Lennart Karl und Saïd El Mala: Der Hype um die Wunderwuzzis | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche”
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Christian Spiller über die
Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 44/2025.
Bei meinem Herzensverein, der Borussia aus Mönchengladbach,
gibt es derzeit viel zu grübeln. Auch nach dem ersten Heimspiel-Sieg seit
sieben Monaten ist man immer noch Tabellenletzter, der Torgarant weiter
verletzt und der Trainer nur bis auf Weiteres im Amt. Wirklich bitter aber ist
in diesem Herbst des Missvergnügens etwas, das sich 60 Kilometer südöstlich des
Borussiaparks ereignet. Rund um das Geißbockheim, das Klubhaus des ungeliebten
Erzrivalen 1. FC Köln, macht gerade eine 1,90 Meter große Wuchtbrumme alle
wuschig: Saïd El Mala, 19 Jahre jung. Er hat zwar bislang nur 317 Minuten
Bundesliga gespielt, aber nach drei Toren und einigen spektakulären Dribblings auf
Linksaußen ist sein Marktwert bereits auf 18 Millionen Euro hochgeschnellt. Das
Ärgerliche für die Gladbacher: Der junge Mann, soeben mit der
Fritz-Walter-Medaille in Silber für den zweitbesten deutschen Nachwuchskicker
ausgezeichnet, war mal einer von uns, ein Borusse.
Mit 14 galten Saïd und sein ein Jahr älterer Bruder Malek als
nicht talentiert genug und mussten den Fohlenstall verlassen. Hätte man es
besser wissen können? Dann würde Saïd heute die Gladbacher Sturmflaute beheben.
Gemeinsam kickten die Brüder nach der Vertreibung aus dem Gladbacher
Paradies in den Niederungen der Niederrheinliga; sie putzten Klinken bei Vereinen
im Westen und versuchten, über die Münchner Skillers.Academy, “eine der größten deutschen Fußballbrands der Generation Z”, auf
sich aufmerksam zu machen, ehe sie über Viktoria Köln zum FC fanden. Und jetzt
steigt zumindest der jüngere El Mala so rasant Richtung Fußballolymp auf wie
ein mit Helium gefüllter Ballon. An dessen Schnur klammert sich verzweifelt Kölns
Trainer Lukas Kwasniok, um dem Senkrechtstarter ein bisschen Bodenhaftung zu
vermitteln.
Noch rasanter ist ein paar Hundert Kilometer weiter südlich
der Aufstieg des Lennart Karl, 17 Jahre jung. Nur 137 Minuten hat er bisher in
der ersten Liga gespielt, doch schon gilt er als der Messi aus Frammersbach,
einer 4.000-Seelen-Gemeinde im Spessart. Auch er hat eine Fritz-Walter-Medaille gewonnen,
und mit seinem 1:0 gegen Brügge avancierte das Supertalent des FC Bayern zum
jüngsten deutschen Torschützen in der Champions League. Und, zack, wird sein
Marktwert inzwischen auf 20 Millionen Euro geschätzt.
Am Mittwoch kam es im DFB-Pokal zum Showdown der
Wunderkinder, wobei sie nicht direkt aufeinandertrafen: El Mala spielte von
Anfang an und wurde nach 65 Minuten ausgewechselt, Karl wurde erst zehn Minuten
später eingewechselt. Nachhaltig Eindruck hinterließen beide nicht: El Mala
beharkte sich auf Linksaußen ausgiebig mit dem Bayern-Verteidiger Dayot
Upamecano; an ihm vorbei kam er nicht. Seinen größten Moment hatte er beim
Rausholen einer Ecke, was er sogleich nutzte, um die Kölner Kurve mit rudernden
Armen aufzupeitschen – so wird man zum Volksfußballer. Von Karls 15 Minuten auf
dem Platz bleibt vor allem ein kapitaler Fehlpass in der letzten Minute in
Erinnerung.
Die neuen Götterlieblinge entpuppten sich als ganz normale
Talente, die sich in der Welt der Erwachsenen zu behaupten versuchen, nicht
mehr und nicht weniger. Dennoch wird die Beschleunigung des Hype-Karussells,
auf dem die jungen Spieler sitzen, immer irrer. Der Markt giert nach neuen
Gesichtern und Geschichten, Geld spielt – zumindest in England – überhaupt
keine Rolle mehr, und je älter die Generation Superstar um Ronaldo, Messi und Modrić wird, desto haltloser werden die Wetten darauf, wer es wohl schafft, eines
fernen Tages in ihre Fußstapfen zu treten. Aus Talenten werden
Spekulationsobjekte; rasant geschnittene Videos ihrer wenigen Großtaten gehen
viral und befeuern die rasende Fahrt. Dass die meisten Wunderwuzzis vom
Karussell runterfliegen, bevor sie überhaupt vollends ausgewachsen sind, wird
zwar gern erwähnt, hat aber keinerlei Einfluss aufs Geschehen.
Erinnert sich noch jemand an Youssoufa Moukoko? Er ist noch
immer der jüngste Spieler aller Zeiten in Bundesliga und Champions League, aber
nun, immer noch nicht älter als 20, hat er schon eine veritable Achterbahnfahrt
hinter sich, einmal von 10 auf 30 Millionen Euro Marktwert und zurück. Auf den
frühen Ruhm folgten bittere Lehrjahre in Dortmund und Nizza; nun versucht er,
im beschaulichen Dänemark wieder auf die Füße zu kommen.
Oder Noah Darvich, einer der U17-Welt- und -Europameister von 2023, auch er ein Gewinner einer Fritz-Walter-Medaille in Silber. Mit 16 rückte er in die zweite Mannschaft des SC Freiburg auf, und ohne dort überhaupt ein Spiel absolviert zu haben, wechselte er für 2,5 Millionen Euro zum FC Barcelona. In seinem Dreijahresvertrag wurde in der Ausstiegsklausel die wahnwitzige Ablösesumme von einer Milliarde Euro festgeschrieben. Vergeblich hatte Christian Streich, damals noch Cheftrainer in Freiburg, versucht, den 16-Jährigen zum Bleiben zu überreden, wie er am Rande seines Interviews mit der ZEIT vor einigen Tagen erzählte. Barcelona sei einfach Darvichs Lieblingsverein gewesen; Geld habe da nicht die entscheidende Rolle gespielt. Bei seinem Traumverein durfte Darvich einmal unter Hansi Flick in der Primera División auf der Bank sitzen; inzwischen ist er zum VfB Stuttgart in dessen zweite Mannschaft gewechselt. Ablösesumme: eine Million Euro. Sein alter Förderer Streich glaubt nicht, dass damit schon das letzte Wort gesprochen ist. Er traut ihm auf jeden Fall zu, Bundesligaspieler zu werden. Denn Darvich sei “ein richtiger Kicker”.
Ob auch Saïd El Mala ein “richtiger Kicker” ist, könnte sich
schon am kommenden Samstag zeigen. Dann kehrt er zurück in den Borussiapark, wo
man ihm einst die Tür wies.
Ob er sich vornimmt, im stets giftigen Rheinderby eine alte
Rechnung zu begleichen? Wenn ja, hoffe ich, dass er dieses Mal scheitert.
Ansonsten aber wünsche ich ihm und all seinen jungen Gesellen alles Gute auf
dem irren Karussell der Wunderkinder.





















