„Letzte Generation“: Fünf Monate Haft für eineinhalb Minuten Klebeprotest – Bayern | ABC-Z
Was den Protest betrifft, ist Karl Braig eine Art Veteran. Der 69-Jährige war schon fast überall dabei: In Mutlangen, wo er mit der Friedensbewegung gegen die Stationierung US-amerikanischer Pershing-II-Raketen demonstriert hat; in Wackersdorf in der Oberpfalz, wo es damals gegen die dort geplante atomare Wiederaufarbeitungsanlage ging; gegen die Atomkraft hat er sowieso allerorten seinen Widerstand geleistet und zuletzt auch gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Seitdem kennt er auch die Justizvollzugsanstalt Kempten.
Vor sechs Jahren habe er dort mal 21 Tage verbringen müssen, sagt Braig. Es war nicht seiner erster Gefängnisaufenthalt, sondern schon der sechste und bisher längste. Bislang ging es immer nur um Ersatzfreiheitsstrafen, weil er seine Geldstrafen nicht bezahlt hatte. An diesem Montagnachmittag aber muss Braig zum ersten Mal eine richtige, von einem Richter auch als solche verhängte Haftstrafe antreten: Fünf Monate, weil er sich mit einigen anderen Klimaschutz-Aktivisten der „Letzten Generation“ zweimal auf Passauer Straßen festgeklebt hat. Braigs Haftantritt ist eine Art Verlängerung dieser Aktion.
Wenn sich also an diesem Montagnachmittag neben mehreren Friedens- und Umweltbewegten auch Klimaschutz-Aktivisten der „Letzten Generation“ vor der Justizvollzugsanstalt in Kempten versammeln, dann nicht, um sich vor dem Gefängnistor festzukleben oder den Verkehr auf der Reinhartser Straße zu blockieren. Eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung soll das Treffen an der JVA gleichwohl werden. Die „Letzte Generation“ hat eine Mahnwache mit Reden und Musik für und mit Karl Braig angekündigt, auch der angehende Häftling ergreift das Wort.
Der hatte sich an einem Montagmorgen im März 2023 in einer Gruppe von fünf Aktivisten an der Angerstraße nördlich der Donau in Passau festgeklebt und so den Berufsverkehr auf der B 12 zeitweise zum Erliegen gebracht. Kaum aus dem Polizeigewahrsam entlassen, wiederholten tags darauf vier dieser fünf Aktivisten, darunter wieder Karl Braig, die Aktion an der Neuburger Straße im Südwesten der Stadt. Bis auch hier die Polizei ihre Hände vom Asphalt ab- und die Blockade auflöste. Insgesamt ist Braig nach der Rechnung der „Letzten Generation“ nur eine Minute und 28 Sekunden wirklich auf der Straße geklebt. Dies gehe so aus den Gerichtsakten hervor.
Vier Verfahren sind noch offen
Während das Passauer Amtsgericht in der Folge den lediglich an der ersten Blockade beteiligten Mann mit einer Geldstrafe belegte, habe es für die vier anderen jeweils Haftstrafen von fünf Monaten auf Bewährung ausgesprochen, was ein Sprecher der Aktivisten „eine krasse Überreaktion“ der Justiz nennt. Demnach sind vier Verfahren weiterhin offen, weil die Beschuldigten Rechtsmittel eingelegt haben. Im fünften Fall jedoch, nämlich dem von Karl Braig, habe die Justiz ein Fristversäumnis beim Berufungsantrag festgestellt und das Urteil daher als rechtskräftig erklärt.
:UN-Experte rügt Bayerns Härte gegen Klimaaktivisten
Der Sonderberichterstatter für Umweltschützer kritisiert staatliche Repression in mehreren Ländern. Auch der Freistaat wird als Negativbeispiel genannt, weil die Polizei “die Ausübung des Demonstrationsrechts behindert”. Das Innenministerium widerspricht.
Braig geht trotz dieses Urteils nahezu freiwillig ins Gefängnis, denn die 500 Euro an Geldauflage, gegen die das Gericht seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt hat, die hätte er nach eigenen Angaben schon zahlen können. Das Ganze sei aber „eine politische Aktion zivilen Ungehorsams“, sagt Braig selbst, und mit zivilem Ungehorsam habe schließlich nicht nur er selber gute Erfahrungen gemacht und viel erreicht. Sondern zahlreiche Protestbewegungen auf der ganzen Welt, bekräftigt Braig in seiner weichen schwäbischen Mundart. Als er sich vor drei Jahren der „Letzten Generation“ angeschlossen hat, da sei ihm schon „bewusst gewesen, dass dieser Weg auch ins Gefängnis führen kann“.
Dass ihn die zuständige Staatsanwaltschaft Passau entgegen landläufigen Gepflogenheiten nun ausgerechnet kurz vor Weihnachten zum Haftantritt zitiert hat, darüber sei er zwar schon „ein bissl sauer und überrascht“, sagt Braig. Aber allzu hoch will er dieses Thema lieber nicht hängen, denn Weihnachten ist ihm bei Weitem nicht so wichtig wie seine politischen Ziele, und von denen soll diese Weihnachtsfrage nicht ablenken.
Und so zieht Karl Braig also aus dem „Öko-Dorf“ im Schwäbischen, wo sich um die 70 Menschen als Lebensgemeinschaft verstünden und ihren Alltag, ihren Garten und ihren Wald miteinander teilten, für fünf Monate in die JVA Kempten um. Er fühle sich in der Umwelt- und der Friedensbewegung „sehr gut aufgehoben, und mit dem Gefühl gehe ich dann da rein“. Ob er seine fünf Monate wirklich voll absitzen muss, darüber habe er sich gar nicht informiert. „Im Prinzip ist das egal“, sagt Braig. Er habe jedenfalls „keine Angscht“ vor den kommenden Wochen, und zu tun hat er da drin ja auch. Denn „Karls Tagebuch aus der JVA“ steht schließlich schon online, auch wenn es noch nicht allzu viele Einträge enthält.