Lindner bei Maischberger: “Ich wurde entlassen” | ABC-Z
Eine Woche nach dem Ende der Ampel schildert der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner bei Sandra Maischberger in der ARD die Ereignisse aus seiner Sicht. Fehler hat er seiner Ansicht nach kaum gemacht. Auch über Kanzler Scholz will er nicht spotten.
Laut einer Infratest-Umfrage glauben vierzig Prozent der Bundesbürger, die FDP sei Schuld am Ende der Ampel. 27 Prozent geben den Grünen die Schuld, 19 Prozent der SPD. Der ehemalige Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht das natürlich anders. Am Abend stellt er sich den Fragen von Sandra Maischberger im Ersten. Die nimmt den Ex-Minister ziemlich hart ran. Der bleibt ruhig und erklärt, was seiner Ansicht nach zum Ende der Ampelkoalition geführt hat. Sich selber gibt er keine Schuld. Nur in einem Punkt hätte er sich anders verhalten müssen, sagt er.
“Ich fühle mich eher befreit, jetzt auch viel offener sagen zu können, was ich für das Land für richtig und für erforderlich halte”, sagt Lindner. “Ich habe das Gefühl, dass auch das Land selbst sich befreit fühlt, dass es jetzt bald eine Richtungsentscheidung gibt, die die Bürgerinnen und Bürger treffen können.” Er habe seit Monaten Gespräche geführt mit Menschen, die Angst um ihren Job hätten, mit Managern, die von Auftragseinbrüchen bedroht seien und mit Wirtschaftsführern, die an die Regierung appelliert hätten, für die Wettbewerbsfähigkeit mehr zu tun. Er habe über die Limits Bescheid gewusst, die seine Koalition gesetzt habe. Das sei inzwischen von ihm abgefallen, sagt Lindner.
Das Ende der Ampelkoalition
“Auf der einen Seite wäre es möglich gewesen, weiter zu sprechen und eine Einigung zu suchen. Dazu kam es nicht, obwohl Vorschläge auf dem Tisch lagen.” Der Bundeskanzler habe von Lindner gefordert, die Schuldenbremse aufzugeben oder entlassen zu werden. “In dem Fall entscheide ich mich gegen das Amt und für die Überzeugung”, so der FDP-Chef.
Lindner habe geordnet und in Würde den Weg zu Neuwahlen beschreiten wollen. Wenige Tage vor dem Ende der Ampel, am Sonntag vor einer Woche, habe Lindner mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen, sagt er. Bei diesem Gespräch habe er zwei Möglichkeiten aufgezeigt: “Die eine Option ist, wir einigen uns auf einen Haushalt und auf ein gemeinsames Programm, unser Land wieder wirtschaftlich zum Erfolg zu führen. Und für den Fall, dass wir uns nicht geeinigt hätten, weil die Unterschiede ja sehr offensichtlich sind, von der Schuldenbremse über Fragen der Bürokratie, Mobilisierung des Arbeitsmarktes, Reformen des Bürgergeldes, mehr Kontrollen bei der Einwanderung – für den Fall, dass wir uns nicht einigen, hätte ich jedenfalls besser gefunden, gemeinsam zu sagen, unsere politischen Positionen sind nicht mehr vereinbar, und deshalb endet die Zusammenarbeit, und wir gehen gemeinsam vor den Souverän, also die Bürgerinnen und Bürger.”
Dann hätte man respektvoller mit der politischen Kultur des Landes umgehen können, und es hätte eine Bundestagsmehrheit einer geschäftsführenden Regierung gegeben. Dann hätte man zum Beispiel die kalte Progression im nächsten Jahr abwenden können, es hätte eine Mehrheit für den Schutz des Bundesverfassungsgerichts gegeben. “Ich glaube, dieser Weg wäre besser gewesen als das jetzt”, sagt Lindner.
“Drei Milliarden für Ukraine hätte man organisieren können”
Er habe mit seinem 18-seitigen “Scheidungspapier” keine Forderungen stellen wollen, sagt er auch. Das sehen allerdings viele aus den ehemaligen Ampelparteien völlig anders. Lindner habe Vorschläge machen wollen, um Arbeitsplätze zu sichern und dass der Staat durch eine starke wirtschaftliche Substanz handlungsfähig bleiben könne. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Scholz hätten auch Vorschläge gemacht. Die seien aber laut Lindner schlechter gewesen als seine. Was dann zum Ampel-Ende geführt habe, sei die Forderung von Bundeskanzler Scholz gewesen, eine Notlage auszurufen und die Schuldenbremse auszusetzen.
Das sei gegen die Verfassung gewesen, hatte Lindner am vergangenen Mittwoch behauptet. Experten bezweifeln das und führen an, die Verfassung erlaube ein solches Vorgehen. Bei Maischberger sagt Lindner dazu: “Ich durfte es noch nicht mal prüfen. Aber als Experte weiß ich, dass bei einer Billion Euro Staatseinnahmen drei Milliarden Euro für die Ukraine nicht eine Überforderung der Finanzlage der Bundesrepublik Deutschland sind. Das hätte man anders finanzieren können, wenn man gewollt hätte.”
Lindner klingt über weite Strecken so, als habe er alles richtig gemacht. Doch das sei so nicht gewesen, sagt der ehemalige Minister. Er hätte sich nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Ende vergangenen Jahres stärker für einen neuen Koalitionsvertrag einsetzen müssen. Das Gericht hatte einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 für nichtig erklärt. Dadurch war eine riesige Haushaltslücke von insgesamt 60 Milliarden Euro entstanden.
Lindner und der Kanzler
Was könne Lindner Gutes über Kanzler Scholz sagen, will Sandra Maischberger am Ende des Gesprächs noch wissen. Lindner sei loyal, sagt der Ex-Minister über sich. “Sie werden von mir keinen Spott hören.” Der Regierung sei es gelungen, das Land durch eine schwere Krise zu bringen. “Das war eine Gemeinschaftsarbeit innerhalb der Regierung.” Doch mittlerweile habe sich die Ampel auseinanderentwickelt.
“Ich bin der Überzeugung, wir brauchen jetzt einen echten Agenda-Moment, wo wir dieses Land erneuern und wieder einen Kurs setzen auf wirtschaftliche Prosperität, uns wieder mehr Eigenverantwortung zutrauen, vielleicht ein Stück mehr Pragmatismus und ein Stück mehr Realpolitik”, so Lindner. Was jedoch die Schuldfrage am Auseinanderbrechen der Ampel angehe, sei klar: “Ich bin entlassen worden.” Es sei jetzt gut, dass gewählt werde.
Was Lindner nach den Wahlen machen will, verrät er noch nicht. “Ich habe das Gefühl, ich bin am Anfang meiner Karriere”, sagt er. RTL- und NTV-Politikchef Nikolaus Blome sieht das anders. “Ich glaube, der Zug fährt ohne ihn”, sagt der Journalist bei Maischberger. Tatsächlich droht nach aktuellen Umfragen die FDP bei den Neuwahlen im Februar an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Wartet schon ein neuer Job?
Lindner ist jedoch optimistisch: “Ich möchte gerne daran mitwirken, dass wir die großen Herausforderungen bewältigen, die wir jetzt vor uns haben. Darum mache ich meiner Partei das Angebot, sie wieder in den nächsten Wahlkampf zu führen, mit dem klaren Ziel, dass unser Land einen Politikwechsel bekommt, den wir jetzt in der Ampel nicht haben organisieren können. Jetzt kämpfen wir für eine neue Mehrheit und für eine andere Politik.”
Und wenn das nicht klappen sollte, wartet angeblich bereits ein Beraterposten bei einem Medienunternehmen in der Schweiz auf den Ex-Minister. Darüber hatten vor einigen Wochen mehrere Insider berichtet.