Laufen, Lesen, Likes – Wenn Hobbys zur Showbühne werden | ABC-Z

„Und wo seid ihr in eurer Quarter-Life-Crisis angekommen – Siebträgermaschine, Rennrad oder direkt zum Marathon angemeldet?“ Ironische Posts wie dieser gehen auf Instagram und TikTok viral. Sie treffen einen Nerv.
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Die Quarter-Life-Crisis – das klingt nach der kleinen Schwester der Midlife-Crisis. Während Menschen um die 50 ihr Leben hinterfragen, trifft Menschen zwischen Anfang 20 und Anfang 30 die Frage: Wer bin ich eigentlich? Studium fertig, Berufseinstieg holprig, die Zukunft ungewiss. In dieser Phase der Unsicherheit suchen junge Menschen nach Halt – und finden ihn heute vermehrt in Hobbys. Allerdings nicht mehr im Stillen: Was früher privates Vergnügen war, wird heute öffentlich inszeniert.
Deutlich zeigt sich das beim Laufen. Laut dem Deutschen Leichtathletik-Verband nahmen 2024 über 1,7 Millionen Menschen an mehr als 2800 Laufveranstaltungen in Deutschland teil. Besonders auffällig: Fast 40 Prozent der Marathonläufer sind unter 30 Jahre alt – damit ist diese Altersgruppe am stärksten vertreten.
Und auch wenn man auf TikTok und Co. schaut, stößt man auf den Hype darum – Laufen gilt für Jüngere als neue Trendsport-Art, genauso wie Radfahren. Unter Hashtags wie #RunningTok teilen Tausende ihre Läufe, ihre Bestzeiten, ihre Medaillen. Denn Laufen ist längst mehr als Sport. Rennradfahren, Marathons, Fitness-Challenges – all das dient nicht mehr nur der Gesundheit, sondern der Selbstinszenierung.
Wenn Hobbys online gehen
Junge Menschen verbringen täglich viele Stunden am Handy. Eine OECD-Studie zeigt: Mindestens jeder zweite 15-Jährige nutzt digitale Geräte mehr als 30 Stunden pro Woche. Neben Schule, Uni und Arbeit bleibt da kaum Zeit für Hobbys. Paradoxerweise entsteht gerade dadurch eine Sehnsucht nach Aktivitäten abseits des Bildschirms, nach echter Gemeinschaft. Doch auch diese Hobbys landen schnell wieder online – in ästhetisierter, perfektionierter Form.
Thomas Knaus, Professor für Medienbildung an der Heidelberg University of Education, beschreibt es gegenüber der Morgenpost so: „Vor allem Social-Media-Plattformen prägen die Freizeitgestaltung junger Menschen inzwischen sehr stark. Nicht nur, weil sie neue Kommunikationsräume bereitstellen, sondern weil sie selbst Teil jugendkultureller Praktiken geworden sind“, sagt Knaus. „Freizeit bedeutet heute häufig, sich medial auszutauschen.“
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Hobbys werden durch soziale Medien zum Identitätsmarker. In der Sportwelt heißt es: „Ich bin eine Läuferin“, „Ich fahre Ultra“ (sehr lange Distanzen), „Ich bin in der Off-Season“ (Ruhe- oder Erholungsphase). Auch Lesen hat seine eigene Content-Nische. Zum „Ich bin eine Leserin“ gehört ein großes Bücherregal voller ästhetisch sortierter Bücher, Textmarker passend zum Cover und schicke Lesezeichen.
Hobbys: Selfcare oder Selbstoptimierung?
Lese-Tracker, Challenges und Monatsrückblicke verwandeln Lesefortschritt in Social-Media-Content. Sport wird mit geschafften Distanzen auf Strava (App fürs Sport-Tracking) und Medaillen-Fotos öffentlich geteilt. Auch vermeintlich entschleunigende Hobbys wie Stricken werden „instagrammable“ gemacht. Es geht darum, Fortschritt sichtbar zu machen, Anerkennung zu bekommen, dazuzugehören.
Knaus differenziert: „Social-Media ermöglicht Nähe, Austausch und Zugehörigkeit – gerade in Phasen, in denen Gemeinschaft für junge Menschen besonders wichtig ist. Gleichzeitig sind sie von Bewertungslogiken geprägt, die sozialen Druck und Selbstzweifel verstärken können“, erklärt der Professor. „Manche erleben dadurch eine Fragmentierung zwischen ihrem erlebten Selbst und der inszenierten Online-Identität.“
Das Paradox: Gemeinschaft vs. Leistungsdruck
Das Paradox des modernen Hobbys zeigt sich ganz gut beim Beispiel Laufen: Einerseits schaffen Laufevents Gemeinschaft. Tausende Menschen kommen zusammen, feuern sich an, teilen die Euphorie nach dem Zieleinlauf.
Andererseits: Wer regelmäßig auf Strava scrollt, sieht nur die Bestzeiten der anderen. Wer auf Running-Tok unterwegs ist, bekommt Algorithmen serviert, die perfekte Körper, ideale Laufzeiten, stählerne Disziplin zeigen. Aus „Ich laufe, weil es mir guttut“ wird schnell „Ich muss schneller werden, mehr trainieren.“
„Durch die permanente Vergleichbarkeit in sozialen Medien entsteht ein impliziter Druck, sich perfekt, sportlich und kreativ zu präsentieren“, bringt es Knaus auf den Punkt. „Einige Jugendliche entwickeln daraus eine Selbstoptimierungslogik, die ihre Freizeit mit Leistungsdenken auflädt.“
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Die Folgen: Übertraining, gestörtes Essverhalten, das Gefühl, nie genug zu sein. Die psychologischen Funktionen, die Hobbys eigentlich erfüllen sollen – Entspannung, Selbstwirksamkeit, Identitätsbildung – verkehren sich ins Gegenteil. Statt Halt zu geben, erzeugen sie zusätzlichen Stress.
Auch im Lesebereich zeigt sich das: Der Zwang, möglichst viele oder die „richtigen“ Bücher zu lesen, verdrängt die ursprüngliche Freude am Lesen. Die Inszenierung wird wichtiger als das Tun selbst.
Wann wird aus Hobbys Content?
Ab wann also ist ein Hobby kein Hobby mehr, sondern nur noch Selbstdarstellung? „Ein Hobby wird zum Social-Media-Content, wenn es nicht mehr der eigenen Freude dient, sondern auf Sichtbarkeit und Anerkennung zielt“, erklärt Knaus. „Das ist aber nicht per se negativ – für viele ist die mediale Rahmung auch eine Form der Teilhabe, des Austauschs oder der Selbstmotivation.“
Wer alles sofort postet, lässt wenig Raum für Ausprobieren, Scheitern, Langsamkeit – dabei gehört aber genau das zu echter Freizeit. Hobbys sind wichtige Rückzugsorte – Zeiträume für uns selbst. Die Frage ist also nicht, ob wir Hobbys vollständig entdigitalisieren müssen. Sondern: Wie gelingt es, Freizeit von Likes und Leistungsdruck zu entkoppeln?













