Berlin

Lehramtsstudium in Berlin: Koalition kürzt eigene Erfolge | ABC-Z

Was Kevin Gumprecht aus seinem Lehramtsstudium erzählt, klingt innovativ und spannend. Von „Lernreisen“ berichtet er, bei denen Stu­den­t*in­nen aus Berlin verschiedene Reformpädagogische Schulen in Deutschland besuchen, um sich anzugucken, wie sie arbeiten. Er erzählt von Treffen, bei denen sich Stu­den­t*in­nen mit der Frage auseinandersetzen, was gute Schule ist und wie sie als Leh­re­r*in sein wollen und ihre Praxiserfahrungen an Schulen reflektieren.

Und dann gebe es noch das Programm „Lets Play Schule“. „Dafür führen Stu­den­t*in­nen und Re­fe­ren­da­r*in­nen eine Woche lang Projekte an einer Schule durch und übernehmen so komplett den Unterricht, damit die dort arbeitenden Leh­re­r*in­nen sich in der Zeit intensiv mit Schulentwicklung befassen können“, erzählt er.

Der Witz dabei: All das ist kein offizieller Teil seines Studiums, sondern ehrenamtlich vom Verein Kreidestaub organisiert, dem Gumprecht selbst angehört. In dem Verein haben sich Lehr­amts­stu­den­t*in­nen zusammengeschlossen, um neue Lernformate auszuprobieren, um Schule zu verändern und „Impulse für eine zeitgemäße Ausbildung“ von Leh­re­r*in­nen zu setzen.

„Wir organisieren uns selbst das, was wir brauchen“, sagt Gumprecht, und er betont, dass sie das eigentlich von den Hochschulen erwarten. Doch der Uni-Alltag sei für ihn frustrierend. „Ich muss als angehender Sportlehrer einen Schwimmkurs machen, der seit mehreren Semestern immer ausgebucht ist. Ohne den Kurs kann ich aber die folgenden Module nicht belegen, und dann auch nicht mein Studium abschließen“, sagt er. Auch auf die Korrektur von Hausarbeiten würden sie teils ein ganzes Jahr warten. „Aktuell kann ich das Studium nicht empfehlen“, sagt Gumprecht.

„Krass verunsichert“

Seminare seien meist groß und unübersichtlich. „Bei mehr als 30 Personen kann ich nicht über meine Eindrücke und Zweifel nach einem Schulpraktikum sprechen“, sagt Gumprecht, dabei sei gerade das enorm wichtig. „Auch Themen wie Resilienz oder Demokratiebildung sind in unserem Studium nicht vorgesehen“, sagt er. „Wir sind krass verunsichert, ob wir den Beruf am Ende überhaupt professionell, also kindgerecht und und zeitgemäß, ausführen können.“

Deshalb empört es ihn, dass die Koalition nun weitere Kürzungen vorantreibt. Konkret geht es um die vom Senat aufgesetzten Sonderprogramme „Beste Lehrkräftebildung“ und „Steigerung Lehramtsabsolvierende“. Für diese waren ursprünglich im Haushalt 19 Millionen Euro vorgesehen.

Ersteres gibt es seit 2020, maßgeblich vorbereitet vom damaligen Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD), der nun Spitzenkandidat der SPD für die Abgeordnetenhauswahl 2026 werden möchte. Die Programme sollten es den Unis ermöglichen, mehr Studienplätze fürs Lehramt zu schaffen.

Finanziert werden daraus etwa Pro­fes­so­r*in­nen für Querschnittsthemen, zum Beispiel zur Medienbildung oder Demokratiebildung, aber auch Stellen für Prüfungsbüros, Tu­to­r*in­nen und „Maßnahmen gegen Studienabbruch“. Das Programm „Steigerung Lehramtsabsolvierende“ hielt Mittel bereit, um etwa Lehr­amts­stu­den­t*in­nen zu gewinnen und um das Lehramtsstudium strukturell weiterzuentwickeln.

Am Freitag im Hauptausschuss

Doch nach Informationen von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Initiative „Schule muss anders“ sollen beide Programme ersatzlos gestrichen werden. So jedenfalls sehe es die Tischvorlage vor, über die der Hauptausschuss am Freitag in der zweiten Lesung des Wissenschaftshaushalts entscheiden soll.

„Die Begründung ist, dass diese Kürzung über die Hochschulverträge aufgefangen werden kann“, sagt Philipp Dehne von Schule muss anders. „Allerdings werden die Hochschulverträge gleichzeitig um hunderte Millionen Euro gekürzt, wir befürchten, dass diese Mittel für die Ausbildung von Leh­re­r*in­nen damit verloren gehen“, sagt er.

Die Bildungsverwaltung hatte bereits vorgeschlagen, beide Programme auf 12 Millionen zu kürzen. Von Mit­ar­bei­te­r*in­nen an der FU habe er bereits gehört, dass Stellen, die aus den Sonderprogrammen finanziert werden, zum Januar auslaufen, sagt ne. „Das ist eine bildungspolitische Katastrophe, findet er.

Zu Beginn des aktuellen Schuljahres sei unter den neu eingestellten Kol­le­g*in­nen nicht mal je­de*r fünfte Leh­re­r*in voll ausgebildet gewesen. Mehr als die Hälfte des Bedarfs sei durch befristet beschäftigte Leh­re­r*in­nen gedeckt, die unter sehr prekären Bedingungen arbeiteten und etwa in den Sommerferien kein Gehalt erhielten.

Bedarf an Leh­re­r*in­nen bleibt hoch

Gleichzeitig zeigt eine aktuelle Prognose, dass der Bedarf an Leh­re­r*in­nen in Berlin auch in den kommenden Jahren hoch bleibt: Bis 2030 müssen demnach jährlich mehr als 4.000 Vollzeitstellen neu besetzt werden. Auch danach nimmt der Bedarf kaum ab. Berlin kann sich auch nicht auf Vorhersagen sinkender Schü­le­r*in­nen­zah­len ausruhen. Denn nicht zuletzt der Großangriff Russlands gegen die Ukraine hat gezeigt, wie schnell solche Voraussagen hinfällig sind.

„Schwarz-rot bringt mit diesem Änderungsantrag nicht nur den vom Vorgängersenat angestoßenen, dringend benötigten Kapazitätsausbau zum Erliegen. Neben Maßnahmen zu Studierendengewinnung, werden auch solche zur Verbesserung der Studienqualität den Streichungen zum Opfer fallen, z.B. Projekte zur besseren Verzahnung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik oder der Ausbau von sogenannten Lehr-Lern-Laboren an der FU“, kritisiert Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Dadurch werden absehbar noch weniger Studierende ihr Studium erfolgreich zum Abschluss bringen, obwohl das Land nach wie vor händeringend Lehrkräfte sucht“, sagt sie.

Schule muss anders, GEW und der Verein Kreidestaub fordern daher, dass Berlin die Sonderprogramme „Beste Lehrkräftebildung“ und „Steigerung Lehramtsabsolvierende“ weiterführt und ausfinanziert. Sie wollen auch, dass das Ziel von 2.500 Lehr­amts­ab­sol­ven­t*in­nen pro Jahr in den Hochschulverträgen erhalten bleibt und die Senatsverwaltung für Bildung transparenter als bisher den tatsächlichen Mangel an Leh­re­r*in­nen darstellt. Der Ausbau der Strukturen habe erst nach Jahren kleine Erfolge in Form einer leicht gestiegenen Zahl von Ab­sol­ven­t*in­nen gebracht. Kürzungen wiederum wirkten sofort, und machten diese Arbeit zunichte.

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