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Libyer reiste durch Deutschland: Blutrünstiger Folter-General kann sich auf Europa verlassen | ABC-Z

Folter, Vergewaltigungen und Morde: Das Migranten-Lager Mitiga in Libyen ist eine Hölle auf Erden. Der Mann, der all das verantwortet, reist erst unbehelligt durch Europa, dann fliegt ihn Rom trotz Haftbefehls aus Den Haag in die Heimat aus. Europas gerechter Lohn für die Abwehr von Flüchtlingen?

Dumm gelaufen für den General aus Libyen. Eben noch hatte der 47-jährige Libyer im Stadion seines italienischen Lieblingsvereins Juventus Turin den 2:0-Sieg über den AC Mailand bejubelt, da klicken plötzlich die Handschellen. Eine Sonderheit der italienischen Polizei DIGOS nimmt ihn kurz vor Mitternacht im Hotel fest. Damit hatte der in Tripolis geborene Najeem Osama Almasri Hoabish nun sicher nicht gerechnet. Der notorische Folter-General, der das Blut dutzender Migranten an seinen Händen hat, fühlt sich sicher in Europa. Zu Recht: Trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs fliegt ihn Italien keine drei Tage nach seiner Festnahme zurück in die Heimat.

Almasris Europa-Reise beginnt am 6. Januar. Über Rom reist er zunächst nach London, wo er sieben Tage bleibt. Am 13. Januar geht es mit dem Zug erst nach Brüssel, dann fährt er nach Bonn weiter. Was er in den vier Tagen dort tut, ist unbekannt. In München mietet der Libyer ein Auto, mit dem er nach Turin weiterfährt. Was Almasri nicht weiß: Er steht seit seiner Ankunft in London unter „diskreter Überwachung“ der Polizei – auf Betreiben des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (IStGH).

Grausamkeiten jenseits der Vorstellungskraft

Der Grund für die Überwachung, und den am 18. Januar erlassenen Haftbefehl ist so klar wie dramatisch: Najeem Osama Almasri Hoabish steht unter dem dringenden Verdacht, im libyschen Mitiga-Gefängnis, welches von seiner „Rada“-Miliz kontrolliert wird, mindestens 34 Migranten grausam gefoltert und ermordet zu haben. Almasri ist seit zehn Jahren eine zentrale Figur im System der libyschen Machthaber. Genauso lange sammelte die Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs Beweise, Zeugenaussagen, Dokumente. „Die Verhöre sind brutal“, schreiben die Richter im Haftbefehl. In Mitiga „werden nicht einmal die grundlegendsten Menschenrechte geachtet“.

Die Vorwürfe sind heftig und zahlreich: Physische und psychische Folter, um „Menschen zu unterwerfen, ihnen ihre Würde zu nehmen“. Kinder werden von ihren Müttern getrennt, Frauen wird selbst der Zugang zu Hygieneartikeln verweigert. Gefangene werden vergewaltigt, gefoltert. Man foltert mit Elektroschocks, mit vorgetäuschten Hinrichtungen. In einer Atmosphäre des Terrors und der Unterdrückung. Männer werden stundenlang kopfüber aufgehängt. Anderen wird die Luft zum Atmen genommen – ihre Köpfe werden ins Wasser gedrückt, fast bis zum Ertrinken. Dann werden sie wieder hochgezogen. Und dann erneut unter Wasser, bis sie fast ersticken.

Es ist ein Lager, in dem nur ein Wort gilt: das von General Almasri. „Mr. Njeem war anwesend“, heißt es im Haftbefehl des Haager Gerichts, „wenn die Wachen die Gefangenen schlugen und töteten“. Und er hat versprochen, „diejenigen zu bestrafen, die den Inhaftierten geholfen haben“ – sei es mit ein wenig Essen, einem Anruf nach Hause oder indem sie nicht weiter auf ausgemergelte Körper einprügelten und: „Er selbst hat geschlagen, gefoltert, getötet, vergewaltigt. Er hat missbraucht – sogar Minderjährige.“ Almasri soll gar ein fünfjähriges Kind vergewaltigt haben.

Über alles im Bilde, oft selbst beteiligt

Für das Haager Tribunal ist klar: Der General wusste genau, was er tat. Er wusste, dass er nicht nur die menschliche Würde verletzte, sondern auch internationales Recht brach. Und doch verübte er seine Grausamkeiten mit äußerster Brutalität. Seine „Gewalt wird bewusst ausgeübt“, heißt es in den Akten. 34 Ermordungen werden ihm zur Last gelegt. Zwölf Menschen wurden zu Tode gefoltert, 16 starben an den Folgen der Folter und unbehandelten Krankheiten. Zwei Gefangene wurden nackt und ohne Decken in eine eiskalte Zelle gesperrt.

General Almasri wusste nach Erkenntnissen der IStGH-Ermittler alles. Jede einzelne Grausamkeit wurde ihm gemeldet und bei vielen war er selbst der Täter. Für den Internationalen Strafgerichtshof gibt es nur eine Konsequenz: „Almasri muss verhaftet werden.“ Nur so könne er seine Verbrechen nicht weiter fortsetzen, sagen die Richter in Den Haag.

Deutsche Polizei kontrolliert Almasri

Am 10. Januar wird die deutsche Polizei gebeten, alle Informationen über Daten, Dokumente, Telefone, Treffen und Kontakte von Almasri auf Bundesgebiet zu sammeln. Dann wird die Überwachung intensiviert. Am 16. Januar fährt Almasri von Bonn nach München. Dort wird er von der Polizei kontrolliert, die aber keine Unregelmäßigkeiten feststellt. Am 18. Januar übermittelt die deutsche Polizei dem Haager Gerichtshof ihre Erkenntnisse. Darunter auch der Hinweis, dass der General nach Italien reisen wolle. Als Almasri am 18. Januar erneut Polizeikontakt hat, ist der Haftbefehl noch nicht erlassen.

Er kommt erst am späten Abend, als Almasri mit einem in München angemieteten Auto bereits unbehelligt nach Turin gefahren ist. Dort besucht er das Fußballspiel der italienischen Ersten Liga, Serie A. Almasri fühlt sich bis zu seiner Festnahme erkennbar sicher in Europa, obgleich er wissen musste, dass Den Haag gegen ihn ermittelte. Auch die italienische Regierung scheint nichts zu ahnen und wird vom internationalen Haftbefehl aus Den Haag kalt erwischt. Doch 60 Stunden nach seiner Verhaftung sitzt der Libyer in einem Flugzeug der italienischen Geheimdienste und wird von Roms zweitem Flugplatz Ciampino aus blitzschnell nach Libyen zurückgeflogen.

Meloni verteidigt Blitzverabschiedung

Seit der Blitz-Freilassung des libyschen Folter-Generals steht Italiens Politik Kopf. Der römische Oberstaatsanwalt Francesco Lo Voi übermittelte am 28. Januar dem zuständigen Sondergericht für Ermittlungen gegen Regierungsangehörige eine Anzeige gegen den Justizminister Carlo Nordio, den Staatssekretär Alfredo Mantovani, den Innenminister Matteo Piantedosi und die Regierungschefin, Giorgia Meloni. Vorwurf: Sie seien schuldig untätig geblieben, hätten den internationalen Haftbefehl, auf gut Deutsch „verschlampt“.

Giorgia Meloni begründete die Rückführung des Libyers damit, dass dieser eine Gefahr für die Sicherheit Italiens darstelle. Aus einem italienischen Gefängnis heraus, von dem er nach Den Haag übermittelt worden wäre? Bei der Ankunft in Tripolis wurde Almasri jedenfalls gefeiert wie ein Held. Angehörige und Überlebende aus dem Foltergefängnis des Generals stellten in Rom die Kernfrage: Welcher schmutzige Deal steckt hinter der Freilassung?

Der Folter-General als Europas Dienstleister

Das von Almasri geleitete Mitiga-Gefängnis in Tripolis gilt unter Migranten als eines der gefährlichsten und unmenschlichsten Lager überhaupt. Die meisten Gefangenen, die in Den Haag als Zeugen aussagten, waren von der libyschen Küstenwache während einer Überfahrt abgefangen worden, bevor sie in diesen „Höllenkreis“ gelangten. Für diese ‚Dienstleistung‘ erhalten libysche Führer und Gewaltunternehmer Geld aus Europa.

Almasri ist der Beweis dafür, dass das gesamte libysche System – finanziert mit Millionen von Euro durch italienische und europäische Regierungen – grausam und verbrecherisch ist“, teilte die Menschenrechtsorganisation Mediterranea Saving Humans mit. „Banditen wie er haben nur den Auftrag ausgeführt, Migranten aufzuhalten – mit den Mitteln und Geldern westlicher Institutionen. Natürlich hat er sich in Italien versteckt, weil libysche Menschenhändler sich hier sicher fühlen.“

Umso größer ist nun die Enttäuschung unter den Überlebenden des Folter-Generals, dass Italien ihn wieder freigelassen hat. Die Missachtung des Haftbefehls aus Den Haag hat auch zu einer Krise zwischen Italien und dem Internationalen Strafgerichtshof geführt. Die Haager Richter forderten eine Erklärung von Italien, warum Almasri ohne vorherige Absprache oder Rücksprache mit dem Gericht freigelassen wurde. Der Strafgerichtshof erinnerte die italienische Regierung an ihre völkerrechtliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit in Fällen von Verbrechen gegen die Menschenrechte.

Ein Verbündeter westlicher Dienste

Almasri ist aber mehr als nur ein Gefängnisleiter im Namen der europäischen Flüchtlingsabwehr. Er besitzt seit zehn Jahren ein Visum für die USA, gilt als CIA-Vertrauter. Als Chef des Rada-Clans kämpfte er gegen Muammar Al Gaddafi. Dabei baute er gute Beziehungen zum US-Auslandsgeheimdienst und zum britischen MI6 auf, wurde ein „Partner“ westlicher Dienste. Verdienste im Sinne dieser Dienste erwarb er sich weiter, als er ab 2016 gegen die Terrormiliz ISIS in der Heimatregion Gaddhafis, der Syrte, kämpfte; als er dort den Vormarsch der Russen und Türken auf Seiten des Generals Khalifa Haftar bremste.

Die allergrößten Verdienste in italienischen und europäischen Augen aber dürfte sich der Chef des Folter-Lagers Mitiga in den letzten zwei Jahren erworben haben. Es ist seine Aufgabe und die anderer Milizen, den Flüchtlingsstrom aus Libyen nach Europa, insbesondere nach Italien, abzubremsen – finanziert von EU-Geldern. In Europa war Almasri nach ntv-Informationen mit einem karibischen Pass unterwegs, zudem soll er über ein zehnjähriges Visum für die USA verfügen.

Italien ist zufrieden

Im Jahr 2023 landeten noch 157.652 Menschen an Italiens Küsten. 2024 waren es nur noch 66.317, ein Rückgang von rund 62 Prozent, wie das italienische Innenministerium offiziell erklärt. Die Maßnahmen gegen die illegale Migration auf der Mittelmeer-Route und über den Balkan seien ein großer Erfolg. Über den Balkan seien 75 Prozent weniger Menschen gekommen. Die rückläufigen Zahlen sind auch das ‚Verdienst‘ der Milizen von General Almasri.

Es kann also nicht verwundern, dass Italien dem General zutiefst dankbar ist. Nicht nur, weil er die Öl- und Gas-Exporte nach Europa absichert, sondern weil er in der Migrationsfrage schließlich die Drecksarbeit für Italien und all die Länder macht, in die die in Italien gelandeten Migranten dann weiterreisen.

Dem juristischen Nachspiel kann der Protagonist des Falls, der libysche General Najeem Osama Almasri Hoabish, aus dem sicheren Tripolis nun amüsiert zuschauen. Er sitzt gerne im alten französischen Konsulat von Tripolis, unweit des Hadrian-Bogens, und trinkt dabei einen gut gezuckerten Tee. Er weiß ja um seine Verdienste für Italien und ganz Europa.

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