Letzte Chance gegen Trump verspielt? Kamala Harris begeht großen Fehler | ABC-Z
Washington. Harris steht bei CNN Rede und Antwort: Konkretes bleibt die Demokratin Wählern schuldig. Nur bei einem Thema ist sie in ihrem Element.
Es war vielleicht ihre letzte große Chance vor der Wahl, sich medienwirksam zu häuten, mehr Ecken und Kanten und Substanz zu zeigen und die Zeit der Verunklarung und Schlagworte-Politik zu beenden.
Aber Kamala Harris, Kandidatin der Demokraten für die US-Präsidentschaftswahl in zwölf Tagen, verlegte sich bei einer CNN-Frage-und-Antwort-Runde mit noch unentschlossenen Wählerinnen und Wählern in Pennsylvania am Mittwochabend einmal mehr darauf, ihren Widersacher Donald Trump als „zunehmend instabil” und „ungeeignet für das Amt” zu charakterisieren, anstatt ihre bisher im Ungefähren gebliebenen politischen Prioritäten zu präzisieren.
US-Wahl: Harris greift Trump an – doch bleibt Antworten schuldig
Nach einem guten Dutzend Fragen zu innen- wie außenpolitischen Dauerbrennern, blieben bei der 60-Jährigen wie schon bei früheren Auftritten kaum konkrete, einprägsame Antworten in Erinnerung, die über bereits bekannte Versatzstücke hinausgingen.
Sie antwortete nicht auf die Frage von Bürgerin Annalise Kean, was sie tun würde, um sicherzustellen, dass keine Palästinenser mehr durch „Bomben, die mit US-Steuergeldern finanziert werden“ sterben.
Sie antwortete nicht auf die Frage, ob sie „pro-israelischer“ als Donald Trump sein würde.
Ihr wichtigstes Projekt? Kamala Harris fällt keines ein
Als Carol Nackenoff wissen wollte, was im Fall ihrer Wahl ihr wichtigstes Projekt würde, das der Zustimmung des Kongresses bedarf, fiel ihr keines ein.
Als Leanne Griffiths in Erfahrung bringen wollte, wie sie sich von Amtsinhaber Joe Biden unterscheiden würde, folgten die bekannten Worthülsen: neuer Führungsstil, eigene Herangehensweise und Erfahrungen.
Auch interessant
Eric Svendsens naheliegende Frage, wie sie die nationale Plage – hohe Verbraucherpreise im Supermarkt – in den Griff kriegen würde, kam zum gefühlt 93. Mal die Ankündigung, ein nationaler Bann gegen Preiswucher solle es richten.
Dana Bash, die CNN-Star-Moderatorin, bilanzierte nach der von ihrem Kollegen Anderson Cooper souverän dirigierten Runde, dass Harris nicht gepunktet habe, wenn es ihr Ziel gewesen sein sollte, vor dem 5. November „das Geschäft (mit dem Wähler) abzuschließen”.
Prekäres Urteil nach Fragerunde mit Harris bei CNN
Ein prekäres Urteil. Denn weniger als zwei Wochen vor der Wahl ist der Kampf um das Weiße Haus völlig offen. In allen sieben wahlentscheidenden „Battleground States” (Nevada, Arizona, Georgia, Michigan, Wisconsin, Pennsylvania und North Carolina) liegen Harris und Trump in den Umfragen de facto gleichauf. Vorsprünge und Rückstände rangieren seit Wochen innerhalb der bei vier Prozentpunkten taxierten Irrtums-Marge. Jeder neue Tag bringt neue Schwankungen.
Allein, das Momentum, der Aufbruch-Spirit, den die Vize-Präsidentin und frühere Senatorin Mitte Juli auslöste, als sie binnen Tagen die Nachfolge für die Kandidatur von Joe Biden klarmachte, ist verflogen.
Auch interessant
Spätestens seit Ende September geht es für die Kalifornierin nicht mehr wirklich weiter. Statt Euphorie ist bei vielen Demokraten die latente Angst davor eingezogen, dass sich ein gefühlter Abwärtstrend bis zum 5. November verfestigt, der Donald Trump am Ende obsiegen lassen könnte.
Verkörpert Kamala Harris wirklich den versprochenen Wandel?
Bei der Fahndung nach Gründen setzen Analysten und Kommentatoren aber auch Demokraten bei der inzwischen mehrheitsfähigen Einschätzung an, dass Harris es bei Kundgebungen und Medien-Interviews unterlässt, von sich und ihrer beabsichtigten Politik für die Jahre 2025 bis 2029 mehr als nur flüchtige Skizzen zu liefern. Und, fast noch wichtiger: Dass sie nicht den Beweis antritt, dass sie tatsächlich den versprochenen Wandel verkörpert und nicht ein Weiter-so in weiblicher Form.
Umfragen belegen, dass ihr beim Sender Fox News vor wenigen Tagen gesagter Satz, eine Harris-Präsidentschaft wäre keine Fortsetzung der Biden-Präsidentschaft, unbedingt der Unterfütterung bedarf. Gerade weil Harris zuvor betont hat, dass sie im Rückblick auf fast vier Jahre an der Seite des amtierenden und herzlich unpopulären Präsidenten nichts anders gemacht hätte.
Aber wer bei der zivilisiert verlaufenen CNN-Diskussion in einem Landkreis in der Nähe von Philadelphia auf Konzeptionelles wartete, auf die Frage, wie das alles (Steuergutschriften für Kinder, Anschub-Finanzierungen für Häuslekäufer und Unternehmensgründer etc.) bezahlt und politisch durch einen möglicherweise feindlichen gesinnten Kongress gebracht werden soll, der wurde enttäuscht.
Endspurt im US-Wahlkampf und Harris vermeidet jede Festlegung
Harris, die nach zig Tagen Dauerwahlkampf angespannt wirkte, vermied jede Festlegung. Als der Student Jaxon Weiss fragte, wie viel Steuerzahler-Geld für Asylsuchende ausgegeben wird, bekam er zu hören, dass das Einwanderungssystem seit Langem „kaputt” sei und der Reform bedürfe.
Als Taneisha Spall ihre Bereitschaft testen wollte, den in Ungnade gefallenen Obersten Gerichtshof (neun Richter) auf zwölf aufzustocken, entgegnete Harris etwas blutleer, sie sei „für eine Art von Reform”.
Nach ihren erwiesenen Positionswechseln bei Themen wie Fracking (Energie-Gewinnung) und Strafverfolgung befragt, entgegnet sie, dass „wir in eine saubere Energiewirtschaft investieren können und Fracking trotzdem nicht verbieten müssen“.
Auch interessant
Auch Harris nennt Trump einen „Faschisten“
In ihrem Element war Harris nur, wenn es um „ihn” ging. Um Donald Trump. Dass dessen früherer Stabschef John Kelly, ein ehemaliger Vier-Sterne-General, just zum Besten gab, dass Trump in seiner ersten Präsidentschaft gern blind folgende Generäle wie die von Adolf Hitler um sich gehabt hätte, nahm die Kalifornierin als Steilvorlage für einen Breitband-Angriff. Auf die direkte Frage, ob sie Donald Trump für einen „Faschisten“ hält, stimmte Harris schnell zu: „Ja, ja, das tue ich.”
Kellys brisante Interview-Aussagen (die von Trump als Lügen bezeichnet werden) kämen einem „Notruf an das amerikanische Volk“ gleich. Sie glaube, dass Donald Trump „eine Gefahr für das Wohlergehen und die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika ist”.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.
Amerika verdiene einen Präsidenten, der „bestimmte Standards” befolge. Dazu gehöre es, „dass man sich nicht mit einer eindeutig bewundernden Haltung mit Hitler vergleicht”. Ob der Hitler-Vergleich ausreicht, um unentschlossene Wähler auf ihre Seite zu ziehen, ist ungewiss.