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Leverkusen schlägt Milan in der Champions League: Alonso beschwört die Mentalität – Sport | ABC-Z

Auf dem Platz und auf den Rängen – überall in den Leverkusener Reihen machte sich die Erleichterung bemerkbar, als der Schiedsrichter die Partie beendete. Spielleiter Sandro Schärer aus der Schweizer sah sich nun allerdings einem Proteststurm der Mailänder ausgesetzt. Die Spieler bedrängten ihn mit Einsprüchen, auch Trainer Paulo Fonseca eilte hinzu und argumentierte gestenreich. Die Vertreter der AC Milan bestanden auf Verlängerung der Nachspielfrist, und wenn auch ihre vehemente Auflehnung ein wenig übertrieben wirkte, so war sie in der Sache doch verständlich. Eine weitere Minute hätte den Mailändern vielleicht gereicht, um den 0:1-Rückstand gegen Bayer 04 aufzuholen. Eben erst hatten Abwehrchef Jonathan Tah und Torwart Lukas Hradecky gemeinschaftlich einen gefährlichen Vorstoß des niederländischen Nationalspielers Tijjani Reijnders verhindert.

Die letzte halbe Stunde dieser Partie fasste Bayer-Trainer Xabi Alonso später mit einem einzigen Begriff zusammen: „Überstehen“ lautete das Wort. Plus Ausrufezeichen. Der Mailänder Andrang war massiv, der gute Hradecky musste immer wieder in letzter Instanz eingreifen, einmal landete der Ball an der Latte, und beim Abpraller versagte der spanische Europameister Alvaro Morata, indem er das nahezu offenstehende Tor verfehlte.

Die Leverkusener im Modus des Catenaccio – ist das auf einmal das neue Motto? Nach der vorsätzlichen Blockade des Spitzenspiels in München hatten Stilkritiker bereits moniert, ein mauernder Meister sei nicht standesgemäß und Alonsos Bayer ein Champion, der sich selbst verrate. Folgte jetzt gegen Milan also die nächste Aufführung von selbstgenügsamem Ergebnisfußball? Ganz und gar nicht. Und doch präsentierte sich im Vergleich mit der Vorjahresausgabe ein anderes Bayer 04, eine Elf, die „erwachsen“ und „seriös“ spielte, wie der ausgesprochen gut gelaunte, beinahe angeheitert wirkende – aber garantiert nüchterne – Alonso hervorhob.

Dem baskischen Coach hatte es gut gefallen, wie sich sein Team in der neuen Welt namens Champions League präsentierte. Nach dem 4:0 in Rotterdam nun ein 1:0 gegen die Europacup-Größe Milan, das sind nicht nur sechs Punkte – das ist Fortschritt auf ganzer Linie. „Wir hatten in beiden Spielen die Champions-League-Mentalität“, bilanzierte Alonso.

Bayer startet angriffslustig und schaltet nach der Führung in den Verteidigungsmodus

Auch die 30 000 Besucher in der Bayarena, abzurechnen die zahlreichen in Bussen aus der Lombardei zugereisten Tifosi, hatten ihren Gefallen an einem lebendigen Abend. Bayer begann sofort angriffslustig und hörte erst auf, das Mailänder Tor zu attackieren, als Schär zur Halbzeit-Pause bat. Milan verhielt sich, höflich formuliert, abwartend. Man konnte Fonsecas Team auch für lustlos halten, doch das wäre nach Alonsos Urteil ein Irrtum gewesen. Obwohl unter den 13 eingesetzten Rossoneri nur ein einziger Italiener war und ihr Ausbilder Fonseca aus Mosambik respektive Portugal stammt, stellte der Bayer-Coach dem Gegner später das Gütesiegel der Herkunft aus. „Gegen eine italienische Mannschaft muss man immer intelligent spielen“, sagte er: „Always be alert!“ Immer wachsam sein.

Victor Boniface erzielt das 1:0. (Foto: RHR-Foto/Imago)

Und das stimmte ja auch: Eine Stunde lang beschränkte sich Milan darauf, einen Gegentreffer der dominanten Hausherren zu verhindern und auf den singulären Kontermoment zu lauern. Dann traf – endlich, wie es schien – Victor Boniface im Anschluss an eine meisterwürdige Kombination über Aleix Garcia, Grimaldo und Jeremie Frimpong zum 1:0, und das Spiel drehte sich nahezu abrupt. Nun musste die Bayer-Deckung standhalten. Dass seine Leute sich einerseits zurückdrängen ließen und andererseits auch selbst zurückzogen, nahm ihnen Xabi Alonso nicht übel. Er rief seine eigenen Erfahrungen mit dem Wettbewerb wach: Die Bestätigung, gegen einen solchen Gegner ein Ergebnis verteidigen zu können, „das brauchen wir, um lange in der Champions League zu bleiben“.

Das Leiden hätte allerdings schon früher ein Ende haben können, wenn Rechtsaußen Frimpong etwas treffsicherer gewesen wäre – auch dies eine Frage des Erwachsen-Werdens. Und wenn es um die nötige Europacup-Reife geht, dann richten sich die Blicke auch auf den einzigen Torschützen Victor Boniface mit seiner Neigung zum Sololauf und zum Zockerfußball, die ihn gelegentlich freistehende Mitspieler ignorieren lässt. Aber dem Mittelstürmer wurde von höchsten Stellen sofort die Lizenz zur Narrenfreiheit ausgestellt. „Das ist Boni, wie er ist – deswegen ist er beliebt in der Mannschaft“, sagte Mittelfeldchef Granit Xhaka, ein Verfechter von Disziplin und Effizienz, der folgerichtig mahnte, man dürfe „nicht vergessen, wie viel Boni für die Mannschaft arbeitet“. Und auch der Trainer sprach dem nigerianischen Angreifer, der sich im teaminternen Duell mit Patrik Schick bisher klar durchgesetzt hat, Dank und Anerkennung aus: „Wir kennen ihn, wir verstehen ihn, wir unterstützen ihn – und am Ende hat er seine Arbeit gut gemacht.“ Es war wirklich nicht zu übersehen: Xabi Alonso hat diesen europäischen Abend von Herzen genossen.

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