Leidet die Konzentration? Studie überrascht mit Ergebnissen | ABC-Z

Dass Hunger die Stimmung verdirbt und den Verstand trübt, gilt als ausgemachte Sache. Werbung und Popkultur greifen dieses Bild gerne auf. „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist“, behauptet ein berühmter Schokoriegel-Slogan, und Bob Marley sang einst: „A hungry mob is an angry mob.“ Doch stimmen diese Behauptungen wirklich – oder handelt es sich um überlieferte Halbweisheiten?
Eine umfassende Metaanalyse, die im Fachjournal „Psychological Bulletin“ erschienen ist, stellt diese verbreiteten Vorstellungen nun auf den Prüfstand. Die Psychologen Christoph Bamberg von der Universität Salzburg und David Moreau von der University of Auckland haben darin Daten aus 71 Studien mit mehr als 3.400 Teilnehmenden ausgewertet. Ihr Ziel war es herauszufinden, was tatsächlich im Kopf passiert, wenn Menschen eine Mahlzeit auslassen und ob Fasten im Alltag spürbare geistige Einbußen verursacht.
Um dieser Frage nachzugehen, werteten die Forschenden Studien aus, in denen Versuchspersonen zwischen drei Stunden und bis zu zwei Wochen lang auf Nahrung verzichtet hatten. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch um Alltagssituationen: Die Teilnehmenden hatten etwa einen halben Tag nichts gegessen und damit im Wesentlichen eine Mahlzeit ausgelassen. Die Wissenschaftler wollten prüfen, ob schon diese kurze Zeit ohne Energiezufuhr das Denken messbar beeinträchtigt. Hauptautor David Moreau schrieb dazu in der Veröffentlichung, dass Fasten zwar immer populärer werde, aber zugleich „weit verbreitete Bedenken [bestehen], dass der Verzicht auf Nahrung die geistige Leistungsfähigkeit akut beeinträchtigen könnte.“
Kognitive Leistungsfähigkeit: Fasten zeigt kaum negative Auswirkungen
Die zentrale Erkenntnis der Metaanalyse: Über zahlreiche Tests hinweg – von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstests bis hin zu Aufgaben zum Problemlösen – zeigte sich kaum ein Unterschied zwischen Personen, die gegessen hatten, und solchen, die hungrig waren. „Viele Menschen glauben, dass das Auslassen einer Mahlzeit zu einem sofortigen Rückgang der geistigen Leistungsfähigkeit führt, aber unsere Auswertung sagt etwas anderes“, so Moreau. Statistisch gesehen schnitten gesättigte Teilnehmende nur um 0,02 Standardabweichungen besser ab. Das ist so wenig, dass es als bedeutungslos gilt.
Fasten ist also kein Risiko für den Kopf – aber beim Abnehmen greifen viele zu Methoden, die wenig bringen. Welche Strategien wirklich funktionieren, lesen Sie in diesem Artikel: 14 Abnehm-Tipps: Experten sagen, was wirklich klappt
Fasten im Alltag: Wann Hunger die Konzentration doch beeinflusst
Erst bei genauerer Analyse zeigen sich Nuancen: Wenn hungrige Testpersonen Aufgaben bearbeiten mussten, die mit Essen zu tun hatten, schnitten sie tendenziell schlechter ab. Bilder von appetitlichen Speisen oder Begriffe aus der Lebensmittelwelt scheinen ihre Gedanken stärker zu vereinnahmen als bei Personen, die zuvor gegessen hatten. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Hunger die Aufmerksamkeit vor allem dann bindet, wenn das Gehirn mit Essensreizen konfrontiert wird. Bei neutralen Aufgaben ohne Bezug zu Nahrung bestand dagegen kein Unterschied zur Leistung nach einer Mahlzeit. Anders formuliert: Hunger macht uns nicht dümmer – er macht uns lediglich empfänglicher für den Gedanken ans Essen.
Die Metaanalyse zeigt zudem, dass nicht alle Menschen gleich empfindlich auf kurze Fastenphasen reagieren. Jüngere Teilnehmende verzeichneten etwas größere Leistungseinbußen als ältere Erwachsene, was darauf hindeuten könnte, dass mit dem Alter eine bessere Fähigkeit entsteht, Hunger zu regulieren. Auch der Zeitpunkt der Tests spielte eine Rolle: Am späten Nachmittag schnitten Teilnehmende etwas schlechter ab als am Vormittag. Erst nach mehr als 24 Stunden ohne Nahrung war ein leichter Rückgang der geistigen Leistung messbar – ein Fastenzeitraum, der im Alltag jedoch selten erreicht wird.
Die U-Kurve des Fastens: Von minimalen Einbußen zu möglichen Vorteilen
Nach den nahezu identischen Ergebnissen bei kurzen Fastenphasen zeigt die Metaanalyse einen bemerkenswerten Effekt bei längerer Dauer. Die anfänglichen, ohnehin geringen Vorteile gesättigter Personen kehrten sich mit zunehmender Fastenzeit um. Die Forschenden beschreiben eine U-förmige Beziehung zwischen Fastendauer und geistiger Leistungsfähigkeit. In der Veröffentlichung heißt es, kurzes Fasten habe nur minimale Auswirkungen, während mittlere Fastenzeiten – also jene Phase, in der der Hunger seinen Höhepunkt erreicht und der Stoffwechsel beginnt umzuschalten – die Leistung vorübergehend leicht beeinträchtigen könnten. Längeres Fasten dagegen scheine eine Erholung zu ermöglichen.
Als Erklärung führt das Forschungsteam an, dass sich der Körper nach einer gewissen Zeit an das Hungergefühl gewöhnt und die metabolische Umstellung abgeschlossen ist. Dabei spielt ein biologischer Mechanismus eine zentrale Rolle, der tief in der Evolution verankert ist. Normalerweise versorgt sich das Gehirn über Glukose aus der Nahrung. Bleibt diese einige Stunden aus, sinkt der Blutzuckerspiegel. Statt die geistige Leistung zu drosseln, greift der Körper dann auf Ketone aus den eigenen Fettreserven zurück.
Dieser alternative Energieträger stellte bereits für unsere Vorfahren sicher, dass sie trotz knurrendem Magen aufmerksam bleiben konnten, wenn sie jagen oder sammeln mussten. Evolutionsbiologisch gesehen wäre es schließlich fatal gewesen, wenn klares Denken nur in sattem Zustand möglich gewesen wäre.
Fasten bei Kindern: Warum das Gehirn im Wachstum anders reagiert
Eine wichtige Ausnahme betrifft Kinder und Jugendliche. Bei ihnen zeigten die analysierten Studien messbare Leistungseinbußen mit zunehmender Fastendauer. Diese Ergebnisse decken sich mit früheren Untersuchungen, die zeigen, dass ein nahrhaftes Frühstück die schulische Konzentration und Lernfähigkeit verbessert.
Der Grund liegt in der Entwicklung des Gehirns. Bei Heranwachsenden befindet sich das Denkorgan noch im Aufbau und ist auf eine kontinuierliche Energiezufuhr angewiesen. Für sie ist das Auslassen von Mahlzeiten daher deutlich belastender als für Erwachsene. Für gesunde Erwachsene gilt diese Empfindlichkeit nicht im gleichen Maße. Wer hin und wieder das Frühstück auslässt oder später isst, muss im Alltag in der Regel keine Nachteile für Konzentration oder geistige Leistungsfähigkeit befürchten.
Hunger und Psyche: Warum wir uns hungrig oft weniger leistungsfähig fühlen
Warum erleben viele Menschen Hunger dennoch als lähmend? Hier kommt der psychologische Faktor ins Spiel. Ein Grund dafür liegt nicht im Körper, sondern im Kopf. Die Metaanalyse liefert Hinweise darauf, dass die Erwartungshaltung eine wichtige Rolle spielt. In einem der ausgewerteten Experimente wurden Teilnehmende vor einem kognitiven Test darauf vorbereitet, dass man mit leerem Magen langsamer denke. Diese Information allein führte dazu, dass ihre Leistung sank – selbst bei Personen, die gar nicht gefastet hatten. Die Forschenden deuten dieses Ergebnis als Hinweis auf einen Placebo- beziehungsweise Noceboeffekt. Wer überzeugt ist, hungrig unkonzentriert zu sein, verhält sich entsprechend. Ein Teil des „Hangry“-Mythos ist damit eher erlernt und kulturell geprägt als biologisch vorgegeben.
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Die Ergebnisse sind auch eine wichtige Antwort auf die Kritik am Intervallfasten, das inzwischen weltweit praktiziert wird. Kritiker sorgen sich häufig, längere Essenspausen könnten die Produktivität im Alltag und im Beruf beeinträchtigen. Die Metaanalyse bietet hier eine gewisse Entwarnung. Die Autoren fanden keine Belege dafür, dass Intervallfasten zu nennenswerten kognitiven Nachteilen führt. Vielmehr deuten einige Befunde darauf hin, dass Menschen, die regelmäßig fasten, nach einer Eingewöhnungsphase von einer verbesserten mentalen Klarheit profitieren könnten.













