Habermas warnt vor Verflachung der christlichen Glaubensgehalte | ABC-Z

Das wäre dann aber nur noch eine Religion in Anführungszeichen, stellt Jürgen Habermas fest, indem er den Begriff der Religion in Anführungszeichen setzt. In einer Festschrift für den Frankfurter Religionsphilosophen Thomas Schmidt („Den Diskurs bestreiten“, Nomos Verlag 2025) nennt Habermas ein Religionsverständnis „paradox“, das seine Glaubensinhalte einklammert, suspendiert, für obsolet erachtet und es statt dessen bei einer zuversichtlichen Lebensweise bewenden lässt, die sich aus welchen Hoffnungen auch immer speist. Habermas markiert hier einen langjährigen „Dissens“ mit seinem Schüler Schmidt, der selbst dann noch von einer „religiösen Glaubenspraxis“ spreche, wenn es sich um eine „auf die Immanenz zurückgelenkte Glaubenseinstellung“ handele, bei der es „nicht mehr auf die Glückseligkeit einer alles Innerweltliche transzendierenden Erfüllung“ ankomme.
Für Habermas steht hier die „Konsistenz“ des Religionsbegriffs auf dem Spiel, wenn einer „von Jenseitshoffnungen und Erlösungsvorstellungen Abschied nehmenden“ allgemein menschlichen Zuversicht noch der Status christlicher Hoffnung eingeräumt wird. Nach seinem religionsphilosophischen Werk „Auch eine Geschichte der Philosophie“ leistet er sich nun gleichsam aperçuhaft einen Affront gegen den theologisch vorherrschenden funktionalen Religionsbegriff, wie er weitgehend auch die christliche Verkündigung bestimmt, wenn Glaubensinhalte auf ihre anthropologischen Plausibilitäten zurückgeschnitten werden und dabei „inhaltlich merkwürdig unbestimmt“ bleiben.
Was unterscheidet Kirche von Diesseitsspiritualitäten?
Genau in diese Kerbe hatte neulich auch der Münchner Fundamentaltheologe Thomas Schärtl-Trendel gehauen, als er bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz die Kirche in Deutschland davor warnte, sich nicht hinreichend von konkurrierenden „Diesseitsspiritualitäten“ zu unterscheiden („das Evangelium der Menschenfreundlichkeit“), die „ohne metaphysischen und eschatologischen Ballast“ auszukommen versprechen. Eine Warnung, der sich bei derselben Fuldaer Versammlung grundsätzlich auch der Utrechter Pastoraltheologe Jan Loffeld anschloss, der freilich seinerseits dazu tendiert, religionssoziologische Befunde wie den Hype um religiöse Indifferenz als Evangelium zu nehmen.
Habermas sieht in der inhaltlichen Einebnung religiöser Hoffnung eine „an die Wurzeln des Theismus“ greifende Veränderung, die sich gesellschaftliche Relevanz in dem Maß verspricht, „je weniger sie am dogmatischen Kern einer monotheistischen Erlösungsreligion festhält und das heißt: je klarer sie sich von einer Jenseitsorientierung und dem explizit göttlichen Erlösungsversprechen verabschiedet“.
Demgegenüber bleibt der philosophische Diskurspapst eisern bei seiner begrifflichen Konsistenzforderung und scheint, recht verstanden, geradezu für eine Entmenschlichung des Evangeliums der Menschenfreundlichkeit zu plädieren, um den transzendenten Anspruch des Christentums zu retten: „Die christliche Hoffnung richtet sich unter anderem auf die Auferstehung von den Toten und eine Erlösung von allen Übeln dieser Welt und ist ihrerseits abhängig vom Glauben an die Verheißung Gottes. Dieser Akt des Glaubens an das Eintreten des Verheißenen prägt auch den Modus des täglichen Lebens.“
Tatsächlich geht es im theistischen Bezugsrahmen darum, dass auf „etwas“ gehofft wird und nicht nur um eine Modalität der Zuversicht, an die wie Schmidt auch der Hamburger Dogmatiker Hartmut von Sass mit Bezug etwa auf Ernst Blochs Maxime anknüpfen möchte: „Wer lebt, der hofft. Und wo Hoffnung ist, da sei auch Religion.“ Wobei von Sass analytisch verfährt, sein Hoffnungsbegriff ist theologiegeschichtlich informiert, wenn er ernüchtert hinzufügt: „Gewiss, alles hat seine Zeit, und auch die ,Theologie der Hoffnung‘ hatte die ihre. Das waren die 1960er und 70er Jahre. Unterschiedliche Programme verbanden sich hier mit einer produktiven Unzufriedenheit. Sie votierten politisch meist links und predigten theologisch die ,Option für die Armen‘.“
Hat Letzteres nicht soeben auch Papst Leo XIV. getan, wenn er in seiner Schrift „Dilexi te“ ausdrücklich die „Option für die Armen“ einem Revival unterzieht? Die befreiungstheologisch missverständliche Formel läuft in Leos meditativem Text freilich unmissverständlich auf eine Option für den Theismus hinaus. Da scheint der Papst ganz bei Habermas zu sein.





















