Politik

Linksrutsch bei den Grünen? Wie es mit der Partei weitergeht | ABC-Z

Marktwirtschaftliche Standortpolitik, 3,5 Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben, ein neues Kohlekraftwerk in Lützerath – von den pazifistischen Ökosozialisten aus den 80er-Jahren ist in der heutigen Politik der Grünen noch kaum etwas zu spüren.

Die Entwicklung hin zu einer „pragmatischeren“ Ausrichtung war jedoch keinesfalls geradlinig. Seit jeher ringen „Fundis“ (der linke Flügel) und „Realos“ (der pragmatische Flügel) um die Ausrichtung der Partei. So auch jetzt wieder.

Grüne: Die meisten Stimmen an die Linke verloren

Zuletzt dominierten die Realos: Unter Vizekanzler Robert Habeck hatte sich die Partei das Ziel gesetzt, zu regieren – und dafür bei ihren Positionen auch Abstriche zu machen. Er wollte laut eigener Aussage die „Merkel-Lücke“ füllen.

Zehntausende wollen, dass Habeck in der Politik bleibt. Doch er und Annalena Baerbock räumen ihre Plätze und verschwinden aus der ersten Reihe der Grünen.
© Carsten Koall/dpa
Zehntausende wollen, dass Habeck in der Politik bleibt. Doch er und Annalena Baerbock räumen ihre Plätze und verschwinden aus der ersten Reihe der Grünen.

von Carsten Koall/dpa

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Mit 11,6 Prozent der Stimmen haben die Grünen zwar ihr historisch zweitbestes Ergebnis eingefahren, ihr selbstgestecktes Ziel jedoch verfehlt. Ganz nach Franz Münteferings (SPD) Credo „Opposition ist Mist“ tritt Habeck aus dem Rampenlicht – trotz einer Petition, die ihn um seinen Verbleib an der Grünen-Spitze bittet. Auch Annalena Baerbock zieht sich aus der ersten Reihe zurück – sie will nicht Fraktionsvorsitzende werden.

Für die Partei ist das eine Chance, sich neu auszurichten. Wieder linker zu werden. Die meisten Wähler (700.000) haben sie schließlich an die Linke verloren.

Die Grünen wollen wieder grüner werden

Auf Nachfrage der AZ, ob die Partei plant, diesen Weg einzuschlagen, verweisen die Grünen lediglich darauf, dass sie sich in der „Aufarbeitung des Wahlergebnisses befinden“ und diese am 6. April im Zuge eines Länderrats vorstellen wollen.

Bundesvorsitzender Felix Banaszak, der zum linken Flügel der Partei gehört, kündigte zumindest an, die Partei wieder „grüner“ machen zu wollen. Das heißt für ihn: „ambitionierte ökologische Politik“, „Streben nach Gerechtigkeit in der Gesellschaft“ und „Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt“. Wie links die Maßnahmen sein sollen, um diese Ziele umzusetzen, bleibt unklar.

Grüne Jugend: Nur linker werden reicht nicht

Geht es nach der Grünen Jugend (GJ), die Nachwuchsorganisation der Partei, soll es eine deutliche Kurskorrektur geben. Beisitzerin im GJ-Vorstand Zeliha Durmus vom bayerischen Landesverband sagt der AZ: „Wir sehen die Opposition als Chance, um zu unseren Kernthemen zurückzukehren.“

Das heißt: Sozialer Klimaschutz und ein bezahlbares Leben sollten in den Vordergrund gerückt werden. Wie schon 2019 im Zuge der Klimaproteste möchten sie von außen Druck machen. Ein Thema, das im Bundestagswahlkampf 2025 gar keine Rolle spielte.

Durmus denkt jedoch nicht, dass die Partei dafür nur linker werden müsse. „Die Grünen sind inhaltlich bei vielen entscheidenden Fragen schon links, aber nicht mutig genug.“ Mehr Investitionen in Infrastruktur, eine Erhöhung des Mindestlohns, zugänglicheres Bafög – die Punkte seien schon links, aber hätten lauter und schärfer im Wahlkampf vorgetragen werden müssen. Das passierte nicht – aus dem Wunsch heraus, mit der Union koalieren zu können.

Habecks Mission „Merkel-Lücke“ ist gescheitert

Der konnten die Grünen allerdings keine Stimmen abnehmen – Habecks Merkel-Lücke-Strategie ist gescheitert. Parteienforscher Martin Gross von der Ludwig-Maximilians-Universität München sagt der AZ aber auch: „Ich glaube nicht, dass sie irgendwas damit gewinnen könnten, in den Fundi-Flügel reinzugehen und komplett die Position der Linkspartei zu übernehmen.“

Das kann sich auch der Bundesgeschäftsführer der Linken, Janis Ehling, nicht vorstellen. Er sagt der AZ: „Die Politik der letzten Jahre sowohl im Bund, aber auch in den Ländern spricht eine andere Sprache. Kohleabbau, Autobahnausbau, Aufrüstungswahn und Anti-Migrationspläne lassen eher das Gegenteil vermuten.“

Janis Ehling, Bundesgeschäftsführer, spricht auf dem Bundesparteitag der Partei Die Linke. Er denkt nicht, dass die Grünen nach links rücken werden.
Janis Ehling, Bundesgeschäftsführer, spricht auf dem Bundesparteitag der Partei Die Linke. Er denkt nicht, dass die Grünen nach links rücken werden.
© Hendrik Schmidt (dpa)
Janis Ehling, Bundesgeschäftsführer, spricht auf dem Bundesparteitag der Partei Die Linke. Er denkt nicht, dass die Grünen nach links rücken werden.

von Hendrik Schmidt (dpa)

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Das zeigt sich auch an den Rücktritten des GJ-Bundesvorstands und etlicher GJ-Landesvorstände, darunter auch der bayerische, im vergangenen Herbst. Ihr Glaube, die Grünen könnten eine transformative linke Kraft werden, war erloschen.

Grüne könnten FDP beerben

Für die Abwanderung der Wähler zu den Linken war das hingegen nicht der entscheidende Grund. Parteienforscher Gross geht davon aus, dass die Grünen vor allem wegen des Themas Migration Stimmen an die Linken verloren hätten und nicht etwa wegen zu lascher sozialpolitischer Maßnahmen.

Er sieht darin für die Grünen die Chance, die FDP als liberale Bürgerrechtspartei zu beerben. „Was Gesellschaftspolitik angeht, gab es die großen Gegensätze zwischen FDP und Grünen gar nicht, da sind beide im progressiven Lager.“

Weiter sagt er: „Gerade in der Migrationsdebatte sind sie eher hinterhergerannt. Es wurde vor allem die Gefahr von Migration betont und weniger, welche Chancen es durch ein liberales Einwanderungsrecht gäbe.“

Kein Habeck-Nachfolger in Sicht

Wie sich eine Partei politisch entwickelt, ist auch immer eine Frage der Personalien. „Wir sehen seit Jahrzehnten, dass die Politik sich immer mehr auf Führungsfiguren ausrichtet“, sagt Gross.

Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Parteivorsitzenden Banaszak und Franziska Brantner, eine Vertraute Habecks, zurücktreten – schließlich führen sie die Partei erst seit Herbst vergangenen Jahres. Durch Baerbocks Rückzug zeichnet sich auch an der Fraktionsspitze kein Wechsel ab. Demnach würden Katharina Dröge und Britta Haßelmann die Fraktionsvorsitzenden bleiben. „Die decken den Mitte-Teil der Partei ab“, sagt Gross.

Wie auch Baerbock und Habeck. Zu deren Rückzug sagt Durmus: „Ich bedanke mich für ihre Arbeit, aber nun ist eine neue Zeit angebrochen.“ Für die wünscht sich die GJ vor allem, dass Parteibeschlüsse von der Parteispitze ernster genommen würden.

Wie diese Spitze aussehen müsste? Gross sagt: „Man bräuchte eine Person, die mit dem Urthema Klima- und Umweltschutz verbunden ist.“ Und glaubhaft die grüne Transformation der Wirtschaft vorantreibe. Doch für diese Rolle drängt sich nach Habecks Rückzug niemand auf.

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