schicksal nicht ausgeliefert zu sein, sondern es selbst in die Hand zu nehmen.

“Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm” vom 05.07.2025 bis 12.10.2025 in der James-Simon-Galerie, Bodestraße, 10178 Berlin


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