Liberale: Eine Partei trudelt Richtung Bedeutungslosigkeit | ABC-Z

Am Montagmittag steht ein Mann vor den Scheinwerfern im spärlich besetzen Foyer des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses, der lange als die Zukunft seiner Partei galt; eine Zukunft, die es nicht mehr gibt – weshalb er wohl als ewig uneingelöstes Versprechen in die Geschichte der FDP eingehen wird. Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der Liberalen, berichtet pflichtschuldig aus einer Sitzung des Parteipräsidiums, aus der es nicht viel zu berichten gibt.
Über drei Jahre gehörte diese Pressekonferenz nach der Runde der Spitzenliberalen zu den wichtigsten Terminen im politischen Berlin. Was hat die FDP wieder ausgeheckt? Wie treibt sie die Ampelkoalition und das Land vor sich her? Gebannt blickte die Öffentlichkeit auf den historischen Backsteinbau in Berlin-Mitte.
Jetzt haben vier Journalisten zwischen den ansonsten leeren Stuhlreihen in der FDP-Parteizentrale Platz genommen. Nach 4,3 Prozent bei der Bundestagswahl vor sieben Wochen trudelt die FDP in die Bedeutungslosigkeit. Auch der Noch-Parteichef und werdende Vater Christian Lindner ist seit Wochen abgetaucht. Weshalb zuletzt stets seine Stellvertreter an dieser Stelle sprachen.
Politik als Nebenjob
Vogel, der Vordenker der Aktienrente, mahnt, auch am Schwarzen Montag, nachdem Donald Trump die Börsen weltweit ins Chaos gestürzt hat, die Aktienkultur müsse erhalten bleiben. Die politische Arbeit hat die Partei darüber hinaus für den Augenblick weitgehend eingestellt. Die alte Garde weiß, dass sie abgewirtschaftet hat. Niemand will den Neuen mit thematischen Offensiven vorgreifen.
Zu denen wird Vogel nicht mehr gehören. Es ist wohl vorerst einer seiner letzten öffentlichen Auftritte. Der bisherige parlamentarische Geschäftsführer der FDP und stellvertretende Parteivorsitzende wird sich in die zweite Reihe zurückziehen und auf dem Parteitag im Mai höchstens noch für das Präsidium kandidieren. Politik nur noch als Nebenjob nach Jahren ganz vorne.
Stattdessen folgt auch Christian, dem Ersten wohl Christian, der Zweite. Aus Lindner wird Dürr. Der bisherige Fraktionschef Christian Dürr ist der bislang einzige Kandidat für den Parteivorsitz. Mitte Mai ist Parteitag, da wählen die Delegierten einen neuen Chef.
Im Kern ist jede Personalentscheidung in der Politik eine Auswahl zwischen: Kontinuität oder Bruch, zwischen weiter so oder ganz anders. Personenwahlen sagen also in Wahrheit stets eine ganze Menge darüber aus, wie eine Partei auf sich und ihre Umwelt blickt und welche Schlüsse sie daraus zieht – zumal in einer krisenhaften Situation. Und weil die Krise des parlamentarischen Liberalismus in Deutschland gerade eine existenzielle ist, macht das die Personalie Dürr umso interessanter.
Dürr, der Konsens-Kandidat
Denn Dürr wird den Job vor allem deshalb bekommen, weil er gerade nicht für eine grundsätzliche Abkehr von der Politik steht, die die FDP zum zweiten Mal in ihrer Geschichte aus dem Bundestag gekegelt hat. So viel zum Thema Wahllehren. Vielleicht steckt in der FDP also mehr Habeck, als sie zugeben will: Angebot war top, nur die Nachfrage nicht so.
Wobei die Möglichkeiten der FDP, auf diese Niederlage zu reagieren, begrenzt waren. Dürr ist der Last Man Standing in einer Partei, deren Personaltableau in Wahrheit sehr dünn ist, zumindest wenn man in Rechnung stellt, dass sie schon immer stark von Energie und Charisma ihres jeweiligen Chefs lebt. So war das bei Guido Westerwelle und bis zuletzt eben auch bei Lindner. Und weil die Liberalen inzwischen auch aus vielen Landtagen rausgeflogen sind, kaum mehr Amts- und Mandatsträger in ihren Reihen haben, konnte sich sonst auch niemand so richtig profilieren.
Nach der Wahl sah es für einen Augenblick so aus, als bekäme die Partei die unmögliche Aufgabe, zwischen zwei Flügelkandidaten zu wählen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die Bürgerrechtler, Wolfgang Kubicki für die Wirtschaftsliberalen.
Beides hätte die Partei polarisiert. Beide haben ebenfalls die Politrente schon im Blick. Und beides wäre ein radikaler Richtungs- und Paradigmenwechsel in der Partei. Dagegen gibt es in der FDP kaum jemanden, der schlecht redet über den jovialen Dürr. Er gehört zur sehr begrenzten Anzahl der Liberalen, die in beiden Lagern der Partei als vermittelbar gelten.
Die Lücke, die die FDP reißt
In die Kategorie politisches Kabarett fällt dagegen die Meldung aus Thüringen. Da ergriff Landeschef Thomas Kemmerich das Wort, er schließe eine Kandidatur um den Parteivorsitz nicht aus. Zur Erinnerung: Kemmerich war verantwortlich für die wohl unrühmlichste Episode der jüngeren liberalen Geschichte. Er war mal Ministerpräsident von Thüringen, wenn auch nur für einen Tag, gewählt mit den Stimmen der AfD. Bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr holte er 1,1 Prozent. Seine Kandidatur gegen Dürr wäre chancenlos.
Offen sind dagegen zwei Fragen: Wer wird Parteivize und wer Generalsekretär? In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung kündigt Strack-Zimmermann an, nicht mehr als stellvertretende Parteichefin zu kandidieren, sie schlägt stattdessen ihre Kollegin aus dem EU-Parlament, Svenja Hahn, vor. Die 35-jährige Hamburgerin dürfte als unverbrauchtes Gesicht gute Chancen haben, an der Seite von Christian Dürr.
Auch bei der Suche nach einem Generalsekretär wünschen sich manche in der Partei eine junge Frau. Valide Namen kursieren noch nicht, allerdings richtet sich der Blick immer wieder auch auf die Länder, in denen die FDP noch im Parlament sitzt: Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen.
So viel zur liberalen Selbstbeschäftigung. Unterdessen holpert Schwarz-Rot Richtung Koalitionsvertrag, Friedrich Merz räumt dabei haufenweise Wahlversprechen ab – und die politische Landschaft droht, ohne jedes Korrektiv in der bürgerlichen Mitte dramatisch nach rechts wegzurutschen: Verteidiger der Schuldenbremse und enttäuschte Merzianer suchen ihr Heil bei der AfD, die in Umfragen mit der Union inzwischen gleichauf liegt. Die FDP, ansonsten klassisches Auffangbecken für verprellte Christdemokraten und somit auch Garant für eine gewisse Wortfestigkeit bei der CDU, ist ohne Stimme im Bundestag erst mal abgemeldet.