Wohnen

Hochzeiten werden immer aufwendiger – als lebte man in einer anderen Zeit – Gesellschaft | ABC-Z

Die Preise fürs Heiraten sind in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Das gilt nicht nur für Luxushochzeiten in der Karibik. Oder die Feier auf Mallorca. Heiraten ist auch kostspielig für Leute, die einfach nur schön und ausgelassen feiern wollen, dass sie zusammen sind.

Laut vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes heirateten 2024 rund 349 000 Paare, 15 452 Euro kostet die Durchschnittshochzeit, so eine Studie der Plattform Weddyplace. Ein lohnendes Geschäft für eine Branche, die von Frühling bis Spätsommer kommerzielle Wunscherfüllung betreibt. Und für jeden Geschmack das passende Angebot verspricht.

Die „Theatralisierung“ der Gefühle

Seit einigen Jahren machen Wissenschaftler „Eventisierungstendenzen“ rund ums Hochzeitsfest aus. Der Soziologe Jo Reichertz spricht von einer „Theatralisierung“ der Gefühle und stellt fest, die Glaubwürdigkeit des Liebesausdrucks werde heute daran gemessen, „was Liebende bereit sind, füreinander unter den Augen der Öffentlichkeit zu tun“.

Medien multiplizieren bestimmte Rituale und Narrative und beeinflussen damit auch, wie wir leben und heiraten, sagt die Religionswissenschaftlerin Daria Pezzoli-Olgiati. (Foto: Silas Stein)

Und das ist offensichtlich eine ganze Menge. Immer engmaschiger dokumentiert von immer besseren Kameras, wird nicht erst die Hochzeit, sondern schon der Antrag selbst hübsch ins Bild gesetzt. Referenzrahmen der öffentlichen Liebesbekundungen ist da natürlich nicht, wie die Soziologin Fleur Weibel in ihrem Buch „Die Praxis des Heiratens“ fein beobachtet, die schnöde Gegenwart „mit all ihren unschönen Erscheinungen“, sondern die Vergangenheit  – wenn auch in märchenhafter Verklärung.

„Durch die geschichtsträchtigen Kirchen, prunkvollen Zivilstandesämter, Burgen und Schlossgärten mit den schmiedeeisernen Toren, die mit abgewetztem Kopfstein gepflasterten Innenhöfe und die zum Einsatz kommenden Oldtimer-Fahrzeuge“, so Weibel, „sowie nicht zuletzt durch die außeralltäglich feierliche Kleidung der Hochzeitsgesellschaften scheinen die Hochzeiten aus einer anderen Zeit zu stammen.“

Heiraten in Fußballstadien, Zoos und Höhlen

Noch immer setzen hier die Royals Maßstäbe – schließlich läutete bereits Queen Victoria mit ihrer Idee, 1840 als Braut in Weiß zu gehen, einen echten Trend ein. Neben Burgen, Schlössern und Gärten dienen allerdings auch Fußballstadien, Zoos und Höhlen als Location. Geheiratet wird unter Wasser, auf dem Schiff, im Flugzeug, an Stränden. So ähnelt das einst private, bürgerliche Fest einem schillernden Promi-Event, die prächtige mehrstöckige Hochzeitstorte inklusive.

Für diese Verbindung musste eine Top-Location her: George Clooney und Amal Alamuddin bei ihrer Hochzeit in Venedig 2015.
Für diese Verbindung musste eine Top-Location her: George Clooney und Amal Alamuddin bei ihrer Hochzeit in Venedig 2015. (Foto: imago stock/imago images)

Dem Geldbeutel bekommt das schlecht. Manche, heißt es, helfen dem Hochzeitsglück in ihrer Not mit einem Kredit auf die Sprünge. Andere Brautpaare dritteln sich die Kosten mit den Eltern. Aber ganz gleich, wie schön das Brautkleid, wie aufwendig, stilvoll und berührend das Ritual und wie ausschweifend der Abend: Am Leben des Brautpaars ändert die Hochzeit nicht allzu viel.

Statt einen Neuanfang zu markieren, bestätigt sie vor allem, was ohnehin schon da ist. Denn fast immer ist man, wenn man sich das Jawort gibt, bereits eine ganze Weile zusammen (in Katharina Herzogs Fall: 13 Jahre!) und teilt einen gemeinsamen Haushalt. Zwar hat die Eheschließung, wie sich spätestens bei der Scheidung herausstellt, durchaus ökonomische Bedeutung und rechtliche Konsequenzen. Aber im Vordergrund steht beim Heiraten seit dem 19. Jahrhundert meist doch ein Gefühl. Noch dazu: ein bedrohlich flüchtiges.

Vielleicht haben Brautpaare einfach mehr Geld als früher, weil sie erst spät im Leben heiraten?

Wozu also all der Aufwand? Die Soziologinnen Andrea D. Bührmann und Ulrike Thiele-Manjali versuchen eine Antwort: Vielleicht haben Brautpaare einfach mehr Geld als früher, weil sie erst spät im Leben heiraten. Möglich auch, dass es schlicht im Trend der Zeit liegt, lebensgeschichtliche Meilensteine zum Event auszubauen. Oder gewinnt die Eheschließung paradoxerweise gerade dadurch an Bedeutung, dass es eigentlich ohne sie geht – und jede dritte Ehe irgendwann geschieden wird?

Wie auch immer: Um sich und die Welt vom bleibenden Glück zu überzeugen, muss der öffentliche Liebesbeweis offenbar mitten ins Herz treffen. Dokumentiert am besten in Bildern und Filmen in Topqualität, von professionellen Hochzeitsfotografen, die sich ihren Eifer teuer bezahlen lassen. Dabei entstehen Sehnsuchtsbilder vom Glück, in denen der kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern noch mal ausgiebig gefeiert wird.

Das jungfräulich weiße Brautkleid; der Brautvater, der seine Tochter dem Bräutigam zuführt; die Braut, die über die Schwelle getragen wird: „Performative Re-Traditionalisierung“ nennt das die Soziologie. Zarter Schleier und glänzende Manschettenknöpfe vermögen aber nur kurzfristig darüber hinwegzutäuschen, dass die Geschlechterrollen längst ihre bequeme Eindeutigkeit verloren haben. Im richtigen Leben haben halt auch Märchenprinzessinnen Hosen an. Den „schönsten Tag des Lebens“ dagegen überzuckert Nostalgie.

„Da zeigt man eben, was man hat.“

Ganz anders die Eheschließungen früher. In der Vormoderne etwa, wie der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder in einer Sendung von „Terra X History“ erklärt: Unter Bauern heiratete damals nicht ein Mann eine Frau und eine Frau einen Mann, „eigentlich heirateten zwei Äcker“. Dass es Brauch war, seine gesamte Aussteuer stolz dem Dorf vorzuführen, passte ins Bild: „Da zeigt man eben, was man hat.“

Heute geht es nicht mehr um Acker und Aussteuer, sondern um die perfekte Inszenierung größtmöglicher Gefühle. Ein Überangebot an Gestaltungsmöglichkeiten, wahnwitzig viele Entscheidungsvarianten: Ein immer überdrehterer Markt macht es selbst den vernünftigsten Brautpaaren schwer, ruhig Blut zu bewahren.

Ist eine Hochzeitszeremonie im Mittelalterstil erwünscht? Wer hat die Hand oben beim Anschneiden der Hochzeitstorte? Lässt man die Einladungskarten entwerfen, oder macht man lieber alles selbst? Dann die vielen Möglichkeiten, das Fest noch schöner und unvergesslicher zu gestalten. Eine Hüpfburg für Kinder? Eine Popcornmaschine? Ein Karikaturist, der die Gäste zeichnet? Katharina Herzog sagt: „Man kann sich darin verlieren.“ Und: „Das Verhältnis zu Geld ändert sich, wenn man eine Hochzeit ausrichtet.“

Besonders bizarre Blüten treibt hier natürlich das Luxussegment: Bis zu zweihundert Millionen Dollar sollte die „wohl teuerste Hochzeit der Menschheitsgeschichte“ eines betuchten Pärchens in Mumbai 2024 kosten, so eine Schätzung. Ohnehin sind indische Hochzeiten berühmt für die Unsummen, die sie verschlingen. Gefeiert wurde so häufig im Ausland, dass die Regierung neuerdings unter dem Motto „India says I do“ versucht, Hochzeiten und Geld im Land zu halten.

Die Versuchungen der „Luxuria“

Derart verschwenderischer Aufwand, maßlose Lebensführung und ungehemmter Konsum sind in der Menschheitsgeschichte natürlich nichts Neues. Tatsächlich war es von je her verführerisch, sich beim Leben und Feiern der „Luxuria“ hinzugeben, wie Annette Kehnel in ihrem Buch „Die sieben Todsünden“ unterhaltsam darlegt.

Strenge Regeln mussten her, um den schlimmsten Auswüchsen des Lasters Einhalt zu gebieten. Denn: „Luxuria barg die Gefahr der Selbstzerstörung in sich.“ Sogenannte Aufwands- und Luxusordnungen verhalfen ab dem 14. Jahrhundert zu Maß und Ordnung. Auf Reichsebene verhandelte man sie erstmals 1495, wenige Jahrzehnte später wurden sie in die Reichspolizeiordnungen aufgenommen.

„Immense Kosten“: Bauernhochzeit, deutscher Holzschnitt, circa 1770.
„Immense Kosten“: Bauernhochzeit, deutscher Holzschnitt, circa 1770. (Foto: All mauritius images/mauritius images / BAO / imageBR)

Geregelt wurden darin die Kosten für Kleidung, Schmuck und Frisur im Alltag. Man begrenzte die Zahl der Gäste bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Und regulierte Speis und Trank. Wenn wegen zu hoher Aufwendungen für Hochzeiten die Zahl der Eheschließungen sänke, würde das zu weniger Kindern beziehungsweise zu mehr illegitimen Verbindungen führen, so die Befürchtung einer Untersuchungskommission des Stadtrats im französischen Carpentras 1417.

„Ein Fünkchen Hoffnung auf Entlastung.“

Auch in Hildesheim war es erklärtes Ziel, die Zahl der Hochzeiten mithilfe der Luxusregeln wieder deutlich anzuheben. Am 15. Mai 1440 beschied der Stadtrat, zu Polterabenden nicht mehr als hundert Essensgäste zuzulassen. Am Hochzeitsabend selbst waren nur fünfzig Gäste erlaubt. Das festliche Menü wurde auf fünf Gänge beschränkt. Zwei Spielmannspaare durfte man einladen, eine Kuchenbäckerin. Die Pfeifer erhielten maximal zwölf Schilling, die Trompeter neun, die Kuchenbäckerin sechs.

„Das wirkt erst einmal befremdlich und nicht besonders attraktiv“, schreibt Annette Kehnel, räumt aber ein: „Wer schon mal eine Hochzeit ausgerichtet hat, verspürt vielleicht eine gewisse Sympathie, ein Fünkchen Hoffnung auf Entlastung.“ Schließlich bleibe einem bei allgemein gültigen Obergrenzen „so manches erspart“. Darunter auch: „immense Kosten“.

Den empfindlichen Eingriff in das Privatleben der Bürger und Bürgerinnen interpretiert die Forschung als Begleiterscheinung des Aufbruchs in die Moderne. Jener Phase also, in der sich allmählich eine moderne Staatlichkeit herausbildete. Zentrale Verwaltungen entstanden, einheitliche Rechtssysteme, ein Beamtenapparat. Zugleich wuchs, wie Annette Kehnel erklärt, die Tendenz zur „Sozialdisziplinierung“.

Die Luxusordnung versteht sie einerseits als Ausdruck des Strebens nach Selbständigkeit auf städtischer oder territorialer Ebene – andererseits als Steuerungsinstrument, das die Gemeinschaft vor Verschwendung und Verschuldung schützte.

Verzicht statt Überfluss? Fest einer Heirat auf dem Lande in Norddeutschland 1880.
Verzicht statt Überfluss? Fest einer Heirat auf dem Lande in Norddeutschland 1880. (Foto: All mauritius images / Sunny Celeste)

Für sie sind die Gesetze so etwas wie „Container“, die das Wissen um die Notwendigkeit von Grenzen in Sachen Konsum transportierten. „Die Ratsherren waren sich darüber im Klaren, dass das Bedürfnis der Menschen zu feiern nicht unterdrückt werden darf“, so die Autorin. „Es ging darum, es in gemäßigten, sozialverträglichen Bahnen zu halten.“ Die Ordnungen dienten dabei der Kommunikation des „rechten Maßes“. Wer die Grenzen überschritt, zahlte empfindliche Strafen. Dieses Geld floss in Folge reichlich – und fand seinen Einsatz beim Bau von Kirchen und Brücken, Hospitälern und städtischen Wohnungen.

Zwar wünscht sich auch Annette Kehnel nach eigenem Bekunden nicht in die Zeit der Luxusordnungen zurück. Sie findet aber durchaus, dass man von diesen lernen kann. „Sinnvoll wäre es, zeitgemäße Äquivalente aufs Gleis zu setzen.“ Gleich mehrere Vorschläge hat die Historikerin parat: Anreize zur Förderung von Kreativität bei der Um- und Weiternutzung von Möbeln, Kleidung, Schmuck; Steuerfreiheit für „Refurbish“-Geschäfte; Subventionen für Änderungsschneidereien, Tauschhäuser statt Kaufhäuser; Werbung, die Lust auf „Weniger ist mehr“ macht.  Die Luxusordnungen von damals, angewandt auf die brennenden Probleme von heute. „Ein kleiner Schritt für eine Wohlstandsnation, ein großer Schritt für den Planeten Erde“, so Annette Kehnel.

Gegentrend: das Prinzip Downsizing

Verzicht also statt Überfluss? Ausgerechnet beim Thema Heiraten? Für den Markt ein alter Hut. Denn er hat das Prinzip „Downsizing“ längst für sich entdeckt. Hochzeitsplaner preisen eine Green Wedding an, die auf Nachhaltigkeit setzt (Second-Hand-Brautkleid, biologische Lebensmittel, saisonaler Blumenschmuck, Müllvermeidung). Oder eine Micro- oder Tiny-Wedding mit extrem kurzer Gästeliste, eventuell in Form einer Destination Wedding auf einer Hütte in den Alpen. Im Trend sind auch sogenannte Elopement Weddings, sozusagen das Jawort für Ausbüxer: spontan, intim, im allerengsten Kreis.

Katharina Herzog dagegen hat sich ihre eigene Obergrenze verordnet. An den Gästen will sie nicht sparen. Wohl aber am Geld. 25 000 Euro geben ihre Freundinnen für weit kleinere Hochzeiten aus, erzählt sie. Und seien trotzdem gezwungen, das eine oder andere selbst zu nähen und zu basteln, um wenigstens ein klein bisschen zu sparen.

Sie selbst findet: 20 000 Euro müssen reichen. Für die kleine, standesamtliche Trauung am Strand einer Nordseeinsel – und für das rauschende Fest zu Hause. Eine professionelle Hochzeitsplanerin zu engagieren, kommt da natürlich nicht infrage. Sämtliche kleinen und großen Entscheidungen fällt das Brautpaar selbst. Denn die Kosten, das wissen sie inzwischen, entgleiten im Nu. Hochsteckfrisur? Tanzstunde? Make-up? Frei fliegende weiße Tauben? Ein Trauredner? Jeder Schritt kostet Geld. Steht Hochzeit drauf, sind die Preise gleich saftiger. Das gilt für Torten und Caterer, Kleidung und DJs, Fotografen und Friseure.

„Erst haben wir überlegt, eine Agentur für die Deko zu engagieren“, erzählt die Braut. „Bei 120 Leuten und 17 Tischen wären da aber schnell 1000 Euro beisammen.“ Also dekoriert das Paar jetzt selbst. Immerhin: Das Hochzeitskleid hat unter 500 Euro gekostet. Glück gehabt! Das Kleid stammt nicht aus der Brautmodekollektion, sondern wurde als Ballkleid verkauft.

Anstrengend ist all das schon. „Ich bin eine sehr organisierte Person“, sagt Katharina Herzog, „aber manchmal komme ich an meine Grenzen!“ Sie versucht, trotzdem gelassen zu bleiben. Ihren Perfektionismus über Bord zu kippen. Und Mut zu haben zur Lücke. Die Hochzeitsvorbereitungen sollen ja Spaß machen, nicht stressen: „Wir freuen uns auf jeden Fall auf alles, was kommt.“ Und doch: Beim Caterer haben Braut und Bräutigam tiefer in die Tasche gegriffen und sich eine Flatrate gegönnt. Um am „schönsten Tag des Lebens“ nicht nervös zu werden, weil die Getränke ausgehen.

Back to top button