Stil

Legende der Mode: Pat Cleveland | ABC-Z






Ein kleiner Raum in einem Bürogebäude in Manhattan, nicht größer als eine Abstellkammer, aber hier gibt es die komplett weiße Wand, nach der sie und der Fotograf gesucht haben. Pat Cleveland wirft sich neben dem Kopierer in Pose, und keine fünf Minuten später ruft der Fotograf Eric Johnson: „Ja, wir haben es!“ Weiter geht es durch die Büroräume der Produktionsfirma, immer auf der Suche nach guten Motiven, hier eine Couch, dort ein riesiges Fenster mit Blick auf die Hochhäuser und den blauen Himmel.

Pat Cleveland ist 74 Jahre alt, sie blickt auf fast sechs Jahrzehnte als Model zurück – und sie ist leidenschaftlich bei der Sache. Jede Pose soll perfekt sitzen, alle Assistenten und Praktikanten sollen sich wohl fühlen, manch einer wird mit Komplimenten bedacht. Auf einem Sofa lässt sie sich weit zurückfallen, lacht über das verrutschte blaue Kleid und fragt ihren Mann Paul van Ravenstein nach seiner Meinung: Sieht das so gut aus?








Anderntags sitzt Cleveland auf einer Couch in der Bar des Chelsea Hotels, ohne Make-up und aufgetürmte Haare – und umso schöner. Heute wolle jeder jung aussehen, aber es gehe darum, wie ein Element oder ein Baum zu sein, sagt sie. Ihr Ziel ist es, mit dem Leben zu wachsen wie Aeiner der Mammutbäume in Kalifornien – und es hört sich kein bisschen abgeschmackt an.

Sie hat Modegeschichte geschrieben. Als eines der ersten afroamerikanischen Mannequins war sie 1970 in der „Vogue“ zu sehen, sie wurde von Irving Penn, Richard Avedon und Helmut Newton fotografiert und lief später für alle wichtigen Designer, von Valentino bis Lagerfeld. Noch bevor der Begriff populär wurde, sprach man von ihr als Supermodel – “Vogue“-Modechef André Leon Talley nannte sie schon 1980 „das zeitlose Superstar-Model“.




Leder-Top mit Wasserfallausschnitt und integrierter Kapuze sowie Faux-Fur-Ärmeln von Balmain; massiver Armreif und Kugelring aus Sterling-Silber von Patricia von Musulin





Mantel aus Ziegenkaschmir von Celine, Einteiler aus weißer Spitze sowie nietenbesetzte Pumps mit kegelförmigem Absatz von Chloé; schwarzes Wickelstirnband und floraler Choker von Heather Huey








Mode war ihre erste Liebe, so schildert es Cleveland auch in ihrer Autobiographie „Walking with the Muses“. Bevor sie modelte, nähte sie als Teenager in East Harlem Kleider. Über die Nachbarschaft in ihrer Kindheit spricht sie voller Poesie. Weil ihre Mutter Künstlerin war, wuchs sie umgeben von Kreativen auf. Es war eine andere Zeit, die Frauen trugen sonntags weiße Handschuhe und Hut, man schickte Telegramme, „es gab keine Hochhäuser aus Glas, und alles war Jazz“, sagt sie über die Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre. In ihrem Viertel wohnten Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen – Schwarze, Iren, Juden, Puertoricaner. Damals hätten sich die Kulturen nicht gemischt, sie hätten eher harmonisch nebeneinander her gelebt: „Niemand war Kosmopolit oder flog in der Weltgeschichte herum.“

Als Kind hörte Cleveland nachts die Musik aus irischen Kneipen und die Trommeln schwarzer Straßenmusiker. Ihr Vater war ein schwedischer Jazzmusiker, der bald in sein Heimatland zurückkehrte. Ihre Mutter war befreundet mit Berühmtheiten wie Billie Holiday und Eartha Kitt. Die Tante tanzte mit Katherine Dunham, und so habe sie als Kind in einer Tanzklasse Marilyn Monroe und Marlon Brando getroffen, als Fünfjährige mit ihnen zu afrikanischen Trommeln getanzt. Im Apollo Theater sah sie ihre ersten Drag Queens, in der Carnegie Hall ging sie zu vielen klassischen Konzerten, und oft war sie im mondänen Haus ihrer Patin Henriette Metcalf zu Gast, die einst eine Liebhaberin von Gertrude Stein war. Eine andere Patin war die Opernsängerin Marian Anderson, eine der Berühmtheiten der Harlem Renaissance, die später als erste schwarze Sängerin in der Metropolitan Opera auftrat. Bei Besuchen in Andersons Haus in Connecticut habe die sie als Kind nicht nur zu Bett gebracht, erzählt Cleveland, Anderson habe auch oft an ihrem Bett gesessen und ihr vorgesungen – „Twinkle, twinkle, little star“.




Früher sei sie oft hergekommen, sagt Cleveland und blickt sich in der Bar des Chelsea Hotels um. Mit vielen der berühmten Bewohner war sie befreundet. Sehr eng sei sie mit dem Künstler Richard Bernstein gewesen, sagt sie. Sein Apartment sehe sie noch genau vor sich, trotz der Renovierungen im Hotel. Paul van Ravenstein sitzt neben ihr, sie sind seit 40 Jahren verheiratet, haben zwei längst erwachsene Kinder. Der aus den Niederlanden stammende Fotograf ist bei den meisten Shootings an ihrer Seite. Er organisiert, was sie braucht, stellt sicher, dass sie ihren Job bestmöglich erledigen kann. Und er hört ihr zu, als hätte er die Geschichte ihres Lebens noch nie gehört.

Als Vierzehnjährige wurde sie auf der Straße entdeckt. Erstens war es ihre Kreativität, zweitens ihre Schönheit, die eine Mitarbeiterin der „Vogue“ dazu brachten, dem hochgewachsenen Teenager Block um Block durch Manhattan zu folgen. Das Mädchen trug eine ihrer eigenen Kreationen, die in der Nachbarschaft schon reißenden Absatz fanden. Die Fremde ließ nicht locker, bis Cleveland ihre Visitenkarte nahm. „Von da an war es wie bei ,Charlie und die Schokoladenfabrik’“, sagt sie. Magisch, aber auch ein bisschen furchteinflößend also. Bald stand sie im Büro von Diana Vreeland, der legendären „Vogue“-Chefredakteurin, die ihr etwas ganz ähnliches mitgab wie das, was sie im Chelsea Hotel über das Altern sagt: „Du musst fest verwurzelt auf der Erde stehen wie ein Baum, um stark zu sein.“




Es folgten Jahre, in denen Cleveland das Modeln mit der Kunstschule in Einklang zu bringen versuchte. Am Beginn ihrer Karriere habe sie manchmal ihre Mutter imitiert, ihr Make-up so aufgetragen, wie sie es von ihr gelernt hatte, mit dem einen falschen Schönheitsfleck an der richtigen Stelle – und dann, über die Jahre, sagt sie, werde man erst seine eigene Person. Damals, in den Sechzigerjahren, ging Cleveland mit der „Ebony Fashion Fair“ auf Modenschau-Tournee, ihre Mutter begleitete sie als Anstandsdame, und sie reisten in einem Greyhound-Bus zusammen mit Models und Crew durch die Vereinigten Staaten. 109 Städte, in denen sie in einer Modenschau Couture-Kleider aus Paris präsentierten, um Geld für College-Fonds zu sammeln.



„Du musst mit dem Leben mitwachsen wie ein Baum.“

PAT CLEVELAND



Clevelands Vorfahren mütterlicherseits kamen aus dem Süden, Rassismus war ihr aus New York nicht fremd. Eileen Ford etwa habe es abgelehnt, sie in ihre Agentur aufzunehmen, weil „colored girls“, „Farbige“ also im damaligen Jargon, ohnehin kaum Jobs bekämen – und Cleveland solle darüber nachdenken, ihre Nase machen zu lassen. Instinktiv war sie stark genug, dem schlechten Rat nicht zu folgen. 1966, zwei Jahre nach Verabschiedung des Bürgerrechtsgesetzes, erlebte sie in Little Rock etwas, das sie noch heute bewegt. Damals kamen nachts Ku-Klux-Klan-Mitglieder, um die Models und die Crew wegen ihrer Hautfarbe aus dem Hotel zu jagen. Sie trugen die weißen Roben und Spitzhüte des Ku-Klux-Klan, schwenkten brennende Fackeln und schrien rassistische Beleidigungen. Die Gruppe floh in ihrem Bus aus der Stadt.




Mit Schmucksteinen und Pailletten besetztes Flapper-Dress in Rosé von Gucci; Latex-Strümpfe und Opernhandschuhe in Rosa von Atsuko Kudo; Ohrringe und Armreife aus Acrylglas von Patricia von Musulin; Peeptoe-Heels in braunem Lackleder von Saint Laurent





Kastige Wolljacke mit starker Schulterpartie, halbtransparenter Bleistiftrock aus Viskose, Peeptoe-Heels in braunem Lackleder und schwarze Nylon-Strumpfhose von Saint Laurent








Der Hass Weißer begegnete Cleveland immer wieder, auch wenn sie viele weiße Freunde hatte. Jahre später ging sie für einige Jahre nach Europa und schwor, nicht in ihre Heimat zurückzukehren, ehe es nicht eine schwarze Frau auf das Cover der amerikanischen „Vogue“ geschafft hatte. Nach vielen Erfolgen in Paris kam Cleveland schließlich nach New York zurück, als die Afroamerikanerin Beverly Johnson 1974 auf dem Titel abgebildet war.

Pat Cleveland traf nicht nur auf Rassismus, sondern immer wieder auch auf gewalttätige Männer. Und vor einigen Jahren besiegte sie eine Krebserkrankung, musste die Kosten für die Operation durch Spenden decken, wie hunderttausende Amerikaner.

Dass sie so heiter ist, liege auch an ihrer spirituellen Reise in die Welt des Yoga, erzählt sie – und an ihrer Fähigkeit, im Moment zu leben und zugleich die schönsten Erinnerungen so lebendig abzurufen, als wären sie gestern passiert. Die Freundschaften mit Karl Lagerfeld oder Andy Warhol zum Beispiel, die rauschenden Partys in New York und Paris, das „Studio 54″. Die Tage als Teenager in Miami, als Muhammad Ali ihr die Stadt zeigte und sie davon überzeugen wollte, seine Frau zu werden. Oder die Jahre mit Warren Beatty, für den sie schon als Kind geschwärmt hatte und mit dem sie später sechs Jahre lang eine Affäre hatte. Beatty sei ein noch besserer Liebhaber gewesen als in all ihren Träumen, sagt Cleveland und lächelt breit.




Das war vor der Zeit mit Paul van Ravenstein, den sie traf, als er erst 19 war und sie 26. Damals sagte sie ihm, er sei zu jung, doch sie würden sich eines Tages wieder begegnen. Von Anfang an habe sie sich lebendiger gefühlt, wenn Paul im Raum sei, schreibt sie im Buch. Und er werde nie müde, ihr beim Arbeiten zuzusehen, sagt van Ravenstein während des Shootings in den Büroräumen in Midtown – die Freude, die Disziplin, die Professionalität.

Und die Fotos, die so glamourös sind wie vor Jahrzehnten. Auch die Crew aus einem Dutzend junger Menschen folgt der Model-Legende begeistert von Raum zu Raum. Wenn Haare und Outfits gewechselt werden müssen, irgendwo in einem Büro, lassen sie sich kurz mal auf Design-Sofagruppen fallen. Draußen ist es so heiß, dass zeitweise darüber diskutiert wird, ob man die Außenaufnahmen überhaupt noch machen soll. Schließlich könnte man die New Yorker Straßenschluchten ja auch durch die Fenster fotografieren, unscharf im Hintergrund. Aber Pat Cleveland will davon nichts hören. Sie lächelt ihr schönes Lächeln, sie wird den Job auch heute wie geplant zu Ende bringen.






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